Lieben Sie Brecht?

Spielfilmessay 1992
62 Minuten

Team

Buch und Regie: Jutta Brückner
Kamera: Margit Frank
Ton: Andreas Ruft
Schnitt: Anke Schäfer
Musik: Archive

Produktion

Jutta Brückner-Filmproduktion in Koproduktion mit ARTE und Filminstitut HdK

Cast

Edda Leesch, Irmtraud Gandolf

Credits

[Team]
Buch und Regie: Jutta Brückner
Kamera: Margit Frank
Ton: Andreas Ruft
Schnitt: Anke Schäfer
Musik: Archive

[Produktion]
Jutta Brückner-Filmproduktion in Koproduktion mit ARTE und Filminstitut HdK

[Cast]
Edda Leesch, Irmtraud Gandolf

Lieben Sie Brecht?

Ein Film über eine, die es tat.

Es ist 1941. Bertolt Brecht ist mit seiner Frau Helene Weigel, den Kindern Barbara und Steff und seiner Sekretärin, Mitarbeiterin und Geliebten Margarete Steffin in Moskau. Sie sind auf ihrem Weg nach Amerika, auf der Flucht vor dem deutschen Angriff auf die SU. Steffin muss in Moskau bleiben, ihre alte Lungentuberkulose bricht wieder auf, sie muss in ein Sanatorium. Sie ist 33 Jahre alt, als sie dort stirbt, während Brecht mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok reist, um das letzte Schiff zu bekommen, das noch in die USA fährt. Brecht sprach zwei Tage nicht mit seinen Reisegefährten, dann widmete er ihr ein Gedicht.

ausführliche Inhaltsangabe

Margarete Steffins Leben begann in den Berliner Hinterhöfen. Als sie starb, war sie die wichtigste Mitarbeiterin eines schon zu Lebzeiten als Klassiker angesehenen Schriftstellers. Das kommunistische Arbeiterkind folgte Brecht und seiner Familie durch alle Stationen des Exils. Sie war ihm der “kleine Soldat der Revolution“, unentbehrlich für die Kenntnis der Arbeiterklasse, über die der bürgerliche Dichter schrieb, von der er aber nichts wusste. Dass sie eine Übersetzerin von hohen Graden war, eigene Gedichte, Erzählungen und Stücke schrieb, war längere Zeit vergessen, ebenso vergessen wie ihr Anteil an Brechts klassischen Stücken von „Furcht und Elend des Dritten Reichs“ bis zu „Mutter Courage“. In der Ausgabe von Brechts Gesammelten Werken wird das schamhaft in einer winzigen Notiz versteckt. Da ging es ihr nicht viel anders und besser als Elisabeth Hauptmann und Ruth Berlau, seinen beiden anderen wichtigen Mitarbeiterinnen, deren Mitarbeit an seinem Werk ebenso für lange Zeit verdrängt wurde. Sogar eine so international bekannte Schriftstellerin wie die Finnin Hella Wuolijoki musste erdulden, dass ihr Puntila-Stück , das Brecht dann zu „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ verarbeitete, nur unter seinem Namen veröffentlicht wurde.

Die Beziehung zu Brecht bedeutete für Steffin großes Glück und großes Leid. Brecht schätzte sie als unentbehrliche Partnerin beim Stücke-Schreiben und als Geliebte, der er viele erotische Sonette widmete. Aber sie hatte sich ebenso mit der Ehefrau Helene Weigel abzufinden, wie diese mit ihr und beide ab 1936 mit der nächsten Mitarbeiterin und Geliebten Ruth Berlau. Diese mühsame, von ständigen Spannungen bedrohte Balance im Hause Brecht, forderte von allen Beteiligten starke Nerven und unausgesetzte Beherrschung.

Bert Brecht und die Frauen, ein Kapitel aus der Geschichte des Verschweigens und Verschleierns. Weibliche Materie verströmte sich als Material für Stücke und Leben der Künstler-Männer: als unentbehrliche Hilfe bei der Arbeit, als inspirierendes Reservoir für die Prozesse des „Anderen“, als – „Spion“ für die Bewegungen des Lebens, das der Künstler sich versagte. Nur so konnte das Werk in der Arbeitsteilung zwischen Kunst und Leben gedeihen. Sie verströmte sich im Praktischen, in der konkreten Dienstleistung, und sie blieb anonym, auch wenn diese Dienstleistung für das Werk unentbehrlich war. Denn der Stoff, von dem der künstlerische Logos sich nährt und den er zur Form wandelt, hat keine eigene Form und wird nicht erkennbar.

