„Ereignismaschine: Preußischer Totentanz“ ist ein multimediales Ensemble von Filmvorführungen, Bühnenelementen und Installationen.
Das Stück erzählt von der Wanderung zweier Frauen durch den Faschismus. Ihre Reise beginnt auf einem Bahnhof im Jahr 1988 und treibt sie traum-alptraumhaft immer weiter in die Vergangenheit zurück. Historische Gestalten mischen sich mit fiktiven, die Logik des Traums mit der der Geschichte. Alltagsgeschehen wird überlagert von Bildern, Metaphern und Allegorien, in denen sich die Phantasien und Obsessionen des Nationalsozialismus verdichten.Die Frauen werden mit männlichen Kampfphantasien konfrontiert, Bildern von Berauschung und Untergang, Akten von Heroismus und Mordlust, Askese und Verbrechen; mithin Reaktionsbildungen auf den Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft und einer männlich vorgestellten, autonomen Identität. Darüber hinaus beginnen die Frauen nach den Gründen für die Faszination, die der Nationalsozialismus und besonders die Person Hitlers auf viele Frauen ausgeübt hat, zu fragen. Steckte nicht in den scheinbar politischen Akten ein geheimes Liebesangebot, dem Frauen sich trunken auslieferten mitten in den Auflösungserscheinungen eines bürgerlichen Patriarchats, das nur noch auf tönernen Füßen stand? Steckte nicht in dem Überschuss an scheinbarem Sinn, der in den heroischen Jahren produziert wurde, ein Luxus für die, die bisher ausgesperrt aus der Weltgeschichte in banalen Alltagsräumen leben mussten? Die Frauen fragen weiter und unversehens sind sie mittendrin in der Geschichte, die sie distanziert betrachten wollten.
ausführliche Inhaltsangabe
Hysterie galt damals noch als Frauenkrankheit.
Schon den Zeitgenossen war Hitlers Massenwirksamkeit bei Frauen ein Rätsel. Was war so sexy an „pretty Adolf“, wie amerikanische Zeitungen sich ratlos fragten. Dass im Nationalsozialismus ein Geheimnis lag, das um die Pole von Politik, Gewalt und Sex kreiste, war früh spürbar. Schon die englischen Soldaten bezogen sich darauf, wenn sie ihr Spottlied sangen, dass Hitler nur einen Hoden habe.
Albert Speer spricht von „Hörigkeit“, die er den vernehmenden amerikanischen Offizieren so schlecht erklären konnte, weil es im englischen dafür nur den Begriff „bondage“ gibt, mit dem das Fesseln im sadomasochistischen Szenario bezeichnet wird. Aber es war genau diese versteckt masochistische Erotik, der Hitlers Anhänger und mehr noch seine Anhängerinnen verfallen waren. Eine bisher private, wenn auch massenhaft gelebte Triebkonstellation wurde im Dritten Reich zur politischen Tugend. Was hier stattfand, war die hysterische Symbiose mit dem Körper der Macht. Alle unterbundene und nur ersehnte sexuelle Ekstase ging darin ein. Hitler als ferner Star erlaubte die totale Hingabe, die in Liebesgeschichten ersehnt wird. Das ist ohne Wirklichkeitsverlust nicht zu haben.
Hitler war – wenn auch ohne E-Gitarre auf der Bühne – der erste Popstar der deutschen Geschichte.
