Lieben Sie Brecht?

Gespräch mit der Dramaturgin und Filmkritikerin Erika Richter über „Lieben Sie Brecht?“

ER: Warum interessierst du dich so für Brecht? Für das Kulturverständnis meiner Generation und unseres ganzen Kreises im Osten war Brecht die prägende Persönlichkeit. Aber was ist es bei dir?

JB: Ich mit meiner linken Erziehung – von daher im gewissen Sinne in der Gesellschaft der Bundesrepublik eine Außenseiterin, ich war auch bei den Weltjugendfestspielen in Wien und bin deswegen in diversen Karteien gelandet – fand Brecht wichtig, weil er eine bestimmte Ideologie vertrat, und die war in der Bundesrepublik der 50er und Frühen 60er verpönt, zum Teil verboten. Brecht ist Formalist in dem Sinne, dass ihm die Form sehr viel bedeutet hat. Das traf auf mein Bedürfnis nach Form und deshalb hat er mir so viel mehr bedeutet als z.B. Böll. Dieses Interesse hat sich danach für eine Weile gelegt, aber dann entstand mein Interesse an seinen Frauen. Mich hat immer fasziniert zu erfahren, was es eigentlich war, was diese intelligenten Frauen in seiner Nähe gehalten hat, trotz aller Leiden, die sie erduldet haben. Es war nicht nur die Arbeitsmöglichkeit, die er ihnen in gewissem Umfang bot. Das Entscheidende war für die Frauen immer die Verbindung von Arbeit und Liebe. Liebe ist ja ein historisches Konzept, und vor dem Konzept der romantischen Liebe, das heute für das einzige Liebeskonzept gehalten wird, hat es andere gegeben, z.B. das der vernünftigen Liebe. Niemand wäre noch im 18. Jahrhundert auf die Idee gekommen, dass zwei Leute, die sich vorher nie gesehen haben, sich begegnen, sich ansehen und schon sind sie ineinander verliebt. Das nimmt ja auch der Titel „Ein Blick – und die Liebe bricht aus“ ironisch auf. Es war selbstverständlich, dass man sich zu einer guten Ehe – und das bedeutete auch: zur Liebe – finden konnte, wenn man aus dem gleichen Milieu kam und ähnliche Lebensweisen hatte. Die Entgrenzung, die der Kern des Konzeptes der romantischen Liebe ist, war noch gar nicht denkbar. Und ich behaupte, dass bei Brecht und seinen Frauen, – neben einem anderen schwierigeren Problem, dem von Körper, Sprache und Schrift, – zwei historisch unterschiedliche Konzepte von Liebe zusammengestoßen sind. Bei ihm ist Liebe die Freundlichkeit, die dem Kälteschock abgerungen wurde und viel mit Distanz zu tun hat, bei den Frauen ist Liebe der Wunsch nach dem symbiotischen Paar, das Liebe und Arbeit verschmolzen erlebt. Die Panzerung gegen diesen Anspruch verbindet Brecht übrigens sowohl mit Ernst Jünger als auch mit Carl Schmidt, bei allen ideologischen Unterschieden. Diesen Kälteschock kann man nur dann so stark erleben, wenn man ein tief sitzendes Bedürfnis nach Wärme hat. Brecht ist negativ fixiert auf den weiblichen mütterlichen Körper, auf Verfall, Hautlosigkeit, Regression. Der weibliche Körper ist für ihn ja oft eine Leiche. Da spielen viele Gefühlsebenen eine Rolle, die ihn empfänglich dafür machen, bestimmte Gefühle zwar nicht selbst auszuleben, sie aber ausdrücken zu können. Da Frauen im Medium der Sprache leben und die Frauen der Brechtgeneration Sehnsucht nach der Schrift hatten, war das für sie etwas unglaublich Faszinierendes, und über die Schrift glaubten sie, den Mann zu haben. Sie irren sich dabei, sie haben ihn nie, denn der Mann hat sich in der Schrift abgelöst. Das hat mich sehr früh schon fasziniert. Und an Marie-Luise Fleißer hat mich damals zusätzlich noch die Emanzipationsproblematik interessiert. Sie verlässt Brecht aus Liebes- und Arbeitsenttäuschung, denn er hatte ihr Stück „Fegefeuer in Ingolstadt“ so inszeniert, dass es einen Skandal gab und sie den Rückhalt ihrer Familie verlor. Und ohne Familie konnte sie sich ihr Leben nicht vorstellen. Sie war die einzige seiner vielen Frauen, die das getan hat. Aber was passiert dann? Sie begibt sich in eine völlig konventionelle Ehe und schreibt für die nächsten 25 Jahr fast gar nicht, wird daran fast verrückt, muss sich in Behandlung begeben, und in dem Moment, wo der Mann tot ist, fängt sie wieder an zu schreiben. Dieses Schicksal steht für viele andere Schicksale von schreibenden Frauen im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert. Den Film über sie habe ich bisher noch nicht machen können.

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