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Jutta Brückner

Vom Dichtergenie zum Führergenie.

Über den UFA-Film „Friedrich Schiller. Der Triumph eines Genies“

„Ein ganz großer Wurf. Eine Meisterleistung erster Klasse. Ich bin ganz hingerissen.“ Das notierte Goebbels am 10.11.1940 in seinem Tagebuch. Es geht um den Film „Friedrich Schiller. Der Triumph eines Genies“ mit Heinrich George und Horst Caspar in den Hauptrollen des Herzogs Karl Eugen von Württemberg und des jungen Friedrich Schiller. Die deutschen Heere stehen zu der Zeit schon überall in Europa, mit Ausnahme der Sowjetunion. Es ist der Augenblick, in dem der europäische Krieg sich in einen Weltkrieg verwandelt.

Der Film, von dem Goebbels so hingerissen ist, beginnt wie ein Western. Wir sehen galoppierende Reiter, die junge Männer hinter sich herziehen, denen die Hände mit Stricken auf den Rücken gefesselt sind. Barfuss laufen sie neben den Pferden. Dann sind wir in einer Schänke und Schubarth, ein bekannter Dichter und Freigeist, verflucht den Herzog Karl Eugen, der in Württemberg die Freiheit unterdrückt, seine Untertanen einfangen lässt, zu Soldaten presst und als Menschenmaterial an andere Herrscher verkauft. Die Blüte der württembergischen Jugend kaserniere er in der Karlschule, einer militärischen Pflanzschule und Zuchtanstalt, in der jetzt an Stelle der Hengste, die der Herzog früher gezüchtet habe, junge Menschen gezüchtet würden. Wir befinden uns in der reichsfreien Stadt Ulm, wohin Schubarth sich vor dem Zugriff von Karl Eugen geflüchtet hat. Es ist das Zeitalter der deutschen Kleinstaaten, deren Grenzen manchmal schon unmittelbar hinter dem Schloss lagen. Der Film wechselt erneut den Schauplatz. Er zeigt einen Appellplatz. Wir hören ein Trompetensignal. Und in einem Schlafsaal erheben sich 40 junge Männer gleichzeitig, fahren mit dem gleichen Geräusch in ihre Schuhe, stellen sich auf Kommando auf, heben auf Kommando die Hände zum Gebet, beginnen auf Kommando im Takt zu beten. Auf den Befehl: „Gebet Ende!“ sinken die Hände im Takt herunter. Wir sind in der Karlsschule. Hier hat Schiller 7 Jahre seiner Jugend verbracht. Und es ist der letzte Tag, der der Zensurenverteilung.

Der Film erzählt weiter: die Eleven sitzen auf ihren Betten, einer hinter dem anderen in langen Reihen und im Takt flicht ein jeder einem jeden den Zopf mit den abgehackten Bewegungen, die sich nach dem gebrüllten Befehl richten: eins rum, eins rum, eins rum! Ein groteskes Schauspiel. Ein Eleve hat hohes Fieber. Die Krankheit darf nicht sein, denn heute ist nicht nur Zensurenverteilung, sondern auch der Geburtstag der Reichsgräfin Franziska zu Hohenheim, der Maitresse von Karl Eugen. Und jetzt kommt Schiller ins Spiel. Er empört sich, setzt sich für den Kameraden ein, es kommt zu einer Auseinandersetzung mit dem militärischen Aufseher, einem Sergeanten. Schiller soll gezüchtigt werden – „12 mit der kleinen Weidenrute“ -, er wird schon festgehalten, da kommt ein General dazwischen und befiehlt, den Kranken ins Lazarett zu bringen. Dann marschieren die Eleven in ihren Uniformen in militärischem Schritt zur Zensurenverteilung.

Was wie eine Groteske wirkt, wird von Friedrich Nicolai, der diese Schule besucht hat, beglaubigt: „Jeder blieb hinter seinem Stuhl stehen und machte auf Kommando Front zur Tafel. Mit lautem Klatschen flogen aller Hände im Gebet zusammen, danach ergriff jeder Mann den Stuhl und ließ sich mit so gleichzeitigem Geräusch darauf nieder, als wenn ein Bataillon das Gewehr abfeuert. Es fehlte noch, dass alle im Takt mit dem Löffel in die Suppe fahren. Das Kommando, mit dem Essen zu beginnen, erteilte aber der Herzog. Er stand gewöhnlich am Tisch der Chevaliers und sah sich um, bis jeder seinen Platz eingenommen hatte. Dann rief er sein „Dinez, Messieurs.“ Und die Zöglinge gehorchten mit tiefer Verbeugung. Während der Mahlzeit wurde kein lautes Gespräch geduldet. Sechs Eleven teilten sich eine Schüssel, aus der einer den anderen vorlegte; dieses Amt wechselte täglich. Karl Eugen blieb im Saal. Im roten Frack mit einem Stöckchen spielend, schritt er durch die Tischreihen, plauderte väterlich mit den Zöglingen und teilte nach Gebühr Lob und Tadel aus. Um das Bild der großen Familie zu vervollständigen, zeigte sich auch die Gräfin von Hohenheim oft im Speisesaal.“