Aber ich frage nicht nach Hitler, sondern nach denen, die sich faszinieren lassen, diesen „hysterischen“ Frauen, die am Straßenrand Politik als erotisches Heilsversprechen auf Leben und Tod erleben. Eine von ihnen ist Ursula Scheuner, 21 Jahre alt, Studentin der Musikpädagogik. Auch sie jubelt Hitler zu, läuft dem Auto nach, will ihm ihre Komposition verehren, und dann, als sein Blick sie streift, sinkt sie ohnmächtig hin. Auch sie hat einen Brief an Hitler geschrieben: “Mein geliebter Führer, wes das Herz voll ist, des fließt der Mund über. Ich weiß, dass ich Dir gehöre. Ich fühle es jeden Tag, dass meine Liebe zu Dir das Schönste und Kostbarste in meinem Leben ist. Du bist ein Teil von mir. Ich bin auf ewig Deine Braut.” Der Komponist Broch sagt, als er schon längst in einen politischen und erotischen Kampf mit ihr verstrickt ist: „Früher gingen Mädchen wie Du ins Kloster und wurden die Braut Christi.“
Das benennt etwas Richtiges. Doch Ursulas Hingabe ist nicht nur eine alte religiöse. Sie kommt auch aus der Zerrissenheit, in die die Forderung nach der „Neuen Frau“ seit den Zwanziger Jahren die jungen Frauen gestürzt hatte. Sie hatten neue Freiheiten, aber alte Pflichten. Als Ehekameradinnen, Gebärerinnen und Heldenmütter waren sie an den Herd und ans Kinderzimmer gebunden. Sie waren zum Fanatismus aufgerufen, sollten aber ihren Männern untertan sein und waren immer noch ausgeschlossen von vielen Bereichen des Lebens. Ursula Scheuner ist begabt, aber ihre Bewerbung zur Kompositionsklasse wird noch nicht einmal geöffnet, denn die alten Musikprofessoren glauben, dass Frauen singen können und Klavier spielen, aber nicht komponieren. Der Jubel vieler Frauen kam auch aus dem trotzigen Gefühl, plötzlich wichtig zu sein. In der hysterischen Liebe zum Führer, in ihren Tränen und Ohnmachten, konnten die deutschen Töchter gehorsames und revolutionäres Verhalten gleichzeitig leben und so scheinbar alle widersprüchlichen Wünsche miteinander vereinbaren.
Für das Mädchen Ursula ist Hitler aber nicht nur das Objekt eines pubertären Idealismus, der sich ein heroisches Leben ersehnt. In ihm verkörpert sich auch ihre Sehnsucht nach dem Vater, den sie nie gekannt hat, der Wunsch nach einer starken Figur, der ihren Weg ins Leben begleitet. Wer aber garantiert, dass die guten, beschützenden Väter keine Verbrecher sind? Ursula muss nicht nur das lernen, sondern auch noch eine andere Erfahrung machen. Dass nämlich eine solch öffentlich zelebrierte Liebe zu einem fernen Idol aus einer tiefen Angst und Unsicherheit kommt, was denn Liebe überhaupt sein kann. Und welchen Platz sie in einem Leben einnehmen darf, in dem man doch selbständig und frei sein will. Hitler hatte gesagt: „Wenn ich die Frauen gewinnen will, dann muss ich ihnen ein Liebesobjekt bieten.“ Er wurde für Ursula zum Objekt für ihren Hunger nach dem großen Gefühl – für ein paar Stunden und ohne verpflichtende Konsequenz. Und immer frei verfügbar in Gedanken.
Dass sie von einem SA-Mann, der für dieses Regime steht, verführt wurde, das Kind aber abtrieb, zeigt auch, dass sie klüger war, als sie wusste.
In vielen Büchern haben Frauen dieser Generation sich nach dem Kriegsende ratlos gefragt, warum sie von Hitler so fasziniert waren. Sie fühlten Schuld, sie quälten sich, aber eine Antwort auf diese Frage haben die meisten nie gefunden.
