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Über Wege zum Film, Bedeutung des Raumes, Liebeskonzepte, Eigenarten der bundesdeutschen Frauenbewegung.
Gespräch zwischen Jutta Brückner und Erika Richter
Eine gekürzte Fassung erschien in „Film und Fernsehen“
Scheue niemand
von Claudia Lenssen,
aus der taz vom 25. 6. 2016
Vom Pathos des Leibes
von Jutta Brückner
In: Ästhetik und Kommunikation 57/58
Texte zum autobiografischen Filmemachen
Jutta Brückner
Über autobiografisches Filmemachen
Ich schrieb in der dritten Person, es war mir unmöglich, „Ich“ zu sagen, aber diese dritte Person blieb ein Phantom. Und sie wurde fassbar nur als Innenwelt. Je näher ich an mich selbst beim Schreiben herankam, desto stärker überwucherten Stimmungen das Wenige, was von der Außenwelt in meinen Texten überhaupt vorhanden war.
In den 70er und 80er Jahren, unter dem Einfluss der Frauenbewegung und der Aufbrüche in neues Leben, die sie bei vielen Frauen provozierte, kam der Schreibwunsch aus dem Verlangen nach „weiblicher Subjektivität“. Aber die Prosa der vielen Beschreibungen von Aufbrüchen, die damals geschrieben wurden, hatte nichts mit dem gemein, was ich tun wollte. Es ging mir nicht um ein Stück Bewegungsliteratur mit hoffnungsfrohem Ausgang, sondern um einen Abdruck der Existenz in poetischer Sprache. Ich fand meine Texte schlecht, zerriss sie, warf sie weg, verbrannte sie. Offensichtlich war ich zum Schreiben nicht begabt. Ich verstummte.
Dann lernte ich durch einen biografischen Zufall Filmemacher kennen und ergriff sofort dieses neue Medium in der unklaren Erwartung, dass es mit Hilfe des Bildes gelingen würde, die Schwelle zu überschreiten, vor der mich die Worte im Stich gelassen hatten.
Es war die Zeit des deutschen Autorenfilms, der auf eine sehr manufakturelle Weise das Bildermachen betrieb wie etwas Vorindustrielles. Im deutschen Fernsehen gab es damals eine für Anfänger wichtige Abteilung, die Filme produzierte, die so spontan und persönlich sein sollten wie die Notizen, die man mit einem Bleistift schreibt. Dieses Filmen war dem Schreiben nah und verwandt, es geschah wie am Küchentisch und hungerte nach neuen Ansichten von Wirklichkeit. Es hatte viel mit der intensiven Beziehung zum Material zu tun, wie man sie aus den anderen Künsten kennt und wenig mit der arbeitsteilig betriebenen Professionalität, die Film als Business auszeichnet, in dem Geld und die Gesetze einer Bewusstseinsindustrie herrschen.
Als Medium war der Film damals offen für Fragen, wie selten in seiner Geschichte. Ich sah sehr schnell, dass es mich auf jeden Fall erlöste von meinem Realismusproblem. Denn ganz egal, wie man im Film vorgeht , das fotografische Bild bildet die äußere Wirklichkeit auf jeden Fall erst einmal mechanisch ab, bevor sich die Frage überhaupt stellt, was man denn über diese Wirklichkeit aussagen will.
Ich nahm im Film den Faden wieder da auf, wo er beim Schreiben abgerissen war, mein erstes Filmprojekt war so autobiografisch wie mein Schreibprojekt es gewesen war. Es hieß wie der Abschnitt meines Lebens, in dem ich es plante Aufbrüche. Die Geschichte ist die einer Frau, die aufbricht, es ist unklar woher und auch unklar wohin. Aufbrechen war die Bewegung, die Frauen damals aus der Isolation eines weiblich-häuslichen Daseins in die Gemeinschaft anderer
Frauen und weiter in die politische Aktion führte.
In meinem Drehbuch wird ständig von einem solchen Aufbruch geredet. Nur findet er nicht statt. Ich wollte damit aber nicht demonstrieren, dass ein solcher Aufbruch nicht möglich wäre. Es war auch nicht einfach dem Ungeschick einer Anfängerin zuzuschreiben, – schließlich ist das Drehbuchschreiben ja eine Kunst, die gelernt sein will – , denn es wäre einfach und nahe liegend gewesen, die Hauptfigur in politischen Aktivismus auf- und ausbrechen zu lassen, wie das ja um mich herum ständig passierte in jenen sehr politisierten Zeiten des Feminismus.
Das Merkwürdige war, dass für meine Protagonistin Aufbruch und Bewegungslosigkeit miteinander zu vereinbaren waren und mir wurde klar, dass ihr Lebensproblem nicht einfach mit einer gerechteren Gesellschaft für Frauen erledigt sein würde. Der in dem Drehbuch ersehnte Aufbruch war keiner in eine politische Utopie, sondern in ein Leben, in dem der Abdruck der Existenz im Ausdruck so stattfand, dass die Protagonistin zur Filmemacherin wurde, was die Autorin des Films, die Filmemacherin, von ihren Ausdruckswünschen und Existenzängsten gleichermaßen erlöst hätte.