Der Film zeigt das alles mit deutlich kritischer Tendenz. Und als Zuschauer sind wir abgestoßen von diesem sinnlosen, quälenden Drill. Sollte ein Propagandafuchs wie Goebbels nicht gemerkt haben, dass der Film sich mit dem Portrait dieser Schule auf gefährliches Terrain begibt? Der Film beschreibt eindrücklich den Alltag mit dem Bedrückenden des Strafsystems, der täglichen Beaufsichtigung, der geisttötenden Disziplin. Die Zöglinge lebten in einer geschlossenen Welt unter der persönlichen Aufsicht des Herzogs. Jede Verbindung zu ihren Familien war verboten. Die Eleven sollten an den Herzog wie an einen zweiten Vater gebunden werden. Der Herzog nennt sie seine „Meine Söhne“, wenn er gut gelaunt ist „Meine liebsten Söhne“. Er hatte keinen Sohn, also schuf er sich viele Ersatzsöhne. Ein Eleve wird bestraft, weil er mit seiner Schwester gesprochen hat, ein anderer bekommt einen der berüchtigten Strafzettel, die am Rock befestigt wurden, weil er einen unerlaubten Briefverkehr mit seinem Vater führt. Der Herzog: „Wann lernt er endlich, dass ich sein Vater bin! Er schreibe 200 Mal: Der Herzog ist mein Vater.“ Schiller verlebt die Jahre seiner Jugend in dieser Ersatzfamilie der vollkommenen Abschließung und vollkommenen Subordination. Für den Herzog ist seine Einrichtung die „beste Schule der Welt“. Konnte nicht ein kritischer Vater, der diesen Film sah, hier immer wieder Parallelen zu den Napolas sehen, deren Drill zwar weit weniger rigide war, die aber in ähnlicher Weise den Kontakt der Schüler zu den Eltern lockerten, um das Band zum Führer um so fester zu knüpfen?

Der Film zeigt wort- und bildgewaltig die Karlsschule als Sinnbild des absolutistischen deutschen Kleinstaates, in dem der Souverän ohne Schranken regiert, mit vollkommener Gewalt über das Leben der Untertanen. Der nach Ulm geflohene Schubarth wird nach Württemberg zurückgelockt mit der Aussage, es gebe viele wie er, die nur darauf warteten, sich gegen den Herzog zu empören. Aber auf württembergischem Territorium wird er gefangen genommen und widerrechtlich für Jahre auf dem Hohen Asperg interniert. Das Schicksal des Empörers Schubarth grundiert die Erzählung, die Schiller vom ersten Moment an einführt als einer, der sich auch empört, der nicht schweigen kann und das nicht nur wegen selbst erlittenen Unrechts, sondern auch wegen der anderen, aus Prinzip. Während der Abschlussfeier und der Zensurenverteilung kommt es zu einer Konfrontation zwischen ihm und dem Herzog. Der fragt ihn, was er denn so schreibe, wohl Philosophisches. Schiller: „Nein.“ Herzog: „Medizinisches, wie es ihm von mir befohlen ist.“ Schiller: „Nein. Ich schreibe, was mir mein Herz empfiehlt.“ Der Film wechselt von den Halbnahen jetzt zum ersten Mal in die Close-ups. Der Herzog verliert alle landesväterliche Bonhomie und fragt wütend: „Kennt er keinen besseren Herrn, der ihm befiehlt, als sein Herz?“ Schiller: „Keinen größeren!“ Diese Provokation des württembergischen Roi Soleil führt dazu, dass Schiller zur Strafe noch ein weiteres Jahr in der verhassten Militärakademie verbringen muss.

Auf dieses Jahr, in dem „Die Räuber“ vollendet werden, konzentriert sich der Film. Er erzählt den Zweikampf zwischen Schiller und dem Herzog um das Manuskript. Der Souverän verfolgt sein „Subjekt“ Schiller bis in den Schlafsaal, er kontrolliert bis unter die Bettdecke, was sich dort befindet. Die klugen Kinder tricksen den „Vater“ aus, der wissen will, „was der Schiller schreibt, wann er schreibt, wo er schreibt und wohin das verschwindet, was er schreibt.“ Das wird als Befehl in der Hierarchie von oben nach unten drei Mal weitergegeben. Ob Ophüls für die sehr ähnliche Szene mit „Nadel und Faden“ in seiner „Lola Montez“ diese Sequenz als Anregung benutzt hat? Das Drama wird heimlich geschrieben und den Freunden nachts im Keller vorgelesen. Während oben in den Schlafsälen die Aufseher umherschleichen und die Eleven suchen, singen diese in den finsteren Gewölben im Keller: „Ein freies Leben führen wir, ein Leben voller Wonne, der Wald ist unser Nachtquartier, der Mond ist unsre Sonne.“ Die Freundesgruppe imaginiert sich als Räuberbande und Schiller als ihren Hauptmann. Die Betten sind mit Decken so arrangiert worden, dass die Aufseher schlafende Körper vermuten. Der verhasste Sergeant bekommt eine Ladung Ruß ins Gesicht. Und es wird viel und begeistert gesungen. Das Ganze hat etwas von den Jugendstreichen der Burschenherrlichkeit.