Einige Überlegungen zu „Ereignismaschine Preußischer Totentanz“
Der Ausgangspunkt waren zwei harmlose Sätze. Ich erinnere eine Anekdote über Friedrich d. Gr. so: Als seine geliebte Schwester ihn besucht, stellt er ihr seine ungeliebte Frau vor mit dem Satz: „Und diese Kuh, Madame, ist meine Frau.“ Eine dynastische Eigentümlichkeit, üblich in Kreisen, in denen die Ehen dem Gebot der Staatsraison unterlagen? Aber die Staatsraison war auch ein System geschliffener Höflichkeit. Wer spricht hier? Der zweite (nachzulesen in der NS-Memoirenliteratur): Hitler sagte im Beisein von Eva Braun: „Jeder bedeutende Mann sollte eine dumme Frau um sich haben.“ Nun gab es in den Flüsterwitzen des 3. Reiches genügend Anspielungen darauf, warum der Führer, unverheiratet und kinderlos, sein Leben Deutschland geweiht hatte. Aber auch hier: Wer spricht? Zwei deutsche Staatsmänner, als verhinderte Künstler eher zur Sensibilität prädisponiert, ergehen sich auf Stammtischniveau gegen das andere Geschlecht; zwei Männer mit schwieriger Jugend, die später, jeder auf seine Weise zum Bild und Zerrbild preußischer Tugenden wurden./p>
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Es geht hier nicht um den Staat Preußen, sondern um die Identität, die den Männern, die ihn regierten und denen, die ihn tragen mussten, anerzogen wurde, dieses System männlicher Tugenden, die, aufs Äußerste getrieben, Zucht nur als Selbstpeinigung, Ordnung nur als Sadismus leben konnten, in Preußen selbst auch noch symbolisch eingekleidet in die Farben von Schnee, Tod und Blut. Und es geht nicht um das – unter Schmerzen – intakte System, sondern um das zusammenbrechende. Als um die Jahrhundertwende diese Form männlicher Identität in Europa ins Wanken geriet, waren die Folgen in Preußen – Deutschland am verheerendsten. Die Männer, vor und nach dem Ersten Weltkrieg, taumelnd zwischen Verhirnung und Verweichlichung, zwischen dem Hass auf die Väter und deren Zivilisation und der geheim verführerischen Angst vor dem, was nicht Fuß fassen durfte in ihren Seelen, dem Weiblichen als der Sphäre des verachteten Geschlechts der Mütter, versuchten, diese geheime Frau in sich zu morden, sie herauszuschleudern in den erlaubten männlichen Spielen: Literatur oder Krieg. Die einsetzende Feminisierung der Kultur war ihnen (abgelehnte) Rettung und deshalb drohende Gefahr in einem, Traum als Alptraum und an diese nicht aufhebbare Ambivalenz ist Faszination gebunden. Der Zusammenbruch des bürgerlichen Patriarchen auf seinen tönernen Füßen setzt auch die faszinierende Ambivalenz frei, in die sie sich trunken hineinschmeißen können in Hass und Begierde. Der Sog, den der Faschismus auf viele dieser intellektuellen Männer hatte, auch auf die, die sich dann sehr schnell abwandten, war dieses Versprechen, dass die Ambivalenz öffentlich lebbar geworden sei in den Ritualen der phallisch gereckten Fäuste und Lichtdome, die aber doch in der mütterlich alles verschlingenden Nacht keine Grenzen mehr sahen. Als sie sich als Verführte ansahen, hatten sie recht. Nur: es war ihr dringender Wunsch, verführt zu werden, in Akten von Verführung, die die Gegenwart realer Frauen ausschloss. Aber: Was ist mit den Frauen? Waren auch sie verführt in diesem System männlicher Verführung? Wer waren die, die in vorderster Linie jubelnd standen? Eine quantite negligeable, über die Frauen, die sich um ihre Geschichte kümmern, hinwegsehen können? Thomas Mann schrieb als Antifaschist in Amerika einen Aufsatz „Bruder Hitler“. Müsste von Frauen nicht endlich ein Aufsatz geschrieben werden mit dem Titel „Schwester Hermine Braunsteiner“, Oberaufseherin in Ravensbrück? Was hat diese Frau verführt, Menschen zu schinden und zu töten, was hat andere, weniger