Voller Hohn könnte man jetzt sagen, es war eine selbstreferentielle Schleife, leere Form, der Autorin fehle das Thema und es gehe nur um das Programm, ihr durch die poetische Sprache in der symbolischen Ordnung, in die ich meine Protagonistin eintreten lassen wollte, einen sozialen Platz zu verschaffen. Ich sparte mir selbst gegenüber nicht mit solchen Vorwürfen. Und doch fühlte ich, dass etwas Anderes hier stattfand. Auf perfekte und deshalb selbstzerstörerische Weise zeigte dieses Projekt die Wahrheit des Satzes: autobiographie is a desire, not an accomplishment.
Dieser auch heute noch wichtige Satz war nie so wahr, wie in diesem historischen Augenblick, wo der Feminismus wie ein Spiegel funktionierte, in dem die Frauen „jubilatorisch“, wie Lacan es vom Kleinkind sagt, ihr Bild entdeckten als vollkommenes und der Jubel die Erkenntnis verdeckte, dass sie nicht die waren, für die sie sich hielten. Für mich enthielt der Jubel auch den Beweis, dass die Individualität mit dem Wunsch nach der Autobiografie beginnt und die Autobiografie nicht mehr die Summe eines gelebten Lebens ist , der Artefakt einer erkalteten Herzensschrift. Sie ist das Begehren, das den Prozeß der „Identität“ erst in Gang bringt.
Und gerade deshalb war mein geplanter Film Aufbrüche so leblos, denn er schilderte den Nullpunkt dieses Wunsches, das Begehren nach Identität, das so in sich selbst kreiste wie das Auge des Hurricans, in dem tödliche Stille herrscht. Dieser Film war nicht zu machen aus Gründen, die mit dem Bewegungsgesetz seines Themas zu tun hatten. Dass ich ihn auch nicht machen konnte aus Gründen, die mit der deutschen Fördersituation zu tun hatten, hat mir erspart, das erst beim Machen selbst zu erfahren. Aber damals dachte ich zum zweiten Mal, dass ich offensichtlich nicht begabt war und verstummte erneut.
Dieses Scheitern beim zweiten Anlauf, nachdem es schon beim Schreiben unerklärliche Schwierigkeiten gegeben hatte, zeigte, dass ich etwas ganz Fundamentales nicht begriffen hatte. Trotzdem hatte ich im Scheitern etwas Wichtiges erfahren: die Faszination der Filmbilder, in denen Außenwelt, Vergangenheit, Gegenwart, die Personen und die Objekte zu retten und zu rekonstruieren waren. Das Bilderarsenal, dieser wahre Friedhof der Moderne, wurde für mich zum Schlüssel. Und mit diesem nun geschärften Blick entdeckte ich eines Tages in einer Buchhandlung ein Fotobuch mit den Fotografien von August Sander. Sander hatte in den Zwanziger Jahren Menschen fotografiert wie Ahnentafeln einer großen Soziologie der deutschen Stände. Diese Menschen, die, meist in Berufskleidung, aufmerksam und frontal in die Kamera sehen, sind ein Stück Geschichte einer Welt, in der das Individuelle und das Archetypische noch nicht auseinander gefallen sind. Selbstbewusst legen sie Zeugnis ab von sich und ihrer Welt gleichermaßen, ohne den Riss, der eines der Kennzeichen der Moderne ist.
Diese Fotos übten einen ganz starken Reiz auf mich aus und ein mögliches Projekt begann sich um die Spannung zwischen Individuum und Archetypus herum zu bilden. Es hieß nicht mehr Aufbrüche als Film über den Nullpunkt eines autobiografischen Wunsches, sondern Tue recht und scheue niemand als Film über das reale Leben einer Frau in den letzten 60 Jahren deutscher Geschichte, inspiriert von der Materialität der Fotos von August Sander, in denen Individuelles und Archetypisches miteinander verschmilzt.
Diese Frau, um die es gehen sollte, war ein treues Kind ihrer kleinbürgerlichen Klasse. Sie sollte ihr Leben erzählen, das prototypisch abgelaufen war in dieser metaphysischen Wesenlosigkeit, wie die damalige Geschichte es für Frauen vorgesehen hatte, mit den Anforderungen und Verhinderungen, denen sich die Frauen zu beugen hatten, ihren verdeckten Kämpfen und ihrer oft lautlosen Rache, den uneingelösten Hoffnungen eines zu braven, weil ewig kindlichen Lebens und der möglichen Auflehnung dagegen.
Es ging mir um die weibliche Sicht auf die Gesellschaft und deutsche Geschichte, denn jedes Leben in dieser Zeit war gezeichnet von den deutschen Katastrophen und hatte sich dazu zu verhalten in Anpassung oder Widerstand. Am Leben dieser Frau würde deutlich werden, wie schwierig es war, sich von den kollektiven Erwartungen und Zuschreibungen zu distanzieren und dass es doch geschehen musste. Ich musste eine ältere Frau finden, die mir ihr Leben so erzählen würde und diese Erzählung würde ich als Modell nehmen für viele andere Leben, archetypisch und persönlich gleichzeitig. Das war mein Wunsch.