In dieser Atmosphäre von pubertärer Auflehnung entsteht das, was dann zum deutschen Nationaldrama werden sollte. Und so genau wie hier ist selten gezeigt worden, wie sehr die deutsche Sehnsucht nach Freiheit geprägt war von den Fesseln, gegen die sie sich auflehnte. Das geht bis in die Körpersprache hinein. Bis in die Gesten der Befreiung setzt sich das Abrupte des militärischen Drills fort, denn die Form der Unterdrückung bestimmt auch das Aufbegehren gegen sie. Die politische Macht ist nicht abstrakt in großer Ferne wie in Versailles, das sich alle deutschen Kleinfürsten zum Muster nahmen. Diese politische Macht ist nah und konkret in der Gestalt eines Herzogs, der vom Morgen bis zum Abend um die Zöglinge herum ist, ihre Gesundheit kontrolliert, sie alle beim Namen kennt, ihre Abschlussdissertationen liest, persönlich über ihr Schicksal entscheidet und sie in den Schlafsaal und als Alb bis in ihre Träume verfolgt. So verwandelt sich die Macht aus einer politischen in eine intime und private und versetzt die Eleven zurück in eine Kindheit, aus der sie schon herausgewachsen waren.

Wenn das System Staat und das System Familie deckungsgleich werden, ist der Status des Untertanen nicht einfach die Recht- und Machtlosigkeit, sondern die Unmündigkeit. Und der Kampf zwischen Schiller und dem Herzog wird aus einem politischen des Untertanen, der gegen die Willkür des Herrschers revoltiert, zu einem des „Sohnes“ gegen den „Vater“. Die Formen, derer er sich bedienen muss, sind dann notwendig pubertär. In diesem Kampf geht es nicht um Klugheit oder Zweckmäßigkeit der Aktion, sondern um den Prozess, in dem ein unmündig gehaltener zum Mündigen wird, der über sich, sein Leben und sein Schicksal selbst bestimmen darf, auch wenn er sich dabei schadet. Der Film ist sich dessen vollkommen bewusst. Schiller verfügte durchaus über die Mittel, seinen Ärger sarkastisch zum Ausdruck zu bringen. Dieser Mittel bedient er sich aber nicht an diesem letzten Tag seiner Kasernierung. Er ist umgeben von Kameraden, die ihm immer wieder sagen, er solle „sein Maul halten“, in einem Tag sei er frei. Er hält sein Maul nicht. Der Film begründet das mit der Sorge um andere. Doch in dieser Sturheit ist noch etwas anderes verborgen. Als er beim Morgenappell das befohlene Gebet mit dem Satz ergänzt: „Und führe ihn (sc. den Herzog) seiner gerechten Strafe zu“ und der Freund neben ihm sagt: „Sei doch still. Du wirst Dich mit solchen Reden nur unglücklich machen“, antwortet Schiller: „Woher weißt Du, dass ich das nicht will?“ Und nachdem er zu dem weiteren Jahr auf der Schule verurteilt worden ist, sagt er: „Der Herzog glaubt, mich klein zu kriegen. Jetzt tue ich gerade, was ich will“, steht auf und holt das versteckte Manuskript der „Räuber“ aus dem Schrank, um daran weiterzuarbeiten.

Schiller braucht diese zusätzliche Zeit unter der Fuchtel des herzoglichen Vaters, um mit der Empörung über das Unrecht, das ihm geschah, die Wut wachsen zu lassen, die ihn befähigte, „die Räuber“ zu schreiben. Die Schikanen, die Abschließung, die Drohungen, das Schreibverbot waren notwendig, um in dem Drama Figuren entstehen zu lassen, die jedes menschliche Maß hinter sich ließen. In der Ankündigung der Zeitschrift „Rheinische Thalia“ von 1785 blickt Schiller auf die in der Hohen Karlsschule verbrachten Jahre zurück und schildert die Umstände, unter denen die „Räuber“ entstan­den waren: „Acht Jahre rang mein Enthusiasmus mit der militärischen Regel; aber Leidenschaft für die Dichtkunst ist feurig und stark, wie die erste Liebe. Was sie ersticken sollte, facht sie an. Verhältnissen zu entfliehen, die mir zur Folter waren, schweifte mein Herz in eine Idealwelt aus- aber unbekannt mit der wirklichen, von der mich eiserne Stäbe schieden. – Unbekannt mit Menschen und Menschenschicksal musste mein Pinsel notwendig die mittlere Linie zwischen Engel und Teufel verfehle, musste er ein Ungeheuer hervorbringen, das zum Glück in der Welt nicht vorhanden war, dem ich nur darum Unsterblichkeit wünschen möchte, um das Beispiel einer Geburt zu verewigen, die der naturwidrige Beischlaf der Subordination und des Genius in die Welt setzte.“

„Der naturwidrige Beschlaf der Subordination und des Genius“, einer, der es wusste, hat seine eigene Geburt als Dichter der Freiheit so beschrieben. Das genialische Werk entsteht aus der Erfahrungsarmut. Sein Freund Scharffenstein hatte das Stück „verstiegen“ genannt, es fehle ja „jede wahre Natur“ darin. Der empfindliche Schiller, den der Film immer wieder mit dem Vorwurf der Eitelkeit konfrontiert, ist empört. Aber 1782, 7 Jahre nach der Uraufführung der Räuber, kritisiert auch er, der aus dem Drang nach Selbstvervollkommnung sein schärfster eigener Kritiker war, in einer Selbstrezension die mangelnde Wirklichkeitsnähe seiner Figuren.

