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Jutta Brückner

Bilder des Bösen

Das Thema ist vielfältig, aber es soll hier nicht um die Spielart der Bilder des Bösen gehen, die ihren Science-fiction-Charak­ter so deutlich vor sich hertragen, dass man in ihnen mühelos die Verarbeitung kollektiver Gewaltphantasien erkennen kann. Diese synthetischen Träume meinen eine psychische Realität, aber ihre Form gestattet die unkritische Benutzung als Spiel der reinen Phantasie. Mir geht es um die Bilder dessen, was uns als historisch Böses bekannt ist und um die Art seiner Benutzung.
Historische Filme benutzen die Geschichten in ihrer bekannten Erscheinungsform meist als Kulisse. Das Menschliche findet vor dem Hintergrund barbarischer Ereignisse in Krieg, Revo­lution, Verfolgung, Unterdrückung und Befreiung statt. Die nachgestellte Geschichte bietet die pittoreske Distanz des lang Vergangenen und lädt doch das menschliche Schicksal mit dem Reiz der Tragik auf, die aus dem Wissen kommt, dass es in Grundzügen hier um etwas Authentisches geht. Deshalb sind die brennenden Christen an Neros Kreuzen, die in die Strohkörbe Robespierres rollenden Köpfe, die hingeschlach­teten Indianer Cortazars ein dröhnender Beleg für die Größe und Verwerflichkeit des Menschen. Das Böse als die verzerrte Seite der Größe bestätigt die einzigartige Stellung des mensch­lichen Tieres im Universum.

Eine ähnliche Apotheose gelang dem Film bis vor einiger Zeit am größten Werk des Bösen im 20. Jahrhundert, der Ver­nichtung der europäischen Juden, nicht. Das Pathos, das sonst ­historische Bilder einschmilzt und aus dem Grauen in Grusel verwandelt, versagte hier. Filme, die sich mit dem Holocaust beschäftigten, waren eher stumm, bestenfalls stammelten sie, auf der Suche nach einer Sprache und nach Bildern, die dem erzählten, erlebten Grauen gemäß sein konnten. Sie trugen das historische Erschrecken vor der industrialisie­rten und technisierten Barbarei deutlich sichtbar an sich. Und ihre Beweggründe waren die Fragen nach den geistigen, sozialen und­ politischen Hintergründen, der Schuld und den Schuldigen. Adornos bekannten Satz, dass nach Auschwitz kein Gedicht mehr möglich sei, wandelten diese Filme für sich in ­einer entsprechenden Weise ab: An Auschwitz ist keine Bildfaszination zu entfalten, auch nicht die der Tragik, denn Tragik setzt Dimensionen des Menschlichen voraus, die in Auschwitz vernichtet worden sind. Resnais, als er „Nacht und Nebel“ machte, den ersten Film, der sich diesem Thema nähert, drehte ­die heutigen Bilder in Farbe, um zu verhindern, dass sich aus der durchgängigen grobkörnigen Schwarzweiß-Gestaltung eine ästhetische Faszination ergab.

