Lieben Sie Brecht?
Jutta Brückner
Ein nie gehaltener Monolog der Margarete Steffin, auf ihrem Krankenbett in Moskau, wenige Stunden vor ihrem Tod, gerichtet an den großen Klassiker Bertolt Brecht, der mit der Transsibirischen Eisenbahn auf dem Weg nach Wladiwostok ist, um sich in die USA einzuschiffen.
Lieber Bidi, du musst mir jetzt zuhören, weil es mir bitter ernst ist. Die Gedanken überstürzen sich. Wie soll ich das alles nur so schnell sagen können?
Ich werde Dir nachfolgen nach Amerika, bald, und damit alles anders werden kann, musst Du etwas von mir wissen, was ich Dir nie gesagt habe, weil ich in Deiner Gegenwart nie unbefangen war. Über den Massennöten müssen die Bedürfnisse der Seele gering geachtet werden und ich weiß, dass das Herz nur ein Muskel ist. Nun gut, dann habe ich eben Muskelschmerzen.
Ich war ein scheußlich frommes Kind und deshalb ist mir der Gedanke vertraut, dass die Welt ein Jammertal ist. Und ich bin, glaube ich, eine gute Kommunistin und weiß, dass noch viele Opfer gebracht werden müssen, bevor die Welt gerecht ist. Aber vom lieben Gott weiß ich wenigstens, dass er mich dann für alle die Opfer liebt. Und von Dir weiß ich es nicht. Ich bin Deine Sekretärin und weniger möchte ich nicht sein. Und ich bin Deine Geliebte und mehr bin ich nur in den Träumen, die so verschwiegen sind, dass nicht einmal ich selbst sie träume. Aber der Zwiespalt zwischen dem einen und dem anderen ist mein ständiger Hunger und der macht mich ohnmächtig und verfügbar.
Du willst, dass Liebe zur Produktion wird. Du willst sie als Treibstoff für Produktion, als Schmieröl für Dein Werk. Ich habe immer geglaubt, Liebe ist das ganz andere, der Luxus, den ich nicht kenne. Liebe als Produktion kenne ich, weil ich die Arbeit kenne. Du lebst davon, dass wir uns ganz geben, wenn Du es brauchst und im Dunkel verschwinden, wenn Du uns nicht brauchst. Du wünschst Dir die Frauen brauchbar und großzügig. Du tust, was Dir Dein Schuldbewusstsein eigentlich verbietet und deshalb müssen wir uns so verhalten, dass Du keine Schuld verspürst, damit Du für richtig halten kannst, was Du eigentlich selbst nicht billigst. Du sagst, Du liebst mich und es gibt keinen Grund, das nicht zu glauben, so wie es auch keinen Grund gibt, zu glauben, dass Du Helli und Ruth nicht auch liebst und vielleicht noch ein paar andere Frauen. Aber deshalb hat das Wort Liebe keine Kraft mehr, es riecht nicht, es schmeckt nicht und es erfreut nicht. Ich kann es nicht mehr fühlen.
Du erkennst an, dass ich dieselben Rechte habe wie Du, aber bittest mich, darauf aus Liebe zu verzichten. Und ich tue das, weil mich kein anderer Mann interessiert. Ja, ich habe dieselben Rechte wie Du, aber ich habe andere Bedürfnisse. Sagt nicht der Kommunismus, jedem nach seinen Bedürfnissen? Es ist so viel, was du mir gibst und doch ist es ein entscheidendes Bisschen zu wenig. Deine Liebe ist eine Fülle, an der ich verhungere. Du bist ein Erlöser und ein erlösungsbedürftiges Kind im selben Atemzug, versteckt in dem blauen Dunst Deiner Zigarre. Ich weiß, warum es betörend ist, Liebe als Produktion zu denken, es ist betörend für den, um dessen Produktion sich alles dreht. Das ist die Arbeit für den Herrn, der nicht befehlen möchte, denn dann wäre er ein Herr und der andere ein Sklave. Und so ist die Welt eine restlos nützliche, wenn alle im Dienste des Einen das Nötige aus Liebe tun.