Diese Erzählung und die Frau, die erzählte, hatte ich längst gefunden. Es war meine Mutter. Auf der Suche nach dem Punkt, wo die leere Bewegung des autobiografischen Wunsches endlich beginnen konnte, war ich schon vor einiger Zeit zu ihr gegangen und hatte lange Gespräche mit ihr auf Tonband aufgezeichnet. Sie hatten geruht als körperlose Sprache und Stimme, bis die Fotos von August Sander sich als die dazu gehörigen Körper unterschieben konnten.
Die privaten Erzählungen meiner Mutter hätten wohl auch weiter geruht, denn das Private einer sehr normalen Frau war damals nicht kunstwürdig, wenn nicht die Fiktion eines historischen und soziologischen Paradigmas ihnen eine allgemeine Würde gegeben hätte. Und – was noch wichtiger war, aber ich brauchte Jahre, um das zu begreifen – dieses Paradigma milderte für mich den Schrecken, der in der Konfrontation mit der Mutter lag. Ich bildete mir ein, dass sie die Lieferantin der weiblichen Sicht auf die Geschichte sein würde, ich erklärte sie zum Modell für „Frauen und Deutschland“, prototypisch in ihrem masochistischen Wiederholungszwang, dem wahren Leben nachzulaufen, und erklärte ihren Konsumeifer und ihren hektischen Drang, Versäumtes nachzuholen als Klassen- und Generationsproblem.
Daran war viel Richtiges, wie mir die Reaktionen auf den Film gezeigt haben und es deckte eine unbekannte Sicht auf die Historie auf. Aber es erfüllte für mich einen anderen Zweck. In Wirklichkeit benutzte ich die Historie, um das Bild meiner Mutter in ihr zu verstecken, damit ich die Konfrontation wagen konnte.
Das Bedürfnis, sie zum sozialen Paradigma zu machen, kam aus der Angst, sich mit dem Einmaligen, was die Mutter für die Tochter ist, zu konfrontieren. Als ich nach den beiden ersten gescheiterten Versuchen, in den (autobiografischen) Spiegel zu blicken, um mich zu sehen, endlich etwas sah, sah ich meine Mutter. Und dieses Bild erschreckte mich und dieses mein Erschrecken erschreckte mich zusätzlich.
Ich hatte zu begreifen, dass kein Weg daran vorbeiführte, dass meine Autobiografie nicht mit mir, sondern mit meiner Mutter begann. Bevor die Generationenkette geleugnet oder durch Aufbrüche zerrissen werden konnte, musste sie zuerst einmal rekonstruiert werden. Das Bild der Mutter musste aus den verinnerlichten Tiefen des Lebens der Tochter befreit werden, damit die Tochter sich befreien konnte.
Meine Generation war die erste, die mit Hilfe der Pille klar die Entscheidung treffen konnte, nicht Mutter zu werden und so einen Generationenvertrag aufzukündigen, der die Frauen verpflichtete, ihren Körper immer wieder zum Spiegel des mütterlichen zu machen. Wenn es aber wirklich so ist, dass das eigene Kind der beste Halt gegen die Tendenz der Tochter ist, sich in der Mutter aufzulösen, und bis zu dem Zeitpunkt, als Freud das schrieb, keine anderen gesellschaftlichen Riten bekannt waren, die denselben Zweck verfolgt hätten, dann musste die erste feministische Generation ein Ersatzritual dafür finden, wenn sie nicht mit dem Problem der Mutter-Tochter-Fusion ein Leben lang kämpfen wollte.
Ich fand diesen Ersatz darin, dass ich das Bild der Mutter in dem Medium rekonstruierte, das ja wie kein anderes die Prozesse des Unbewussten in Gang hält. Und diese Bewegung des Rekonstruierens, die ja auch die psychoanalytische ist und für meine filmische Methode längere Zeit bezeichnend blieb , machte mich zur Schöpferin eines von mir unterschiedenen und abgetrennten mütterlichen Objektes. Sie kehrte das Verhältnis zwischen mir und meiner Mutter um und verschob es gleichzeitig von der semiotischen Ebene, da wo die Körper im Spiel sind, auf die symbolische, da wo die Zeichen regieren.
Es hätte natürlich nicht funktioniert, wenn das nicht alles vollkommen unbewusst geblieben wäre. An der Vorstellung, es handele sich beim Leben meiner Mutter um ein Modell für etwas Allgemeineres, in dem die deutsche Geschichte, mein und einer ganzen Generation großes Trauma, die Hauptrolle spielt, musste ich festhalten. Der Prozess des Machens selbst war dann ein schrittweises Zugehen auf die Tatsache, dass die Frau, die ihr Leben erzählte und die dann auch fotografiert wurde, eben nicht irgendeine war, sondern die, der ich mein Leben verdankte.