Mitte der siebziger Jahre tauchten plötzlich Filme auf, die meisten kamen aus Italien, die sich diesem moralisch-ästhetischen Credo nicht mehr beugten. Filme über den Faschismus ­und Nationalsozialismus zelebrierten Ausbrüche von Gewalt, Leidenschaft, Erotik und den Rausch, der aus wunderbaren Kostümen, raffinierten Dekors und dem Parfum der Dekadenz ­strömt, die aus der Ahnung des Todes kommt. Die ästhetischen Energien, die diesen Filmen zuströmten, ließen aber, wie viele Kritiker bestürzt analysierten, die SS-Leute zu Puppen aus dem Kostümverleih verkommen, die politische Gewalt zu sado- masochistischen Spielen, und in den ästhetisierten Bildern der Barbarei versank der Schrecken in der Wollust des Bilderrauschs. In diesen Bildern von Gewalt, Schönheit, Ekstase, zusammen mit SS, SA, KZ und dem Hitlerschen Vernichtungs­willen wurde die historische Erfahrung mit der Banalität des ­Bösen und dem Stumpfsinn der Grausamkeit ausgeblendet. Unter der Hand oder mit blanker Stirn wurde der Hitler­-Faschismus hier zur Entfesselung der Triebe, Perversionen, zur manifesten Homosexualität und der Verbindung von Sadismus und Masochismus. Friedländer hat diesen „neuen Diskurs“ über den Nationalsozialismus analysiert [1984]. Ich füge dem, was er ­gesagt hat, ein paar Überlegungen hinzu, und ich tue es am Beispiel des Films von Liliana Cavani „Der Nachtportier“. In der Analyse dieses Films zeigt sich etwas, was vielleicht – ich muss das offen lassen, denn nur eine Detailarbeit könnte es beweisen – an den anderen Filmen wie z.B. denen von Lina Werth­müller und Luchino Visconti auch zu sehen ist.
Cavani erzählt eine Liebesgeschichte zwischen dem Nazi-Offi­zier Max und der jungen Gefangenen Lucia, die er in einem KZ zu sadistischen und masochistischen Spielen zwingt. Nach dem Krieg arbeitet er als Nachtportier in einem Hotel in Wien und ist Mitglied einer Gruppe von ehemaligen KZ-Bewachern, die sich bemühen, belastendes Material über ihre Tätigkeit zu vernichten. Wenn Zeugen auftauchen, die gefährlich werden könnten, müssen auch die dran glauben. Max trifft aus Zufall Lucia wieder, inzwischen die Ehefrau eines berühmten Dirigen­ten. Sie verfallen einander und ihren Erinnerungen, und um sie vor seinen Freunden zu schützen, die sie als gefährliche Zeugin umbringen wollen, verstecken sich beide in Maxens Wohnung, bis ihnen die Vorräte ausgehen, und werden im finalen Countdown im Morgengrauen auf der Brücke über die Donau von den Freunden erschossen. Die Geschichte ist so hanebüchen, wie ich sie hier erzähle, und im Gegensatz zu anderen hanebüche­nen Geschichten, aus denen wunderbare Filme entstanden sind, ist „Der Nachtportier“ kein wunderbarer Film. Aber er ist ein gutes Beispiel für den Prozess, wie historische Bilder zu Metaphern des Bösen verschmelzen können.

Cavanis Anspruch war, nicht die Oberfläche des politischen Körpers abzutasten, sondern wie ein guter Arzt das Innenleben der Nazi-KZs und der Nazi-Seelen zu beschreiben und auch das Innenleben ihrer Opfer. Was nun den Skandal ausmachte, als der Film erschien, war gerade die Tatsache, dass sie behaup­tete, der Nationalsozialismus habe den Frauen eine Selbst­erkenntnis darüber vermittelt, wozu sie fähig seien, er sei für sie ein „alptraumhaftes aber aufschlussreiches Abenteuer gewesen“. Krude: das KZ als Ausnahmezustand, der die Seelenwahrheit offenbart. Das KZ als Ort, an dem Trieb­wünsche wahr werden können, produziert die Gewalt nicht als Teil der Knechtschaft, sondern als Bedingung der Freiheit, die sich deshalb nur hier zeigen kann. Der Ausnahmeort produziert die Ausnahmesituation, die die eigentliche Wahrheit enthält; und da die eigentliche Wahrheit die offene Entfaltung perver­ser Formen von sexueller Verfallenheit ist, wird die Vernich­tungsmaschine zur Lustmaschine. Cavani zeigt in ihrem Film in den ästhetischen Formen eines B-Pictures und sagt in ihren Selbstzeugnissen mit der Deutlichkeit einer naiven Bekenne­rin, was andere Filmer in ihren Filmen subtiler zeigen: der Faschismus als politischer Karneval erlaubt dem Individuum den Exorzismus seiner privaten Lüste.