Du fürchtest die Liebe, wenn sie sich nicht völlig in Arbeit verwandelt. Ich habe mich völlig in Arbeit verwandelt, um Dir unentbehrlich zu werden, aus Angst. Wo ist der Unterschied zwischen Liebe und Solidarität? Schreibe ich jede Nacht Deine Manuskripte ab, damit Du jeden Morgen ein neues, jungfräuliches zum Korrigieren vor Deiner Tür findest, aus Liebe oder Solidarität? Ich will Dir alles sein, weil Du mir alles bist. Helli, Ruth und ich, wir lagern uns auf dir ab wie die Jahresringe, der Baum wächst und wird immer machtvoller. Du streust das Lob gerecht über uns aus, aber Du tust es auf Gutsherrenart. Deine Wahrheit hat einen blinden Fleck, denn sie ruht auf einer Lüge. Niemand, auch Du nicht, kann den Inhalt von Worten neu definieren.
Alles, was ich über die Liebe weiß, ist anders als das, was ich mit Dir erlebe. Und doch, nie hätte ich geglaubt, etwas so Schönes zu erleben wie mit Dir. Ich komme über diesen Zwiespalt nicht hinweg. Ich kann ihn nicht erklären, aber er ist da und ich weiß, dass ich in ihm untergehe. Vielleicht ist das der Bruch zwischen mir und der absoluten Modernität, in der die Ingenieure der Seele mit ein paar Handgriffen ein so mangelhaft konstruiertes Gemüt wie das meine reparieren würden. Vielleicht sind Frauen wie ich ein Opfer im Tempel der Moderne? Die Moderne ist, obwohl die Frauen sich die Röcke und die Haare abgeschnitten haben, die Zeit der Männer, die Zeit der Sachlichkeit, der Strenge. In allen Deinen Stücken gibt es liebende Frauen, das liegt an der Konstruktion der Fabel. Warum fällt Dir nie eine Fabel mit einem liebenden Mann ein? Die Weisen haben keine Ahnung von Frauen, sind sie deshalb weise?
Als Ruth auftauchte, fühlte ich mich abgenutzt und abgetragen. Sie ist eine schöne Frau und nur die wirklich schöne Frau und die, der an Männern nichts liegt, ist frei. Denn die erste ist eine Trophäe, um die die Männer sich prügeln und die zweite ein Subjekt ohne Anerkennungswunsch. Ich bin weder die eine noch die andere. Ich bin ein gezeichneter Mensch. Meine Haut ist alt und dünn, und ich bin doch erst 36 Jahre alt. Bin ich kleinlich, dass ich dem Klassiker nicht gönne, was er braucht, um der Menschheit zu helfen? Mein Wunsch bezieht sich auf mein Leben, Deiner auf Deinen Nachruhm.
Ich kann nicht anders, ich muss auf meinen Bedürfnissen bestehen und damit stehe ich nicht in Einklang mit der Zeit und muss mich abschaffen. Wir sitzen an Deinen Manuskripten und sehen in die Zukunft und Du weißt nicht, welche Last aus der Vergangenheit ich mit mir schleppe. Schwer hängt an meinen Sohlen meine Mutter, die Näherin, mein Vater, der Bauarbeiter, und kein proletarischer Stolz hilft mir, die Scham zu überwinden, dass er sich am Morgen und am Abend am Schüttstein in der Küche wusch. Liebe ich Dich, weil diese Erinnerungen, vor denen ich mich nicht schützen kann, mich für Dich nützlich machen? Weil Du dem Arbeiterkind einen Wert verleihst? Ich bin die Materie, von der Du zehrst. Du hast mich in Deine Welt geholt und da bin ich nichts ohne Dich.
Ich sehe dich an voll Liebe und Dankbarkeit und voll Hingabe, aber auch voll Neid und Wut. Es ist nicht nur die Tuberkulose, die in mir wühlt. So ist die Liebe zum Stoff geworden, der die Liebende verbrennt.
Es zu beschreiben, hat mich gerettet, wenigstens für heute Abend.
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„Lieben Sie Brecht?“
Gespräch mit der Dramaturgin und Filmkritikerin Erika Richter
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