persönlich schuldig geworden, verführt, noch 1945 im Garten die Panzerfaust zu suchen, um den anrückenden Alliierten zu zeigen, dass sie den Führer nicht im Stich ließen? Was hatte vorher Frauen dazu gebracht, vor ihrer Operation Hitlers Namen zu rufen, im Augenblick der Geburt zu verlangen, dass ihr Neugeborenes einem Bild Hitlers gezeigt wird, seinen Namen in die Kopfkissen zu sticken? Mit leuchtendem Blick in ein System zu marschieren, das von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen hatte, dass es mit den Emanzipationsansätzen der „Systemzeit“ Weimars Schluß machen würde? Hitler als phallisch gereckter Mann mit hysterisch kreischender Stimme, hypnotisierendem, mortifizierendem Blick und weichen weiblichen Händen, Hitler, der Frauenlose, der alle deutschen Frauen zu seinen Bräuten machte, der sich an Blut und Feuer berauschte, der Unmengen von Süßigkeiten essen konnte und seine Schäferhündin für seine treueste Freundin hielt, verkörperte in seiner Person die Ambivalenzen der Zeit, auch für Frauen. Sie, die sich aus der historischen Bedeutungslosigkeit des Herdes, des Wochenbettes, der Kinderstube herausgereckt hatten und vor neuen Freiheiten, die sie begehrten, doch auch zurückgewichen waren, fanden in dieser Bewegung, die sich revolutionär gebärdete, den ersehnten Neuanfang, der ihnen doch nichts abverlangte, wovor sie Angst haben mussten. Was gefragt war, war bekannt: das Opfer, die Entsagung, das Wochenbett. Aber plötzlich war das Wochenbett das Schlachtfeld der Nation, das Opfer der heroische Dienst am Volk, die Entsagung die Pflichterfüllung der Elite. Nichts und zugleich alles hatte sich geändert. Frauen waren Mütter, Krankenschwestern, traten dem Mann an die Seite, ersetzten ihn, wenn er nicht da war. Die Mütter und Krankenschwestern waren aber jetzt nicht mehr bedeutungslose Gestalten in einem privaten Umkreis, sondern die unbefleckten, reinen Bräute des Führers, des Erlösers, der ohne sie die neue Welt, die neue Gesellschaft nicht hervorbringen konnte. Plötzlich tauchten die Frauen aus der Bedeutungslosigkeit, der Enge ihrer privaten Beziehungen auf in ein Meer von Sinn, der ihnen jedes Opfer wert sein konnte, wert sein musste, denn in dieser Seelenlogik galt der Umkehrschluß: je größer die Bereitschaft zum Opfertod, desto unverrückbarer der Sinn dessen, für das man stirbt. Hitler, von dem der eigenwillige und abtrünnige italienische Faschist Malaparte gesagt hatte, er sei eine Frau, trat in einer ambivalenten Identität sowohl als Vater wie als Sohn auf. Auf ihn konzentrierte sich die Inbrunst vieler Frauen, die in der Weimarer Republik entlassen worden waren in die Freiheit, die ihnen nur Chaos schien und Bedrohung einer Würde, ohne die sie nicht leben konnten. Hitler, der Mann in der Distanz, frauenlos, der jeder Frau erlaubte, in ihren Träumen das Vakuum an seiner Seite zu füllen, dessen Bild, wie heute jedes Starbild magische Kräfte hatte, band die latenten, erotischen und sexuellen Wünsche an sich, ohne die Frauen in die Gefahr zu bringen, sie leben zu müssen. So wurden auch die Frauen verführt, und auch sie wünschten nichts sehnlicher, als verführt zu werden. Im 3. Reich, so prüde es war, ging es trotzdem um die Sexualisierung der Politik, eine Überführung von Triebstrukturen in politisches Handeln. Im Zentrum alles dessen die Mutter, ambivalentes Ziel von Hass und Sehnsucht, Gebärmaschine und vernichtende Verlockung. In ihr hat auch die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik ihren Kern: es ging nicht nur um möglichst viele Bauern und Rekruten. Man kann die Frauen auch vernichten, indem man sie zwingt, sich als Mütter zu Tode zu gebären.
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