Nun weiß man ja, dass die erotischen Phantasien, die sich an die Uniform und die Embleme vor allem der SS heften, das genaue Gegenteil von dem behaupten, was real passierte. Die grundlegende historische Fälschung dieses Films und der anderen ­Filme führt dann zwangsläufig zu einer Reihe von kleineren Fälschungen und notwendigerweise zu hanebüchenen dramatur­gischen Kunstgriffen, die die historische Wahrheit verdrehen. ­Man könnte hier stehen bleiben und erleichtert sagen, der Film sei eben einfach nur schlecht. Und zweifellos ist er das in seiner Ansammlung von groben Konstruktionen, die mühsam äußer­lich etwas motivieren sollen, was eine rein innere Bewegung von Unterdrückung und Befreiung ist. Die melodramatischen Inszenierungen, die er betreiben muss, um die Wahrheit seiner ­Geschichte aus der Zwangsläufigkeit des äußeren Ablaufs zu destillieren, knarren in allen Scharnieren. Der Film hat viele Schwächen eines B-Pictures. Aber ein B-Picture sagt in seiner Gemengelage von Wahrem und Falschem oft etwas aus über die Stimmungen der Zeit, der es intensiver verhaftet ist als gelungenere Projekte eines rein entwickelten Autorenwillens. Die historische Wahrheit, die in seinen Geschichtsverfälschungen verborgen liegen kann, ist sicher nicht die der Treue zu den historischen Ereignissen, sondern die ihrer Interpretation.

SS-KZ-Wärter Max, verantwortlich für viele Exekutionsbefehle, wie wir erfahren, wird an seinem Arbeitsplatz im Hotel eingeführt in einer Atmosphäre von Bedrohung und latenter Angst, einer Mischung aus Korrektheit und Schmierigkeit. Wir sehen ihn als passives Objekt homosexueller und heterosexueller Zuneigung, mit Blumen beschenkt und Anträgen umworben, sich ­aber verweigernd. An ihm werden hier schon latent die Züge von Sadismus festgemacht, die dann in den Rückblenden,­ die ihn im KZ zeigen, voll entfaltet werden. Vertrauter und Voyeur der kriminellen Halb- und Unterwelt, übernimmt er aber ausgesprochen weibliche Funktionen: Pillen und Spritze verabreichen in kompetenter Sorge für die Körper der anderen. Er entspricht nicht dem Bild des soldatischen Mannes, disziplinierten Verwalters des Todes oder bietet auch nur das Bild dessen, der in der rigiden Trennung der Geschlechterfunktionen seine kulturelle Identität finden würde.
Als er Lucia begegnet, ist sie die Großbürgerin mit Perlenkette, Schneiderkostüm und Hochfrisur. Ihre quälenden Zwangsvorstellungen äußern sich ihrem Dirigentenmann gegenüber in Launenhaftigkeit und er reagiert darauf wie auf die Unarten eines verstockten Kindes: Er nimmt sie in den Arm, hebt ihr gesenktes Gesicht am Kinn hoch und sagt: „Mein kleines Mädchen.“ ­Auch Max sagt von ihr: „Mein kleines Mädchen“. Als er sie im KZ zum ersten Mal sieht, steht sie nackt in einer Schlange von nackten Wartenden, ihr knochiger Frauenkörper wird durch eine große weiße Haarschleife zum Kinderkörper erklärt. Und der Herrscher Max kann sich diesem Kind nur mit Hilfe der Kamera nähern, ungeschützt und unbewaffnet wagt er sein Auge nicht auf diese Frau zu richten, von der behauptet wird, sie sei ein Kind. Mit dem Revolver, der phallischen Waffe, jagt er sie im Raum herum, um sie dann zu erlösen und zu befreien, indem er sie zu seiner Geliebten macht. Der Mann, dem das Bild seiner eigenen Männlichkeit schwankt, braucht die erlaubte Verfügung über Gewalt, um sich der Frau überhaupt nähern zu können.