Denn meine eigene Selbsttäuschung war auch die meiner eher schüchternen und unsicheren Mutter, die sich nicht für so wichtig hielt, dass man über ihr Leben einen Film machen sollte. Als ich sie in kleinen Szenen fotografieren ließ, um die Einzelbilder zu Fotosequenzen zusammenzustellen, war die Begründung, die ich mir selbst gab, weil nun absolut nicht mehr wegzuleugnen war, dass es ihr Bild war und kein anderes: „Mit anderen geht es nicht so gut wie mit ihr“. Das war eine glatte Lüge, denn sie hatte sich lange geweigert und es hatte viele Begründungen gebraucht, bis sie einwilligte. Schritt für Schritt mich selbst mit immer neuen Raisonnements abspeisend, näherte ich mich meiner Mutter, um ihr das Bild abzuringen, das diese Frau mir freiwillig nicht geliefert hätte.
Ihre eigene Kooperation kam aus der Begründung: „Ich muss aufpassen, dass es richtig wird“, denn sie hatte sich inzwischen akzeptiert als das soziologische Paradigma, das ich ihr eingeredet hatte, meine Selbsttäuschungen waren auch ihre geworden. Dass das bei ihr eine geheime und langsam wachsende Lust an ihr selbst verbarg, war ihr anzumerken. Als ich sie bat, noch einmal, unter besseren technischen Bedingungen und in stärker geraffter Form zu erzählen, was sie mir schon einmal auf Tonband erzählt hatte, war die Begründung für ihre anfängliche Weigerung: „Dann wird es ja ein Film über mich“. Ich ging zu ihrer Kusine und stellte sie vor die unlösbare Aufgabe, mir das Leben meiner Mutter so zu erzählen, als wäre es ihr eigenes. Theoretisch hätte das ja eine glänzende Rechtfertigung meiner Methode sein müssen. Aber es ging natürlich schief, der Cousine fiel zu der Aufgabe, das Leben meiner Mutter als ihr eigenes zu erzählen, nicht viel ein. Und so konnte ich äußerlich bekümmert, innerlich zufrieden, zu meiner Mutter zurückgehen und erzählen, dass das Unternehmen gescheitert sei.
Sie kapitulierte ein zweites Mal. Und beide Kapitulationen hatten den praktisch-mütterlichen Hintergrund, dass sie sich plötzlich verantwortlich dafür fühlte, dass der Film auch kommerziell gelingen musste. Mein neuer Beruf als Filmemacherin und Produzentin war ihr suspekt und sie hatte Angst, dass ich bei einem Scheitern des Films für den Produktionsetat haften müsse. Die ganz kleine Summe, die das Fernsehen mir zur Verfügung gestellt hatte, schien ihr unendlich viel Geld zu sein. Ihr mehrere Male mit drohendem Unterton gesprochener Satz: „Ich tue das nur, weil du meine Tochter bist“ meinte das, trifft aber auch die unbewusste Geschichte des Projektes mitten ins Herz. Ein mütterlich-töchterliches System von gegenseitiger unbewusster Übereinstimmung und unbewusstem Selbstbetrug.
Der Film heißt also Tue recht und scheue niemand und es ist ihr Film geworden, wie sie zu meiner großen Erleichterung sagte, als sie ihn am Schneidetisch sah. Er besteht nur aus Fotos, Fotos von gesellschaftlichen und politischen Situationen, vielen Fotos unidentifizierter Privatpersonen, Fotosequenzen meiner Mutter und einer Reihe der Fotos von August Sander. In den vielen historischen Fotos ist ihre Person lange Zeit gar nicht zu erkennen, sie verschwindet in der Masse der Dokumente. Erst im letzten Drittel, als sie beginnt, gegen ihr bisheriges Leben aufzubegehren, tauchen immer wieder das eine Gesicht und der eine Körper auf, die beide ihre sind. Aus der Anonymität erobert sie sich ihr Abbild. In Fotosequenzen wollen die Bilder, die alle Schnappschüsse einer Situation sind, sich ruckartig über ihre eigenen Grenzen hinwegbewegen, als wollten sie laufen lernen und fallen doch immer wieder in ihre Unbeweglichkeit zurück.
Fotos erlaubten mir, ihre Flucht vor der Individualität, die ja auch Verantwortung bedeutet, visuell zu vermitteln. Unverwechselbar und konkret ist ihre Stimme, denn sie erzählt ihr Leben selbst. Kontrapunktisch dazu erzählen die Fotos dieselbe Geschichte als archetypische Momente und in diesen konkreten Bildern verbirgt sie sich selbst und macht sich unsichtbar und anonym. Über weite Strecken des Films ist ihr Körper verborgen in den Körpern der vielen Unbekannten, die gemeinsam den kollektiven Corpus des Films bilden.
Am Ende sitzt sie mit ihrem Mann, meinem Vater, auf dem Sofa und beide sehen frontal in die Kamera wie die von August Sander vor 50 Jahren fotografierten Menschen es gemacht hatten. Die Pose ist dieselbe, aber die Vergangenheit ist nicht einzuholen. Denn jetzt sind die Bilder nur von einem Angestellten der noch existierenden Firma Sander gemacht, August Sander ist längst tot. Das Bild ist ein flaches, diffus ausgeleuchtetes Produkt einer grauen Angestelltenkultur. Dazu sagt meine Mutter: „Das Alte kann ich nicht mehr und das Neue weiß ich nicht, wie das geht.“
Geschichte wird nur als Biografie erfahrbar und Biografie formt sich unter dem Druck der Geschichte. Das, was ich als die Schwierigkeit, auch das teilweise Versäumnis ihres Lebens sah, dass sie ständig von sich in der dritten Person Neutrum geredet hatte: „man tut dies“, „man darf nicht jenes“ war es gleichzeitig, was mir die Möglichkeit gab, den Film in dieser ästhetischen Form überhaupt zu machen.