Deutschland ist zu jener Zeit, wo man einen Pass brauchte, um von Stuttgart nach Esslingen zu fahren, das Land der Abschließung. Die Karlschule ist nicht nur eine Metapher für den fürstlichen Despotismus und für das rechtlose Ausgeliefertsein der Untertanen, sondern auch für deren Beschränkung auf einen staatlich reglementierten Zugang zur Wirklichkeit. Zentralbegriff dieses Kampfes ist deshalb nicht einfach „die Freiheit“ als politisches Gut, sondern „das Genie“ als Status einer höheren Menschlichkeit. Eine der Unterrichtsstunden der Karlschule widmet sich der Streitfrage: Werden große Geister geboren oder erzogen? Der Herzog behauptet, große Geister würden erzogen, die Ausbildung sei die zweite Geburt der Zöglinge. Er werde beweisen, wie man den Geist dressieren könne. „Wir sind die Werkzeuge,“ erklärte er, „Ihr seid der Stoff.“ Schiller behauptet, große Geister würden geboren aus der Mitte ihres Volkes. Und das Genie zeichne sich dadurch aus, dass es gar nicht anders könne als so zu sein, wie es ist. Der Film mäandert durch die Haltung seiner Personen um diese Frage herum. Als Schiller auf Befehl des Herzogs ein weiteres Jahr an der Schule bleiben muss, protestiert Franziska von Hohenheim, die der Film als Schillers heimliche Beschützerin zeigt: „Schaden wird es ihm. Du weißt genau, dass Grosses in ihm steckt. Warum musst Du ihn immer quälen?“ Herzog: „Weil er es verdient!“ Wer sich in deutschen Sprichwörtern auskennt, hört hier das alte „Wer sein Kind liebt, der züchtigt es.“ Die Sympathiewerte des Films liegen eindeutig bei Franziska und nicht beim Herzog und wir als Zuschauer empfinden den Abscheu vor dem pädagogischen Sadismus entsprechend eindeutig. Am Ende allerdings, Schillers Flucht nach Mannheim ist gelungen, beglaubigt Franziska selbst die herzogliche Entscheidung, wenn sie ihm sagt: „Du kannst stolz sein. Du bist es, der ihn zur Vollendung getrieben hat.“ Der Film zeigt, dass die deutsche Form von Genie aus dem Zwang stammt.

Hier, so kann man mit an Sicherheit grenzender wahrscheinlich vermuten, war die Wurzel für Goebbels’ Begeisterung. Der Geniegedanken war für ihn zentral. Hitler selbst hat sich in der Geniepose ablichten und modellieren lassen und die Bezeichnung „Genius der Deutschen“ für sich in Anspruch genommen. Wie sehr er dabei Genie und Kampf miteinander verband, sagt schon der Titel seines Buches. „Genie“ war auch das Lieblingswort des Sturms und Drang. Genie ist Eigensinn, bricht die Regeln und schafft sich selbst neue. Für die Filmfigur des Schiller wird der Geniebegriff zentral für seinen Kampf, der gegen die politische und die private Familie gleichzeitig geführt wird. Es führt auch zu der Absage an den wirklichen Vater. Der Film zeichnet ihn als selbstbewussten, ehrlichen, knorrigen Mann, der auch dem Herzog gegenüber keinem Blatt vor den Mund nimmt und seinen Sohn verteidigt. Vater Schiller und Sohn Schiller begegnen sich, als Schiller in Haft sitzt, denn er war ohne Erlaubnis zur Premiere seines Stückes nach Mannheim gereist. Die „Räuber“ waren ein großartiger Erfolg gewesen und machten Schiller von einem Tag auf den anderen in ganz Deutschland berühmt. Vater Schiller muss das wissen, aber er will, dass der Sohn auf seine Schriftstellerei verzichtet und seinen erlernten Beruf als Regimentsmedicus ausführt. Schiller bittet um Verzeihung, aber lehnt ab. Der Vater fragt: „Verlange ich etwas Unbilliges von ihm?“ Schiller: „Nein, nur das Unmögliche.“ Das Genie muss sich von allem lossagen, was ihn in die Gemeinschaft einbinden könnte. Die einzige Form von Gemeinschaft, sagt der Film, die das deutsche Genie anerkennen kann, ist die Gemeinschaft der Freunde, der Gleichgesinnten. Hier legt sich der Film wie ein nachträgliches Diagramm auf die nationalsozialistische Selbstinterpretation als deutscher Revolte, ausgelöst von einem Genie, das, ein Ziel im Blick, das nur es selbst sieht, die Freundes- und Brüderhorde anführt.