Sieht man die Stationen ihrer beider Liebesgeschichte im KZ genauer an, so können sie für Lucia interpretiert werden als das von einem Zerrspiegel zurückgeworfene Modell der bürger­lichen, weiblichen Jugend: ausgeliefert dem männlichen Blick, der sie schützt, indem er ihren Wert als pures Fleisch ab- und einschätzt, wird sie durch die Kamera wahrgenommen als Bild. Sie wird eingeführt in die Liebe in Ketten, ihr wird bei Maxens medizinischen Experimenten eine Wunde, ein Brandmal als Kennzeichen des Eigentümers beigebracht; und hat sie das über sich ergehen lassen, dann wird sie beschenkt, nämlich bekleidet. Das Bild, in dem Max Lucia ein Kinderkleidchen über den Kopf zieht, kehrt mehrmals wieder. Das Ergebnis dieser Zurichtung ist der laszive Kindervamp, der sich die kulturellen Kinoversatzstücke von Sexualität angeeignet hat: das Lied stammt von Marlene Dietrich, die Pose der Hände und die Handschuhe von Pola Negri, der Tanz von Salome (ursprüng­lich sollte er auch in Schleiern getanzt werden). Ihr Kostüm besteht aus Stücken der viel zu großen Kleidung der Eltern: die Hand­schuhe von Mama, Hose und Mütze von Papa. Der Papa erscheint in der Gestalt von Max, und Papa sagt, nachdem er sie in dem Hotel in Wien wiedergefunden hat: „Sie ist mein klei­nes Mädchen, sie ist es geblieben, und kein anderer als ich darf ihr mehr etwas tun.“ Die Verteidigung ist gleichzeitig die schrankenlose Inbesitznahme. Lucia und Max, die Kindfrau und der Mann, der eine Frau nur lieben kann als das seiner Ver­fügungsgewalt ausgelieferte Kind. Cavani schildert die Bezie­hung des Mannes zur Frau als Beziehung des allmächtigen Vaters zur Tochter. Dies gilt für beide Ebenen von Lucias Leben, aber rein und ohne kulturelle Verwirrung, wie ihre Ehe es ja notwendigerweise ist, erscheint diese Beziehung nur im Zwangsuniversum. Wo der Dirigentengatte sie tröstend in den Arm nimmt, aber nicht anrührt, begreift Max sie als Objekt sei­ner sexuellen Neugier. Der Zwang, den er dabei ausübt, enthebt sie nicht nur der Schuld, sondern auch der Scham. Hier ist eine historische Konstellation in der Beziehung zwischen den Geschlechtern aufbewahrt. Und das phantasierte KZ als Zwangsuniversum stabilisiert diese kulturelle Situation, deren Verfall droht, weil es nicht mehr genug Garanten im domestizierten Innenleben beider Geschlechter und nicht mehr genug im Untergrund wirkende Agenten gibt, die diese totale Verfügungsgewalt des Mannes über die Frau als die gesellschaftliche Normalität erscheinen lassen. Max, der bedrohte, schwache, ängstliche, aber auch tyrannische und sadistische Patriarch braucht ein Zwangsuniversum, um seine Liebe zur Frau als Kind ausleben zu können.