Fotos zeigen das Bild, das sich ein Individuum oder eine Klasse von sich selbst macht als Geschichte des Privaten. Die Verschränkung von Biografie und Geschichte gibt dem Film zwei Protagonisten. Neben meiner Mutter ist die Geschichte selbst Subjekt des Films. Im Studio, nachiniszeniert, wäre sie zwangsläufig zur Kulisse geworden. Fotos sind selbst Geschichte, in ihnen erzählt sich die Historie selbst „autobiografisch“.
Diese Verschränkung von Biografie und Geschichte ist nur eine von mehreren, die dieser Film in sich verbirgt. Eine andere ist die von Sehen und Hören und damit verbunden die von Körper – Nichtkörper. Im Englischen hat das eine Nebenbedeutung, die das Deutsche nicht hat: body – nobody, wer keinen Körper hat, ist ein Niemand.
Geschichte ist auch die Geschichte der Körper, deshalb war der Film für mich nicht vorstellbar mit Schauspielern und deshalb hat sich durch alle Mühen der Selbsttäuschung hindurch schließlich das Bild und der Körper meiner Mutter, spät im Prozess des Drehens und auch spät im Film, durchgesetzt. Ich folge den Spuren dieser Frau, indem ich ihrer Stimme folge, dieser Stimme ohne Körper, entkörperlichten Stimme, meiner Muttersprache. Sprache lernen heißt: die Muttersprache lernen. In meinem ersten Film bin ich stumm und lausche der Muttersprache. Um als Filmemacherin in Bildern sprechen zu lernen, leihe ich mir die Stimme meiner Mutter. Die Filmsprache lernen, hieß für mich: zusammen mit meiner Mutter das Reich der Bilder erobern, das wie alle Momente des Symbolischen von Männern beherrscht, verwaltet und tradiert wird.
Auf diesem Weg nahm ich sie mit und ohne sie hätte ich es nicht machen können. Der Prozess, in dem sich meine Mutter ihrer selbst als unverwechselbares Individuum bewusst wird, ist gleichzeitig der Prozess meiner eigenen künstlerischen Bewusstwerdung und der Eroberung der künstlerischen Technik, die ich mir ausgesucht hatte.
Die Biografie meiner Mutter ist der Beginn meiner Autobiografie, nicht nur in dem einfachen Sinn, dass ohne sie ich nicht wäre, sondern auch in einem anderen. Sie war die Materie, von der ich zehrte bei meinem Aufbruch in die symbolische Ordnung. Das leere, in sich selbst kreisende autobiografische Begehren hatte endlich seine Materie gefunden und rekonstruierte dabei auch die Anfänge der Geschichte des fotografischen Bildes vom stehenden Bild bis zum Moment, wo das Bild holpernd das Laufen lernt in den Fotosequenzen und doch wieder stehen bleibt.
Wenn ich diesen Film nicht hätte machen können, hätte ich wohl nie einen gemacht. Das Fundamentale, das mir bisher gefehlt hatte, was ich gesucht und nicht gefunden hatte, war jetzt da in Form einer weiblichen Genealogie der Kunst. Das bedingte auch, dass die Materie, in der das autobiografische Begehren jetzt kreisen konnte, nicht spurlos verschwindet, weil sie im Unbewussten konsumiert wird, wie die abendländische Geschichte es mit der weiblichen Materie bisher gemacht hat. Die von mir erzählte Biografie meiner Mutter, in der sie so unverwechselbar präsent ist, dass dieser Film ihre eigene Autobiografie geworden ist, ist der Beginn meines autobiografischen work in progress. Meine Mutter ist der unumgängliche Grundstein: aber als matrix, nicht als Material.
Gerade deswegen fehle ich in diesem Film. Meine Mutter erzählt von der Geburt ihrer Tochter, die ich bin, und den Träumen, die sie für diese Tochter hat, aber dann verschwindet die Tochter vollkommen. In dem Moment, wo diese Frau zur Mutter wird, wird dem Film ihr Mutter-Sein unwichtig. Was er dann erzählt, ist nur noch ihr eigener Prozess der Bewusstwerdung als Frau und menschliches Wesen.
