Bräute des Nichts

Terrorfrauen: ,,Bräute des Nichts“ mit Anne Tismer in Berlin

Ulrike Meinhof trifft Frau Goebbels

Muttertier, Liebende, Revolutionärin: Wie verspätete Gäste platzen altbekannte Frauenfiguren in den Reigen der Jubiläumsveranstaltungen, den die Berliner Akademie der Künste zur vierzigsten Wiederkehr von 1968 durchführt. Während die temporäre Ausstellung der Akademie mit Michael Ruetz‘ klug ausgekühlten Chronistenfotos allen Revolutionspathos weit hinter sich lässt, wird in Jutta Brückners Video-Theater-Performance „Bräute des Nichts“ noch immer leibhaftig gekämpft und gewütet. Was nicht schlecht sein muss, da doch eine entscheidende Schlacht nie an ein Ende gelangt ist: Brückner betrachtet und symptomatisiert 1968 aus Sicht einer Geschichtsschreibung der Frauen.

1968, Geschichtsschreibung, Frauen – leider ergibt diese Gleichung, wie so oft, auch für Brückner keine Erzählung von untergründigem Mentalitätswandel und einer wenigstens ansatzweisen Verflüssigung der Geschlechterrollen. Erzählt wird stattdessen einmal mehr die alte Baader-Meinhof-Saga: Ulrike Meinhof als Mutter und Kriegerin, ihre Todesnacht in Stammheim durchfiebernd.

Stammheimer Albtraumnacht

Im Keller der Berliner Akademie windet sich also die Hauptdarstellerin Anne Tismer zunächst als Insassin Meinhof in Qualen. In ihren schick aufgeschlitzten Jeans ist sie auf die Videoleinwand weggesperrt, auf der sich das stilisierte Zellen- Bühnenbild (Olaf Richter) dupliziert wiederfindet, per Lautsprecher bekommt sie ein ums andere Mal die eigenen Gefängniskassiber und Notate um den Körper geschlagen. ,,Ein Revolutionär hat keine Kinder“, heißt es da etwa, oder: ,,Ich wollte eine männliche Nonne sein.“

Tismer, ganz bloß und wund vor Anspruch an sich selbst als Berufsrevolutionärin, spielt den Krampf zwischen Frausein- Müssen und politisches Subjektsein- Wollen herausragend, wird aber vom langatmigen Rauschen der ZitatCollage mehr und mehr aufgerieben. Die Widersprüche ihrer Existenz werden ihr nämlich nicht nur von einem bekutteten Chor vorgesprochen, der unterhalb der Leinwand ihre Realzelle in Beschlag nimmt und vor allem damit beschäftigt ist, mit der geballten Seelenpein einer Stammheimer Todesnacht schwarze Luftballons aufzublasen. Sondern es plumpst in Meinhofs Video-Sicherheitstrakt plötzlich auch noch eine zweite Frauengestalt, ein dunkler MeinhofZwilling, die scheiternde Pointe der Inszenierung: Magda Goebbels, ebenfalls gespielt von Anne Tismer.

Auch die mondän gewandete Goebbels- Ehefrau wird von nun an von allerlei Ansprüchen an ihr Frausein umtost: Als „die erste Mutter des Reiches“ führen die Lautsprecher sie ein: ,,Treue bis in den Tod dem Führer“. Natürlich fügt sich das auf der Leinwand ineinander geschnittene Hadern und Verhärten beider Frauen per knirschendem Analogieschluss irgendwie zu einer Geschichte der weiblich-politischen Exaltation im zwanzigsten Jahrhundert- immerhin waren beide Frauen über das Exemplarische hinaus zerrissen „zwischen Selbstfindung, politischer Öffentlichkeit und Familie mit Kindern“, wie Jutta Brückner in einem anlässlich der Inszenierung erschienenen Essay schreibt (,,Bräute des Nichts. Der weibliche Terror“, Theater der Zeit, 2008). Vielleicht auf der Flucht vor solcher Zerrissenheit hat Magda Goebbels ihre sechs Kinder im Führerbunker für den Nationalsozialismus umgebracht und war auch Ulrike Meinhof bereit, ihre Töchter zugunsten der Weltrevolution wegzugeben.

Bei solchen Mutmaßungen aber bleibt Jutta Brückners Todesnacht-Inszenierung nicht stehen. In letzter Instanz soll Ulrike Meinhofs langgedehnter MagdaGoebbels- Nachtmahr wohl ausgestalten, dass im Frauenterror der RAF ein Erbe von volkskörperhaftem Naziwahn und Antisemitismus geschlummert habe – oder so ähnlich. Daran mag stimmen, was will: Als willkürlich gesetzte Verflechtung zweier großer Fanatikerinnen ist diese jede historische Kontinuität schlicht behauptende „weibliche Geschichtsschreibung“ nicht nur reichlich pathetisch, sie ist vor allem vollkommen beliebig.

Florian Kessler
Süddeutsche Zeitung, Ausgabe vom 06.06.2008
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