Warum machte Steffin, machten die anderen, da mit? Die oft ohne gewollten Zynismus gegebene Antwort ist, dass sie schließlich auch was davon gehabt hätten und ohne den großen Meister und Anreger namenlos und ohne eigenes Werk geblieben wären. Dahinter steht dann unausgesprochen der Verdacht, sie seien eben nicht begabt genug gewesen, um selbständig als Künstlerinnen bestehen zu können. Dieses Argument ist geschichtsblind. Elisabeth Hauptmann war einverstanden, dass ihre Stücke unter Brechts Namen veröffentlicht wurden, weil sie wusste, dass niemand die Stücke von Elisabeth Hauptmann drucken würde. Begabung definiert sich nicht abstrakt, sondern über einen Markt. Die Nähe zum Künstler war der erste Schritt heraus aus der anonymen, bedeutungslosen Existenz als Materie, die Frauen aufgedrückt war als Wesensgesetz. Der Künstlermann wurde den Frauen zum Partner auf ihrem Weg in eine Öffentlichkeit, die sich ihrer Kunst nur langsam und mühselig öffnete; die Liebe zu dem einen Mann zur Voraussetzung, sich der oft feindseligen und spöttischen Gemeinschaft der vielen Männer, Kritiker und Publikum, zu stellen; der Geliebte zum Spiegel, vor dem sie sich heimlich erprobten, um den Schock der Konfrontation mit der Öffentlichkeit zu bestehen. Jemand wie Brecht, der seinen Freundinnen und Geliebten Mut zu eigenem Schreiben machte, war erst einmal der Traummann für Frauen, die schreiben wollten. Aber wie jeder Lehrer setzte er die Maßstäbe und das waren seine eigenen männlichen, die ebenso viel halfen wie auch wieder verschütteten, denn Schreiben ist kein geschlechtsneutrales Unternehmen. Marieluise Fleißer hat darüber Rechenschaft abgelegt und auch über die Strafe, die auf dem Fuß folgte, wenn man sich der Zuordnung auf den durch einen Mann dominierten Kreis entzog.

Der Mann, der diesen Frauen zum Ersatz für einen Markt und eine Öffentlichkeit wurde, die sich den Produkten von Frauen versagten, wurde fast notwendig zum privaten Ausbeuter und Tyrann, weil aufgebläht durch Hoffnungen, die er gar nicht erfüllen konnte. Die Frauen gaben alles, forderten aber auch alles. Seine Liebe sollte ihnen für das zahlen, was die Gesellschaft ihnen verweigerte. Belohnt wurde er mit dem unermüdlichen und im Extrem tödlichen Einsatz der Frauen, die ihre ganze Existenz nur an ihn banden in der hysterischen Forderung oder im masochistischen Leid.

Margarete Steffin hat versucht, sich von Brecht zu trennen, weil sie seine anderen Liebesgeschichten und Affären nicht aushielt. Treulosigkeit in einem solch symbiotischen Verhältnis war nicht zu ertragen. Aber die Weltgeschichte stellte für sie nur das schutzlose Exil zur Verfügung und Brechts Familie und ihre Rolle als seine Sekretärin in ihr blieb die einzige Überlebensstrategie. An ein Weggehen war unter diesen Umständen nicht ernsthaft zu denken. Damit war ihrem Unglück keine Grenze mehr gesetzt. Auch daran und nicht nur an ihrer Lungentuberkulose ist sie gestorben.

Kritik

„Der schöne und elegische, von Jutta Brückner für den Sender ARTE produzierte Film, der dieses Jahr die Brecht-Tage eröffnete, klagte betörend und böse über den Liebesschmerz, den Margarete Steffin durch Brecht zu leiden hatte…“

– Jens Jessen –

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„Einen ‚fiktiv-dokumentarischen Spielfilm‘ hat Jutta Brückner ihren Film genannt, der sich mit dem Tod von Brechts Mitarbeiterin Margarete Steffin beschäftigt, die 1941 auf Brechts Reise vom finnischen Exil über Wladiwostok in die USA in Moskau zurückblieb. Der naherückende Krieg erzwang die rasche Abreise, aber sie entsprach wohl auch Brechts Haltung. Es geht um das autoritäre, Menschen gebrauchende und verzehrende Verhalten eines dem Progressiven verpflichteten Dichters und Arbeitgebers, es geht mehr noch um die Frauen, die aus Liebe ihre eigene Identität zerstören.
Der Film montiert aus Erinnerungen von Ruth Berlau, Tagebucheintragungen und Notizen, Gedichten von Brecht ein Szenarium, darin Dokumentarisches und fiktional Ergänztes mischend. In einem Spiegel ist immer wieder als eine Vision der davongehende Brecht zu sehen, andere Traumbilder zeigen undeutlich eine Frau, die durch ein lichtes Tor schwere Koffer schleppt, und wie sie auf Knien mit ihrer Hände Arbeit den Boden rot einfärbt. Visuelle Metaphern für die Kärrnerarbeiten, Sinnbilder. Wir erfahren von den eigenen literarischen Arbeiten Grete Steffins, die sie aber Brecht nie zeigte, sondern selbst hintanstellte.
Die Krankenzimmerszenen im fahlen Braun, wie auf einer lavierten Zeichnung, tauchen das Spiel in ein Licht, wie es auf Bildern der holländischen Schule, von Vermeer oder anderen her bekannt ist. Ein großer Raum, abgestelltes Mobiliar, ein drapierter Teppich, Kissen wie aus einem Rembrandt-Interieur: Grete Steffin darin in ihrem weißen Kittel, mit Tüchern, wie aus einer Zeichnung der Romantiker. Das morbide bürgerliche Ambiente inmitten des vom Kriege bedrohten Russland gilt einer proletarischen Frau, Autodidaktin in allem, die im Kreise der erlauchten Exilliteraten nur als Brechts Sekretär galt. Und während diese von den großen Umwälzungen sprachen, pflegte sie bürgerliche Tugenden wie Dienen, Pflichterfüllung, Fleiß und endlosen Arbeitseinsatz bis in den Tod.
Der Film bricht in seinen Bildern mit den Stereotypen des Exils. Kein wesentlich neues Bild von Brecht, aber eines der Frauen um ihn. Sichtbar werden die Voraussetzungen, die Brechts literarische Produktivität mit ermöglichten. ‚Liebe und Arbeit, das ist die Falle, da kommst du nicht wieder heraus‘, heißt es gegen Ende. Ein poetischer Film, eine fiktionale Reflexion fürs literarische Publikum.“

– Knut Hickethier –

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