Hätte ich sie als Mutter beschrieben, hätte ich mich als Tochter nicht aussparen können. Zu dieser Konfrontation war ich damals noch nicht fähig. In Tue recht und scheue niemand bin ich anwesend als Stimme, die wie eine gesellschaftliche Instanz funktioniert. Ich spreche die Texte, mit denen ihr Leben konfrontiert und kommentiert wird. Die Auseinandersetzung mit ihrem so sehr ausgesparten Körper brauchte einen eigenen Film, Hungerjahre, den ich erst fünf Jahre später machen konnte. Die autobiografische Bewegung, in die ich mich mit Tue recht und scheue niemand hineinbegeben hatte, brauchte noch eine Zwischenstation, in der ich mich probehalber ein Stück stärker an mich selbst heranwagte. Es ist ein Film über meine beste Freundin, in dem ich selbst eine gewichtige Rolle spiele, aber dargestellt durch eine Schauspielerin. Dieser Film heißt Ein ganz und gar verwahrlostes Mädchen. Er ist wie das Atemholen vor der großen Mutprobe von Hungerjahre, der zu Tue recht und scheue niemand passt wie die andere und jeweils immer verborgene Seite der Medaille.
In Hungerjahre wird das erzählt, was in Tue recht und scheue niemand ausgespart blieb: die schwierige Geschichte zwischen meiner Mutter und mir, die in das Verstummen geführt hatte, das ich dann Jahre später durch Schreiben hatte beenden wollen. Hungerjahre zeigt den Kampf zweier Körper um die Ablösung, die der erträumte Beginn der Freiheit für die Tochter sein soll. Für die Mutter aber wäre diese Ablösung das Ende der Fusion und damit die Negation ihrer eigenen Existenz. Für die Tochter ist der Körper der Mutter die Blockade, die den Weg ins Freie versperrt. Langsam setzt ein selbstzerstörerischer Prozess ein, der mit dem Verlust der Sprache beginnt und mit der Zerstörung des eigenen Körpers im versuchten Selbstmord endet.
Erst nachdem ich diesen Film gemacht hatte, wurde mir klar, warum mir jetzt im Film möglich war, was in der Schrift nicht möglich gewesen war. Diese Autobiografie, die ich mich so sehr bemüht hatte zu beschreiben, war die eines doppelten Verlustes: Verlust des Körpers und Verlust der Sprache und das erste bedingte das zweite. Bevor die Sprache wiedergewonnen werden konnte, musste erst der Körper rekonstruiert werden. Weibliche Identitäten sind anders und viel dramatischer an den Körper gebunden als männliche. Im autobiografischen Schreiben aber, in der Aneinanderreihung der Worte, ist der Körper unerreichbar.
Die sehr junge Schauspielerin, eine Nicht-Professionelle, die in Hungerjahre mich spielt und so ganz anders war und aussah als ich gewesen war und ausgesehen hatte, wurde zum Garanten dafür, dass dieser Film überhaupt zu machen war. So wie der fotografisch-dokumentarische Gestus in Tue recht und scheue niemand die Bedingung dafür gewesen war, dass ich das Bild meiner Mutter schaffen konnte, so war die Fiktion die Bedingung für mein eigenes Bild.
Die Rekonstruktion meines verlorenen Körpers in dem der Schauspielerin geschah nicht als der eigene, sondern als „der andere“, anderer als der der Mutter und anderer als der des aus dem OFF sprechenden Ichs. Aber es ist meine eigene Stimme, die den Prozess des Erinnerns in Gang setzt. Das Autoren-Ich ist körperlos, sein Körper ist nicht auf, sondern vor oder hinter der Leinwand. In dieser Beziehung von Ego und Imago erlaubte mir die Fiktion in einer bestimmten Form der stilistischen Gratwanderung das autobiografische „Ich“. Es geschah in der Weise, wie Rimbaud es schon vor 100 Jahren formuliert hatte: „Je est un autre.“
Dieser doppelte Schritt sollte die Symbiose auflösen, nicht nur die mit der Mutter, sondern auch die mit mir selbst. Auch die Fusion von „Je“ und „moi“ ist eine Fusion und schließt einen Riss, den ich offen halten wollte. Das symbiotische Ruhen in sich selbst, hätte die Bewegung, die doch erst gerade anfing und reflexiv weitergetrieben werden musste, schon wieder still gestellt.
Auch im Film selbst ist das Ende der autobiografischen Suche nicht eine durch kathartische Erinnerung errungene „Identität“, sondern die Zerstörung des Abbildes im Feuer. Dieses Bild, ein Bild der Schauspielerin, war mir so ähnlich, dass meine Redakteurin peinlich berührt sagte, so weit dürfe man den Narzissmus nicht treiben. Ich konnte sie davon überzeugen, dass es nicht mein Bild war. Wäre es das aber gewesen, wäre deutlicher geworden, dass das autobiografische Begehren unter den Bedingungen, wie ich es erlebt hatte, auch ein Kreisen um die narzisstische Leerstelle war. Die entsteht, wenn weibliches Begehren etwas anderes will als das durch viele Jahrhunderte übliche Ausstellen des Körpers als eines begehrenswerten Handelsobjektes im Geschlechterarrangement.
