Bräute des Nichts
Die Totmacherinnen
Ist schon mal ein Theatermacher auf die Idee gekommen, Joseph Goebbels mit Andreas Baader zusammenzuspannen, um gemeinsame unbewusste Muster auszuloten? Wahrscheinlich nicht.
Dafür treffen sich Magda Goebbels und Ulrike Meinhof in Stuttgart-Stammheim – in Jutta Brückners Video-TheaterPerformance „Bräute des Nichts“ in der Black Box der Berliner Akademie der Künste. Die RAF-Terroristin bekommt in der Nacht vor ihrem Tod Besuch von der „Ersten Mutter des Reiches“, sieht sich also mit dem personifizierten Feindbild schlechthin konfrontiert. Die große Klammer für diese Begegnung lautet „weiblicher Terror“ beziehungsweise „weiblicher Fanatismus“, was vielleicht mehr über die Probleme einer feminin fokussierten Geschichtsschreibung verrät als Brückners spektakulär-spekulative Versuchsanordnung selbst.
In ihrem begleitenden Essaybuch „Bräute des Nichts“ (Verlag Theater der Zeit, 157 S., 12 €) legt Brückner Meinhof und Magda Goebbels gleichsam auf die Couch und findet in ihren „Seelenbiografien“ Masochismus, Leere, Zerrissenheit zwischen unvereinbaren Rollenanforderungen und Mangel an weiblichen Identifikationsfiguren im Machtbusiness. All das als mögliche Schlüssel für die spezifisch fanatische „Liebesgeschichte mit der Politik“, die laut Brückner für Frauen im 20. Jahrhundert bis zu einem gewissen Grad verallgemeinerbar ist. Da die Brücken, die sie zwischen Goebbels und Meinhof schlägt, häufig fragil sind, Brückner zudem in einer feministischen Tradition steht, die das Weibliche in Opposition zum Männlichen denkt und mit Begrifflichkeiten wie Revolution, Terror und Fanatismus eher sportlich als streng akademisch umgeht, provoziert die Lektüre jede Menge Einspruchsimpulse und lässt viele Fragen offen.
Eigentlich nicht die schlechteste Voraussetzung für einen Theaterabend – an dem sich die Zuschauer dann gleichsam in einem Kopfinnenraum wiederfinden: Einander überlagernde Bild- und Tonelemente sollen sich zu einer Art stream of unconsciousness verdichten, werden aufgrund der schlechten Akustik aber gleich zu einem geschätzten Drittel geschluckt. Dafür entschädigt Anne Tismer auf der Leinwand: Mit Schwarzhaarperücke, Jeans und auch mal symbolschwer in einer Männerunterhose hockt sie zunächst als Ulrike Meinhof auf einem roten Sofa, bis sie – erst als Schatten, dann immer deutlicher – auch als Magda Goebbels im schwarzen Kostüm und mit tadelloser Hochsteckfrisur unter dem Hütchen in die Bildmontage schreitet. „Ich habe nichts mit dir zu tun; ihr wart Verbrecher, wir sind Revolutionäre; solange ich denken kann, habe ich euch bekämpft“, beharrt Meinhof mit der Leidenschaft der Verzweiflung, während Goebbels ungerührt erwidert: ,,Du kannst mich nicht töten; ich bin doch schon längst in dir drin.“ Aber „im Unterschied zu dir habe ich meine Kinder nicht umgebracht“, ruft Meinhof wieder; und es ist Tismers intensivem, aber nie platt identifikatorischen Spiel zu danken, dass solche Dialoge nicht ins Klischee abrutschen.
Parallel zum Leinwand- und Soundgeschehen mit atonalen Klängen und anderen Botschaften aus dem (mehr oder weniger kollektiven) Unbewussten agiert ein Frauenchor in schwarzen Mänteln und weißen Masken: eine arg simple Verbildlichung des Unbewussten, die Erinnerungen an die Theateravantgarde der Siebziger weckt. So sind die Berührungspunkte, die sich im Lauf der zweistündigen Performance zwischen den Frauen ergeben, letztlich konkret biografischer Natur: die Mutterschaft, der Suizid und die untreuen Ehemänner. Vor allem im Motiv des Betrogenseins scheint alles Komplexe, was Brückner zuvor aufgebaut hatte, argumentativ zusammenzuschnurren. Das ist einerseits recht banal. Andererseits ist man froh, dass die gewaltigen Differenzen zwischen Goebbels und Meinhof bestehen bleiben.
Christine Wahl
Der Tagesspiegel, Ausgabe vom 05.06.2008
Christine Wahl
Der Tagesspiegel, Ausgabe vom 05.06.2008
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