Die Kraft, von der Schiller durch den ganzen Film getrieben wird, würde man heute „Trieb“ nennen. Der Trieb fährt in alles, in das Schreiben, das Reden, den Körper in seinen vielen Ausdrucksformen. Horst Caspar spielt den Schiller als Getriebenen mit wilden, schnellen, immer wieder auch abrupten und abgehackten Gesten. Vor allen Dingen fährt der Trieb in die Freiheit, so heftig, dass Freiheit und Genie selbst reiner Trieb werden und zum Kraftkern einer Revolte gegen die Macht, die bis ins Unbewusste vom Zögling Besitz ergriffen hat. Die ödipale Natur dieser Revolte zeigt sich unverhüllt in einer großartigen Sequenz. Schiller ist vom Herzog zum Hohen Asperg geschickt worden, um den gefangenen Schubarth angekettet in seinem Loch zu sehen. Er kommt zurück und wird zum Herzog gebracht, der in privater Runde mit Franziska feiert. Mutwillig fordert der Herzog Schiller auf, ihn zu imitieren. Schiller setzt sich auf den Stuhl des Herzogs, er imitiert den Tonfall, die Geste, die Rede. Der schon etwas betrunkene Herzog amüsiert sich. Aber dann eignet der „Sohn“ Schiller sich das an, was Eigentum des „Vaters“ ist: die Maitresse. Er zieht Franziska von Hohenheim auf seinen Schoss. Versteckt in den Gesten des Spiels flüstert er ihr seine Besorgnis zu, dass sein Manuskript der Räuber entdeckt, worden sei. Ebenso verhüllt verspricht sie ihm ihren Beistand und muss dann den zornigen Herzog, der plötzlich ahnt, dass man ihn hintergeht, wieder besänftigen. Der Schrei nach Freiheit ist im Deutschland der omnipräsenten Machthaber und der „guten Policey“, die behauptete, besser zu wissen, was die Subjekte fromme als das Subjekt selbst, durchsetzt mit ödipaler Rivalität und Mordlust.

Franziska wird in diesem Moment zur potenten Mutter, die ein Bündnis mit dem Sohn eingeht, um ihn gegen den gefährlichen Vater zu schützen mit ihren weiblichen Waffen: denen der List, der Umgarnung, des Liebesentzugs, mit dem sie dem Herzog einmal droht, wenn er Schiller weiterhin so schlecht behandelt. Der Film, der sonst eine klare, im traditionellen Sinne realistische Erzählweise hat, versieht diese Sequenz mit einem weich gezeichneten unteren Rand. Damit interpretiert er sie selbst als etwas Traumartiges, nicht wirklich Verbürgtes. In diesem Traum erzählt er aber das Wesen der deutschen Revolte. Der Herzog als übermächtige Vaterfigur hat den jungen Schiller tief geprägt. Schiller hat lange unter dem Gefühl der Undankbarkeit gegenüber dem Herzog gelitten. Der Herrscher ist nicht ein äußerlicher Despot geblieben, unter dessen Macht man sich wegducken konnte. Als Vaterfigur wurde er zum verinnerlichten des Wohltäters und jeder Akt der Revolte musste auch exotistisch ein verinnerlichtes Vaterbild vernichten. Für Schiller führte das zu einem tiefsitzenden Schuldbewusstsein, nicht nur gegenüber dem natürlichen Vater, sondern auch gegenüber dem politischen. Die politische Revolte, die ein ödipales Problem lösen muss, ist ein gleichzeitig todessüchtiges und Tod bringendes Unternehmen, eine enge Verbindung von Emphase und Verbrechen. Und deshalb ist die deutsche Revolte so brachial und der deutsche Revolutionär ein Berserker, denn er muss nicht einfach nur einen Machthaber beseitigen, sondern auch das eigene Bewusstsein von Schuld auslöschen.

Das kann auch dadurch geschehen, dass man ein Übermaß an Morden aufhäuft, wie im trotzigen Beweis, dass es um etwas Grosses gegangen ist. Franz Mohr sagt, bevor er sich selbst richtet: „Ich bin kein gemeiner Mörder. Ich habe mich nie mit Kleinigkeiten abgegeben.“ Über das Publikum der Uraufführung schreibt ein Augenzeuge: „Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Tür. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht!“ Im Film sagt ein Zuschauer: „Heute ist dem deutschen Volk sein Nationaldichter geschenkt worden.“ Der eigene Exorzismus des Dichters löst einen allgemeinen Triebdurchbruch aus. Schillers gesetzloser, marodierender Räuberhauptmann Karl war die Identifikationsfigur Schillers und wurde zur Identitätsfigur der Deutschen. Franz als die Schreckensfigur des Tyrannen war die Bedingung des Dramas.

Rüdiger Safranski hat dieses Bruderverhältnis eindringlich beschrieben: „Beide Brüder haben einen Zug ins Monumentale und sind Monstren. Räuber Karl ist Idealist, insofern er mit dem Enthusiasmus seines Herzens an eine gute, väterliche Weltordnung glaubt und es bedarf nur einer einzigen narzisstischen Kränkung, um in ihm die Raserei einer Rache an der zerrütteten Weltordnung zu wecken. Karl ist der entfesselte Idealist, Franz der hemmungslose Materialist. Karl ersehnt eine väterlich geordnete Welt: die ganze Welt eine Familie und ein Vater dort oben! Von der Vaterwelt enttäuscht, sehnt er sich in den Mutterleib zurück. Das ist der Schoss einer Räuberbande. Aber auch wenn der edle Räuber sich als Rächer der Enterbten und als Beschützer der Armen und Waisen aufführt, so begeht er doch Taten, die zu Untaten werden müssen, weil sie Unschuldige wie Schuldige treffen müssen, beispielsweise als er eine ganze Stadt anzündet, um einen treuen Kumpanen vor der Hinrichtung zu retten. Der Idealist und der Materialist landen auf derselben Stufe des Nihilismus. Beide sind vom Furor der Rache getrieben, der eine, weil ihm der Glaube an die Weltordnung zerbrochen ist, der andere, weil er diesen Glauben nie geteilt hat. In einem sinnlosen Universum rast der eine mit heißer Verzweiflung, der andere mit kalter Wut. Schiller selbst sagte: man wird meine Mordbrenner bewundern, ja vielleicht sogar lieben!“