Das junge Mädchen aus Hungerjahre, dem der Körper und die Sprache verloren gehen, versucht, sie sich wieder anzueignen durch Schreiben und Essen, am besten beides zusammen und gleichzeitig. Es sitzt am Tisch und versucht zu schreiben und kaut dabei rohe Nudeln und gezuckerte Kondensmilch. Aber das Ergebnis selbstquälerischer Bemühungen ist eine leere Seite, auf der oben das Wort „Kurzgeschichte“ steht und dann hört man den Satz: „…..sprachen sie immer noch kein Wort.“ In der darauf folgenden Phantasie sieht sie die von den Atombombenversuchen in der Wüste von Nevada zerfetzten Körper der Puppen, die stellvertretend für die Menschen, der Zerstörung ausgesetzt waren. Ein Bild ihrer eigenen inneren Katastrophe.
Geht der Körper verloren, geht auch die Sprache verloren und kann über die Schrift nicht wiedergefunden werden. Aber dieser Verlust kann im Bild gezeigt werden, weil das Bild mit der Stummheit des Fleisches leben kann. Wort und Fleisch kommen in der abendländisch-christlichen Mythologie nur zusammen im göttlichen Schöpfungsakt. Die Autobiografie ist auch ein Versuch des Selbstschöpfungsaktes, der in der Logik des abendländischen Individualismus steht und heute keiner Frau erspart bleibt. Aber er nimmt für Frauen andere Formen an als die uns von der überlieferten Kultur vertrauten, die für Männer gelten.
Jetzt erst, nach dem dritten Film, betrachtete ich das Filmemachen als Beruf, so weit man das überhaupt unter den deutschen Bedingungen kann. Die autobiografische Bewegung hatte von der „expression“, die aus der „confession“ kam, in die „profession“ geführt, die Beziehung zwischen Ausdruckswunsch, Überleben und sozialer Repräsentation war zu einem gewissen Ruhepunkt gekommen.
In einer Diskussion meines Films Bertolt Brecht – Liebe, Revolution und andere gefährliche Sachen, den ich sehr viel später gemacht habe, wurde mir die Frage gestellt, ob ich nicht Lust hätte, nach dem Film über meine Mutter auch einen Film über meinen Vater zu machen. Ich wunderte mich selbst, dass ich diese Lust nie gehabt hatte. Die Fragerin beantwortete ihre Frage aber dann selbst und so, dass ich für eine Weile verstummte: „Sie haben es ja mit diesem Film gemacht“. Manchmal reicht ein solcher Satz, um einen neuen Zusammenhang zu eröffnen. So war es hier.
Ich habe mich mit Brecht und seinen verschiedenen Frauen in zwei Filmen beschäftigt und hatte einen dritten geplant. Es ging mir aber nicht um einen phantasierten Familienroman, in dem die großartige Gestalt des Bertolt Brecht zum erwünschten Ahnen wird und so die eigene Existenz vergoldet. Die Gestalt des Stückeschreibers Brecht steht für eine notwendige Auseinandersetzung mit dem Vater als kultureller Instanz, die bei mir bisher keine Rolle gespielt hatte, weil ich in der Konfrontation mit der Mutter an der weiblichen Genealogie der Kunst gearbeitet hatte. Die Auseinandersetzung mit dem Vater findet auf der symbolischen Ebene statt, nicht auf der der Körper, sondern, da, wo er den Zugang zum Reich der Kultur verspricht und blockiert, offen hält und zugleich verweigert.
Weiblicher Körper und Kultur sind zwei unterschiedliche Welten. Kunst ist nie geschlechtsneutral, aber die Formen, in denen sich das zeigt, sind sehr unterschiedlich. Der Riss, den ich zwischen beiden erlebte, spielt in den Autobiografien, die wir kennen und das sind die der Männer, keine Rolle. Für das Männliche funktioniert die Kultur als der große Spiegel, der den kleinen privaten des Lebens, der die Mutter gewesen war, ersetzt. In der Summe der kulturellen Produkte erkennt das Männliche sich immer wieder als „Identisches“, auch in Ablösung und Revolte. Der Körper wird nur dann zum Hauptakteur, wenn er nicht mehr funktioniert in Krankheit oder Tod, bis dahin aber kann er als Quelle des Unbewussten und Gefäß für den Geist unbegriffen bleiben. Und so bleibt dem Männlichen auch die Mutter im Halbdämmer einer unkulturellen, privaten Zuneigung. Die Revolte richtet sich gegen die väterlichen Instanzen um den jeweils avanciertesten Posten der Avantgarde und das Neue ist neu im Vergleich zum Alten.
Welche Form kann eine andere, weibliche Kunstproduktion annehmen, wenn Frauen sich in der Kultur nicht gespiegelt sehen, das „Andere“, das mit der Revolte verbunden ist, eine solche Spiegelung aber voraussetzt? Das Wort „weibliche Kunstproduktion“ stößt in Deutschland oft auf eine Bandbreite von Gefühlen zwischen Ärger, Verleugnung und Spott. Das ist auszuhalten, wenn man sich klar macht, dass es an zwei traditionelle Pfeiler deutscher Identität stößt: Kunst und Mutter.
