Hitlerkantate
Ekkehard Knörer
Eine Geschichte von Verführung und Verrat
Ein Blick von Hitler: Da kippt Ursula um. Vor Glück. Das ist in einer Montage von Archivmaterial – Schuss: Hitler blickt – und Spielszenen – Gegenschuss: Ursula wird ohnmächtig – inszeniert. Die Schwarz-Weiß-Bilder ähneln sich, aber es bleibt eine Naht. Regisseurin Jutta Brückner will keinen geschlossenen Illusionsraum errichten, sie nähert sich der Geschichte an, präsentiert aber keine Welt, die einfach so Geschichte zu sein vorgibt. 1938 ist das Jahr, Ursula ist eine Nazifrau wie aus dem Bilderbuch, überaus blond und zu allem bereit. Lena Lauzemis legt viel Überzeugung in diesen Körper, Fanatismus lauert in ihren Augen, sie steht stramm, zittert und fällt aus Liebe zum Führer.
Und doch ist es nicht so einfach. Sie ist Komponistin oder wäre es gern. Eine Frau als Komponistin jedoch, das darf nicht sein. Assistentin, das geht, ihr Verlobter Gottlieb macht’s möglich, er ist ein aufstrebender Nazifunktionär. So gerät sie nach Finnland, zu Hans Broch (Hilmar Thate), der einmal links war, der mit einer Jüdin verheiratet ist, der die Nazis verachtet, und auch Ursula verachtet er, die den Führer so inbrünstig liebt. Und doch ist er bereit, zum Geburtstag des Führers eine „Hitlerkantate“ zu komponieren. Richard Strauss macht ja auch mit. Aber so einfach ist es nicht.
Aus Verachtung wird, wenn nicht Liebe, so doch Begehren. Auf dem Boden und am Klavier. Junge fanatische blonde Frau und alter sarkastischer ergrauender Mann. Der Verlobte kommt zu Ursula, mit eigenen Sorgen. Väterlicherseits fehlt ihr der Ariernachweis, damit ist die Heirat gefährdet. Er hat Instrumente dabei, einen rassistischen Wissenschaftskoffer zur Vermessung des Kopfes, der, denkt man, sogar dem SS-Mann so lächerlich scheint, wie er ist. Brochs Frau kommt, viel Zeit hat sie nicht, eine erfolgreiche Sängerin, erfolgreicher als der Mann. An der Wand hängt ein knallrotes Bild, das sie als Jüngere zeigt. In ihrem Schatten steht er.
„Hitlerkantate“ verkompliziert immer weiter. Es gibt noch den Kameramann, der einen Pornofilm drehen soll, sich aber in die Darstellerin, eine blonde Jüdin, verliebt. Der Film beginnt, diese Frau und diese Geschichte gegen die Ursula/Broch-Konstellation zu spiegeln. Wie überhaupt Spiegel nicht unwichtig sind. Und Ursulas ideologische Standfestigkeit gerät wie ihre erotische Inbrunst ins Wanken. Das ist keine psychologisch simple Bewegung, eher die Konsequenz der sich immer wieder verschiebenden Konstellationen. Und nicht nur der Konstellationen, sondern der Filmsprache selbst, die nicht auf flüssige Illusionierung hinauswill, sondern ständig selbst Sprünge und Brüche erzeugt. Oft grandios spröde sind der Schnitt und vor allem die Bilder von Kameramann Thomas Mauch, der sein Handwerk in der Arbeit mit Reitz, Kluge, Herzog gelernt hat.
Das Spiel der Darsteller ist mit Fleiß theatral. Eine gewisse Künstlichkeit ist überhaupt Absicht. Schön ist, wie der Film trotzdem niemals erstarrt. Hilmar Thate vor allem streift mit seinem ausgestellten Staatsmimenkönnen die unfreiwillige Komik, aber dieser verschachtelte, Fallen stellende, auch im höheren und hohen Ton souveräne Film bereitet ihm eine Bühne, auf der das kaum stört. Bündige Botschaften gibt es nicht. Absurdität steht ihm Raum. Aber wie könnte es anders sein, wenn man dem Irrsinn der Nazi-Ideologie angemessen ins Bild setzen will, und also auch zeigt, wie manche und mancher dem Führer mit Haut und Haaren verfiel.
Ekkehard Knörer
TAZ 18.09.2014
Ekkehard Knörer
TAZ 18.09.2014
weitere Texte zum Film
Erotische Duellsituation
Georg Seeßlen: Was geschah, als Ursula durch einen Blick in des Führers Augen in Ohnmacht fiel, in: Fröhlich, Schneider, Visarius (Hrg.): „Das Böse im Blick.“ text und kritik.
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