Das maßlose Stück muss verstanden werden aus der Konfrontation seiner Zeit, aus der es ja entstanden ist. Goethe hat in einem Brief an Wieland seinen Abscheu erklärt vor dieser „Hirnwut“. Aber nicht nur das gesamte 19. Jahrhundert, das Schiller bewunderte, gab ihm Recht. Auch ein starker Strang im Nationalsozialismus leitete seine Energien aus dieser Gemengelage von idealistischem Materialismus, narzisstischer Kränkung und Rachefuror her. Goebbels konnte mit Begeisterung immer wieder einzelne Momente der Revolte, die er im NS sah, kurzschließen mit der im Film geschilderten. Wenn das Genie ganz Trieb ist, kaltes Feuer oder glühendes Eis, zur leuchtenden Skulptur erstarrt und von rechts unten nach links oben schräg aus dem Bild blickt, „stolz bis an den Rand der Sterne“, gerät ihm die Welt aus dem Blick und es missachtet die simpelsten Regeln der Vernunft. Ein solches Menschenbild musste gerade in dem Moment, wo der Krieg in das Stadium des Weltkrieges trat, befördert werden. Der Film tut alles, Schiller als Figur der Identifikation zu etablieren, die uns verdeutlicht, dass die Freiheit im Triumph des Stolzes über die Qual liegt.

Aber es ist ja wichtig, dass das Ende glücklich ist, nicht nur, weil es historisch so verbürgt ist, sondern auch, um die zeigen, dass diese Revolte von Erfolg gekrönt ist. Deshalb erschafft der Film zwei Frauenfiguren, die für Schiller überlebenswichtig sind. Die eine ist die Reichsgräfin Franziska von Hohenheim. Sie interveniert immer wieder zu Schillers Gunsten. Ihr zuliebe befiehlt der Herzog, die Strafzettel von den Uniformröcken der Eleven zu entfernen. Sie kämpft mit den „Waffen der Frau“: dem Patriarchen schmeicheln, ihn umgarnen, ihm zu Willen sein und sich ihm zu entziehen, wenn das Ziel, der Schutz des Sohnes, es erfordert. Franziska muss in messerscharfer Einschätzung des Möglichen Realistin sein, um den Idealisten Schiller, der sich um Kopf und Kragen redet und handelt, zu retten. Der Genieanspruch des Mannes erfordert die Realitätsfixierung der Frau. Sie ist dem Mann keine Partnerin, sondern Beschützerin, weil sie den Vater zähmt. Die Maitresse Franziska von Hohenheim ist die erträumte Mutter, die ein Untertan, der ein Sohn sein muss, braucht, um aus dem Herrschaftsbereich des Machthabers, der ein Vater sein will, entkommen zu können.

In einer anderen, erfunden Figur, bricht der Film, der sich sonst ziemlich genau an das historisch Verbürgte hält, aus dem geschichtlichen Korsett aus und wird zur freien Paraphrase. Schillers „Oden an Laura“ geben ihm die Möglichkeit, eine junge Schöne namens Laura zu erfinden. Die Oden waren im Stil Petrarcas geschrieben, sie waren reine Imitationen, was ja schon der Name zeigt. Ihre Überschwänglichkeit trägt dezisionistische, sogar autosuggestive Züge. Safranski hält diese dichterischen Ergüsse für eine Art Abwehrzauber gegen den nihilistischen Materialismus, der den Mediziner Schiller gepackt hatte. Gerichtet waren sie an Luise Vischer, eine Hauptmannswitwe, bei der Schiller zur Untermiete wohnte. Diese gutmütige, lebenslustige Frau wusste nicht, dass sie Ziel dichterischer Bemühungen war. In Wirklichkeit gab es keine weibliche Figur in Schiller Leben. Schillers kritischer Freund Scharfenstein hatte gesagt: „Schiller war nicht sinnlich und liebte die Weiber im Grunde nicht.“

Der Film erfindet aber Laura, weil ein junger Feuerkopf ohne eine Liebesgeschichte im Kino sehr schwer zu vermitteln ist und er außerdem einen Suspens schaffen kann, wenn Laura das Manuskript der „Räuber“ rettet. Das Kino erweist hier Schiller, seinem besten Dramaturgen, die Reverenz. Das Drama ist für Schiller eine Affekterregungskunst, es kommt alles auf das virtuose Arrangement der Effekte an in einer Maschine zur Herstellung großer Gefühle. Der Film hat davon gelernt. Aber er schlägt in der Erfindung dieser Figur noch einen weiteren Ton an im Diskurs über die Macht. Während des Aufmarsches zur Zensurenverteilung springt Schiller vor allen Zuschauern aus der geschlossenen Marschformation, um eine Botschaft in das Fenster zu werfen, hinter dem Laura mit ihrer Mutter steht. Die Mutter ist die ehemalige Favoritin des Herzogs, jetzt verheiratet mit einem seiner Generäle. Schillers Kühnheit bleibt natürlich nicht unbemerkt. Der Generalsvater ist empört. Der dann folgende Dialog verdient es, in aller Ausführlichkeit wiedergegeben zu werden. General: „Geb sie mehr auf meine Tochter Acht.“ Mutter: „Auf seine Tochter? Verdanke ich ihm dieses Glück?“ General: „Was kommt sie mir schon wieder damit!“ Mutter: „Soll ich mich vielleicht beim Herzog beschweren, wie Er sein Kind behandelt?“ Dieser Satz ist in hohem Maße zweideutig. Das „Er“ war die zur Zeit gebräuchliche Anrede und bezieht sich auf den General. Die Wendung „sein Kind“ aber kann sich sowohl auf den General wie auf den Herzog beziehen. Das Minenspiel der Mutter und der Unwille des Generals legen letztere Deutung nahe.