Als filmende, in die Kulturproduktion vorgedrungene Frau, mache ich die Erfahrung, dass meine weibliche Autobiografie das Autobiografische auf zwei unterschiedlichen Ebenen betreiben muss: auf der semiotischen, wenn es um die Mutter, auf der symbolischen, wenn es um den Vater geht. Ein Strang ist die Autobiografie des Leibes, ein anderer die der Schrift als für mich wichtigster Teil der väterlichen Kultur von Gesetz und Symbol. Deshalb begreife ich meine beiden biografischen Filme über die schreibenden Frauen Rahel Varnhagen und Margarete Steffin Kolossale Liebe und Lieben Sie Brecht? als den anderen Teil meiner autobiografischen Bewegung und das Aufnehmen ihrer Sprachen und Schreibversuche als einen Teil der eigenen Sprache.
Ich habe in diesen beiden Filmen wieder das getan, was ich schon in Hungerjahre und Ein ganz und gar verwahrlostes Mädchen getan habe: ich habe die Worte der anderen zum Teil meiner eigenen filmischen Sprache gemacht. Jeder dieser Filme besteht im Soundtrack immer aus mehr als 80% der eigenen Sprache der Protagonistinnen. Bei Steffin und Rahel sind das Zitate aus ihren Werken, Briefen und Tagebüchern. Mit der Sprache aller dieser Frauen ausgerüstet, bekannter Frauen, berühmter und unbekannter Frauen, ging ich in die Konfrontation mit dem symbolischen Vater.
In der Moderne ist das Subjekt nicht einfach da, es muss sich konstruieren. Wie konstruiert sich aber das weibliche Subjekt? Die Fragen, die aus Identitätskrisen kommen und auf autobiografische Verarbeitung drängen, sind nur reflexiv anzugehen. Biografie wird in der Reflexion produziert, nicht nach dem Muster des Lebens reproduziert. Wenn es aber nicht mehr um das Leben als Vorbild und die Autobiografie als Abbild dieses Vorbildes geht, dann kann Identität in der Summe der Passagen durch reale und fiktive Körper hindurch bestehen. Kunstformen können zum Horizont von autobiografischen Entwürfen werden, ohne dass das zum Lebensverlust wird oder zum Dandytum.
Immer wieder wie in Fieberschüben taucht in der modernen Kunst die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Leben auf. Wenn Autobiografie kein Genrebegriff der Literatur mehr ist, sondern in ihr als work in progress eine Vermittlung von Kunst und Leben geschieht, kann sie zur Begründung von Identität werden, wenn diese nicht fälschlich begriffen wird als ein Ding, das man erreichen will und dann hat oder auch verfehlt. Das bedeutet nicht, das Leben als Kunstwerk zu verstehen, wie der Dandy es tut, oder die Kunst als Gebrauchsanleitung zum wahren Leben, wie die feministische Bewegungsliteratur es getan hat.
Autobiografie, die ich inzwischen nur noch als Autobiografie im Prozess überhaupt denken kann, ist bei mir immer noch auf der Suche nach dem Platz, den Frauen in dieser Kultur wirklich einnehmen können jenseits der Tatsache, dass sie inzwischen hier und dort ausgestellt werden, man ihre Filme sehen und ihre Bücher kaufen kann, dies alles immer noch mehr, mal weniger marginal.
Das Subjekt, von dem alles ausgeht, selbst wenn es sich noch nicht hat, und das Subjekt, auf das alles zuläuft, ist dasselbe und doch immer ein anderes, ein Subjekt in ständiger Bewegung und fortgesetztem Oszillieren. Diese Bewegung kann auch in der Logik der abendländischen Entwicklung die Bewegung zwischen Bild und Wort sein. Wir treten ja mit der Explosion der Neuen Technologien gerade in eine neue Phase dieser Entwicklung ein. Frauen müssten hier eingreifen, damit nicht die Spaltung von Körper und Geist ein weiteres Mal in der Spaltung von Bild und Wort verewigt wird.
Identität und Biografie sind Objekte des Begehrens, nichts, was sich durch die Summe des Gelebten zwangsläufig ergibt. Sie hängen zusammen mit einem störungsfreien Austausch zwischen dem Individuum und dem Platz, an dem es lebt. Dieser Austausch war für Frauen nicht vorhanden und deshalb war auch vom Beginn der Frauenbewegung an das autobiografische Bedürfnis so groß. Sollte dieses Bedürfnis heute nicht mehr in gleichem Maße bestehen, würde das nur heißen, dass eine jüngere Generation einen heißen Wunsch nach Ruhe hat, die man eine Weile als Normalität begreifen kann. Und sie unter allen Umständen leben will. Es heißt aber nicht, dass die Fragen erledigt sind.
Zuerst veröffentlicht in Woman in German, Yearbook 11
Zuerst veröffentlicht in Woman in German, Yearbook 11
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Scheue niemand
von Claudia Lenssen,
aus der taz vom 25. 6. 2016
Vom Pathos des Leibes
von Jutta Brückner
In: Ästhetik und Kommunikation 57/58
Über Wege zum Film, Bedeutung des Raumes, Liebeskonzepte, Eigenarten der bundesdeutschen Frauenbewegung.
Gespräch zwischen Jutta Brückner und Erika Richter
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von Claudia Lenssen,
aus der taz vom 25. 6. 2016
Vom Pathos des Leibes
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