Und Lucia? Ist sie einfach eine Masochistin mit Lust am Erlei­den von Schmerz und Gewalt? Daß der Film sadistische und masochistische Szenen hat, ist unbestritten, aber sie sind merkwürdig harmlos. Im KZ haben sie stark demonstrativen inszenatorischen Charakter, sie sind Teil dieser Kunstwelt aus pathetischem Tanz, melancholischem Gesang und perverser Sexualität, als die sich das KZ präsentiert. In Freiheit wirken sie fast komisch, wenn beide nach den gegenseitigen Verletzun­gen mit Glasscherben einträchtig in der Badewanne das Blut ­abwaschen und er dann auf einem Bein zum Fenster hopst. Der Skandal ist hier nicht das Ausstellen von körperlicher Grau­samkeit, davon gibt es in anderen Filmen weit mehr, die Unge­heuerlichkeit ist eine moralische, die Würdelosigkeit nämlich, dass das Opfer Lucia ihren ehemaligen Schinder liebt. Die Ungeheuerlichkeit ist nicht, dass es Menschen wie Max gege­ben hat, die für den Tod von Millionen verantwortlich sind, sondern dass solche Menschen Liebe erregen. Cavani lässt die Begegnung beider, bei der sie sich über ihre Verfallenheit klar ­werden, in der Oper spielen, vor der Szene der Zauberflöte, in der wilde Tiere durch das Flötenspielen besänftigt werden und Liebe spüren. Die Bestie wird durch die Macht der Liebe zum Menschen. Hier wird klar, dass es in ihrem Film nicht um sadisti­sche und masochistische Triebregungen geht, die das Indi­viduum lebensgeschichtlich konstituieren, die nicht den Partner. sondern die Praktiken lieben, die Befriedigung des Trieb­ziels. Der Angelpunkt ist hier die Liebe, die so heftig ist, dass die körperliche Integrität nicht mehr garantiert ist. Die zerstöre­rischen Momente von Leidenschaft sind mit dem Objekt der Liebessehnsucht untrennbar verbunden. Der oder die Ausge­wählte sind nötig, um in Leidenschaft und Todesbereitschaft zu führen. Es geht um das Abenteuer zweier Seelen in zwei Körpern.