Laura als „natürliche“ Tochter des Herzogs befriedigt die kindliche Sehnsucht nach Versöhnung. Der Rebell Schiller liebt Laura, die eigentlich die Tochter des Herzogs ist und wird über diesen Umweg beim Vater wieder in Gnaden aufgenommen. Durch das Band der Liebe würde die Entzweiung zwischen „Vater“ und „Sohn“ wieder geheilt, weil sie doch alle zusammen eine Familie sind. Das wäre die märchenhafte Lösung des ödipalen Konfliktes. Aber das Genie, dessen Freiheit nur im Kampf zu erringen ist, muss sich dieser Lösung versagen und aus dem Herrschaftsbereich des Vaters fliehen. Bevor Schiller dies tut, sucht er seine Mutter auf – wieder in einer vollkommen unvernünftigen Weise, denn der Herzog hat den Befehl, Schiller auf den Hohen Asperg zu bringen, schon unterschrieben, der Freund versucht verzweifelt, ihn von dieser Gefahr zu überzeugen. Schillers reale Mutter taucht in dem Film nur zweimal auf, und beide Male ist sie machtlos. Mit einer Stimme, die so schwach und entsagend ist, als sei sie nicht mehr von dieser Welt, gibt die Mutter ihn frei für seine Flucht und verzichtet auf seine Gegenwart, auf die sie als Mutter doch ein Anrecht hätte, wie der Film unterstellt. Bleibt der deutsche Sohn ewig gebunden? Auch Laura verzichtet. Laura: „Was liegt an mir, Du musst gerettet werden.“ Ihr letzter Satz ist: „Sagen Sie ihm, aber erst, wenn er in Sicherheit ist, dass ich ihn sehr liebe und immer lieb behalten werde.“ Beide Frauen opfern ihre Gefühle, die Kutsche mit Schiller fährt dem Licht entgegen. Eine sehr deutsche Form von Happy End.

Zu den wesentlichen Dingen, die das Genie nicht beherrscht, gehören neben der Vernunft und der Liebe auch die Sexualität. In der Geschichte zwischen Schiller und Laura ist der Film nicht einfach zurückhaltend, das hätte im Gestus der Zeit gelegen. Er hat die behauptete Liebe verwandelt in ein Vehikel der Dramaturgie, damit aber auch von einem Bewegungsgesetz in eine Zutat. Laura wird zum Objekt, an dem das Verseschmieden geübt werden kann und zur Retterin des Manuskriptes. Deutlicher noch wird Schillers Haltung, wenn es um Franziska von Hohenheim geht. Nachdem sie sich für ihn eingesetzt hat und der Herzog unwillig ist, kommentieren die Freunde: „Dicke Luft im Hause Württemberg. Heute muss der Alte wohl vor der Tür schlafen.“ Schiller ist empört: „Müsst Ihr alles in den Schmutz ziehen? Euch ist auch nichts heilig.“ So viel Naivität ist erstaunlich, jedem im Land war die Natur der Beziehung zwischen Herzog und Maitresse klar. Es kann sich hier nicht um einfache Erfahrungsarmut handeln. Es ist der „Blick in die Sterne“, der nicht wissen will, was der Preis ist für die Hilfe, der er sein Überleben verdankt. Man könnte auch sagen, es ist der kindliche Blick, der die Natur der Beziehung zwischen „Vater“ und „Mutter“ nicht wahrhaben will.

Es gibt eine These die besagt: dieser Film bemüht sich, das zentrale Nazi-Anliegen zu verdeutlichen: den Kurzschluss zwischen ästhetischer Erfahrung und politischem Aktivismus. Hier sollte man einen Blick in die Geschichte des UFA-Kinos werfen. Denn es gibt einen „benachbarten“ Film, der auch fast zur gleichen Zeit ins Kino kam. Auch er spielt in Stuttgart, auch in ihm spielt Heinrich George den württembergischen Herzog, den Vorgänger des Karl Eugen, gegen den Schiller ankämpfen musste. Klöpfer, der in „Schiller. Triumph eines Genies“ den Schubarth spielt, spielt hier einen der Landstände, den Vater von Kristina Söderbaum, die von dem Juden Oppenheimer vergewaltig wird und sich dann ertränkt. Der Film heißt „Jud Süss“. Er spielt im Jahr 1733, „Schiller“ spielt am gleichen Ort im Jahr 1775. In „Jud Süss“ führt Veit Harlan die Regie. Aber Regisseure waren Spielleiter und die Genealogie des UFA-Kinos war eine der Stars. Wie sehr für Botschaften im mainstream-Kino die Stars entscheidend waren, wusste Goebbels. Der Regisseur des Filmes, Herrmann Maisch, hat danach noch andere, modern gesprochen, Biopics gemacht, einen Film über Andreas Schlüter und einen über Ohm Krüger. Der Zentraldramaturg des deutschen Films, Joseph Goebbels, liebte Filme über große Männer. Und Horst Caspar, der Darsteller des Schiller, hat im letzten UFA-Film „Kolberg“ die jugendliche Hauptrolle gespielt, wiederum zusammen mit Heinrich George.

„Jud Süss“ war eindeutig konzipiert als antisemitischer Propagandafilm, „Friedrich Schiller“ als ein heroisches Biopic. Beide Filme handeln vom Trieb. Dem Genie Schiller fährt er in den Kopf und daraus entsteht ein deutsches Nationaldrama voll von Gewalt. Der Jude Süss Oppenheimer verdirbt mit dem Trieb, der sich als Verführung durch Geld und sexuelle Begierde äußert, ein Land und eine junge Frau. Die Komplexität der Menschen und der Welt wird eindimensional auf diese beiden Filme aufgeteilt: den triebhaften Bösewicht und das reine Genie. Auch „Schiller“ macht Propaganda, aber auf viel subtilere Weise. Es ist Propaganda für ein Menschenbild, das für Durchhalteparolen empfänglich war und über die Erde marschierte, „stolz bis an den Rand der Sterne“.

Herbert Maisch, der nach dem Krieg als Generalintendant der Bühnen der Stadt Köln tätig war, will in „Schiller“ oppositionelle Anklänge eingebracht haben. Wenn man will, kann man den Film vordergründig tatsächlich so lesen. Der despotische Herzog hat eine ähnliche Mischung von Leibesfülle, Bonhomie und Grausamkeit wie Göring, der intrigante Hofmarschall spricht in rheinischem Singsang wie Goebbels. Zwar hinkt er nicht, aber wenn er das erste Mal auftritt, geht er auf Zehenspitzen und das lenkt den Blick auf seine Füße. Die gewaltigen Aufmärsche mit den winkenden Untertanen, die Auftritte des Herzogs, zentralperspektivisch in endlosen Korridoren knüpfen ikonografisch an die Erfahrungen der Zuschauer mit Hitlers Aufmärschen an. Und die Karlsschule ist einer Napola nicht unähnlich. Aber eine mögliche ideologiekritische Lesart setzt ein ideologiekritisches Bewusstsein voraus. Hat man das nicht, und das war bei der großen Masse des Publikums jener Zeit anzunehmen, wird man sich begeistern für die Darstellung dieses faszinierenden Bösewichtes, den Heinrich George gewohnt brillant spielt, die herzogliche Prachtentfaltung, die zum Teil bis in Details der Art entspricht, wie die Reichskanzlei abgelichtet wurde und der knisternden Atmosphäre um Franziska von Hohenheim. Vor allem aber für das Charisma von Horst Caspar, der als zentrale Lichtgestalt mit dem Genie des Führers konnotiert war, weil auch dieser den Deutschen in der Pose von Kampf und Revolte erschienen war. „Schiller. Triumph eines Genies“ konnte Goebbels mit Recht als eine Huldigung Hitlers interpretieren.

Dieser Film sperrt sich keiner widerständigen Lesart, denn er ist überdeterminiert. Ihn aber widerständig zu lesen, hätte vorausgesetzt, dass man die geheime Linie gesehen hätte, die das Württemberg des 18. Jahrhunderts mit dem deutschen Reich des 20. verband. Auch als er in den Fünfziger Jahren in den sonntäglichen Matineen gezeigt wurde, war es leicht, entweder im Nachhinein Schiller als Identifikationsfigur zu sehen für einen Widerstand, der nicht geleistet worden war, oder ihn, ganz aktuell, für den Widerstand in Anspruch zu nehmen, den man dem erstickenden Neokonservativismus im Westen des Nachkriegsdeutschland leisten wollte.

Der heutige Blick hat die Möglichkeit, historisch und medienkritisch analytisch zu sein. Sowohl zu sehen, dass deutsche Gewalt, auch in sehr unterschiedlichen Systemen, immer mehr war als die Despotie der politischen Macht. Das hat unsere Erfahrung des 20. Jahrhunderts mit Nationalsozialismus und real existierendem Sozialismus noch einmal bekräftigt. Wir wissen heute aber auch, wie sehr der Zwang, der in „Schiller“ so detailliert geschildert wird, von Goebbels ersetzt wurde durch die Propaganda. Sie lässt die Menschen glauben, das, was befohlen ist, leisteten sie aus Enthusiasmus und freiem Willen in den Diensten eines höheren Ziels. Auch so kann der Geist dressiert werden. Film und gerade ein solcher wie „Schiller“ ist in einer solchen Strategie ein Eckstein, weil er sich als Mittel der Propaganda unkenntlich macht. Die Gewaltverliebtheit der literarisch gefassten Revolten von Schiller bis Heiner Müller legt auch davon Zeugnis ab dafür, wie sehr sie entsteht aus dem Zwang, die Macht nicht nur ertragen, oder respektieren, sondern auch lieben zu müssen.

In: Ästhetik und Kommunikation 128, 2005
In: Ästhetik und Kommunikation 128, 2005

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