Diese seelische und körperliche Verfallenheit geht für Lucia einher mit dem Verlust der bürgerlichen Selbstachtung. Die moralische Selbstkontrolle, die zu bewahren auch in Momen­ten höchster Bedrohung die Leistung war, die das abendländi­sche Individuum definierte, gestattete der Frau nicht die Hin­gabe an ihre eigenen Triebe. Aus Lucia im Schneiderkostüm mit Perlenkette und Hochfrisur wird im Laufe des Films eine Frau mit strähnigen Haaren, im schmutzigen Pullover, mit von Marmelade verschmiertem Mund, zum Schluss wieder im Kin­derkleidchen. Nur das Zwangsuniversum, historisch eingeführt als KZ, in Wien wieder aufgenommen als die Belagerung durch die Gruppe, gestattet die verbotene Freiheit, die in der gesellschaftlichen Normalität, die sich als Freiheit versteht, verboten ist. Wenn Max in SS-Uniform und Lucia im Kinderkleidchen am Morgen über die Brücke gehen, bevor die tödlichen Schüsse fallen, wird der verborgene Sinn des Films klar: nicht nur die Liebe des Mannes als Vater zur Frau als Kind-Tochter, sondern auch – dies ist die eigentliche amour fou, die verborgen werden muss –: das Phantasma der Sexua­lität als Inzest. Und die von Lucia tolerierte Verletzung ihrer Würde als Mensch ist die Bedingung dafür, dass sie die Lust die­ser Beziehung als Lust gestatten und wahrnehmen kann. Ihre Identität als Begehrende befreit sich nur um den Verlust ihrer Würde, als Frau hat sie in diesem Moment aufgehört, ein mora­lisches Subjekt zu sein. Das KZ als Vorstellung eines Univer­sums des Zwangs gibt den Rahmen ab für eine riesige Ver­gewaltigungsphantasie zwischen Vater und Tochter. Seine theatralischen Inszenierungen von Schminke, Maske und Kostüm sind die Requisiten des Karnevals der Lüste, die sich nur unter Zwang befreien können, weil der Zwang schuldentla­stend wirkt. Hier kommt die Malaise ins Bild, dass die Identität des Begehrens für Männer weiterhin mit Herrschaft, für Frauen mit Unterwerfung verbunden ist, und wenn sie das nicht wollen, fallen sie erst einmal ins Nichts.
In der sehr vergröbernden und längst nicht konsequenten Entfaltung dieser Erfahrung, die der Film betreibt, zeigt er doch ein Problem der stotternden Identitätsmaschine „Frau“, in der das Empfinden von Begehren abgeschnürt wurde von dome­stizierenden Tugenden, deren eine zentrale die Bewahrung der Würde war. In dieser Hinsicht konsequent, zeigt Cavani, dass das Ausleben dieser Liebe mit dem immer stärkeren Versinken in Schmutz verbunden ist. Die im Nationalsozialismus und Faschismus betriebene Erstarrung des Lebens in kalter Monu­mentalität wird hier rückgängig gemacht. Wichtig ist aber, dass das für beide gilt. In dieser amour fou fordert die Frau vom Mann die Einlösung eines Versprechens, dass er ständig gege­ben und immer wieder zurückgenommen hatte, weil er sofort an sein Dirigentenpult eilen musste. Denn wenn sie schon redu­ziert ist auf ein Leben in Liebe und nichts als Liebe, dann soll es ihm nicht anders gehen. Dann soll er gemeinsam mit ihr das imaginäre Universum der gegenseitigen Abhängigkeit errich­ten, in dem sie dann beide zugrunde gehen.
Dem Film ist vorgeworfen worden, dass er das KZ als Kulisse für sado-masochistische Spielchen benutze und damit auf uner­trägliche Weise die Würde der Opfer verletze. Der wirkliche Zusammenhang ist vielleicht nicht weniger empörend, aber auf jeden Fall anders. Auch in der Verschiebung vom konkreten historischen Bild von Gewalt zur Metapher von Gewalt werden die Opfer ein zweites Mal umgebracht, denn die Bilder werden ihrer eigenen historischen Wahrheit, dem eigenen Tod, Schrecken, Leiden, der Gewalt erst einmal entfremdet. Aber das, was sich im Körper dieser Bilder einnistet, ist nicht einfach eine private Geschichte, hart am Rande von Pornografie, sondern eine andere Geschichte von Gewalt und Leiden und Tod und Entfremdung, wie sie mit der gesellschaftlichen Orga­nisation der Triebe und der Geschlechterbeziehung im bürger­lichen Zeitalter verbunden waren. Der Film, wie jedes B-Picture, reflektiert nicht, was er tut, er benutzt lediglich etwas. Dieser Umschlag von der historischen Wahrheit zur Metapher ist natürlich hochproblematisch in einem Moment, wo unser geschichtliches Gedächtnis noch wach genug ist, um aus dem Entsetzen, das mit den ursprünglichen Bildern ver­bunden war, noch den Schrecken und die Empörung abzulei­ten, die Bilder also noch aufgeladen sind mit der authentischen Erfahrung und auch daraus ihre Gefühlsintensität beziehen, aber doch nicht mehr an die Strenge der historischen Reflexion gebunden sind, in der sie bisher aufbewahrt waren in ihrer eige­nen Wahrheit. An diesem Punkt des Umschlags ist das histo­rische Bild, das zur Metapher wird, emotionalisiert und trotz­dem frei verfügbar. Vielleicht ist dieser Umschlag aber auch erst möglich in einem Moment, wo die größte bekannte Schreckenserfahrung des 20. Jahrhunderts überlagert, wird von neuen Visionen des Schreckens, vielleicht noch furchtbarer, vielleicht gar nicht vergleichbar, sondern nur anders, vielleicht gar nicht vorstellbar.

Zuerst in: Inszenierung der Macht – Ästhetische Faszination im Faschismus, Berlin 1987
Zuerst in: Inszenierung der Macht – Ästhetische Faszination im Faschismus, Berlin 1987

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