Hitlerkantate
Erotische Duellsituation
„Hitlerkantate“ von Jutta Brückner rebelliert erfolgreich gegen die Korruption in den Faschismus-Bildern des deutschen Kinos
Alles beginnt mit jenem zugleich unfassbaren und verbreiteten Bild: Eine junge Frau, in hingebungsvollem Entzücken, läuft neben dem Wagen des „Führers“ her, bereit, wie sagt man: zu allem. Und Jutta Brückner unternimmt es in ihrem Film Hitlerkantate, in diesem deutschen Bild zu forschen und zu rumoren: Welcher Art ist die Beziehung zwischen den sexuellen Hoffnungen und dem Faschismus? Wie schreibt sich Weiblichkeit im Nationalsozialismus? Wie überlagern sich die Paranoia des zerfallenden Bürgertums und die sexuelle Politik im „Dritten Reich“? Wer konstruiert da wen als „Objekt der Begierde“? Welche Rolle spielt der Rassismus in der Umformung der sexuellen Ökonomie, während die „Judenfrage“ aus dem Stadium der „Straßenexzesse“ in das der „Endlösung“ überführt wird? Wie wird, unter solchen Umständen, aus Macht Sexualität und aus Sexualität Macht? Und welche Chancen wären da, nicht mitzumachen, zu fliehen oder gar Widerstand zu leisten? Oder nur für einen richtigen Gedanken? Es gibt keine einfachen Antworten.
Deshalb kann man dazu auch keinen „einfachen“ Film erwarten. Wir haben uns in den letzten Jahren an „einfache Filme“ zum Nationalsozialismus, zum „Phänomen Hitler“, zum Alltag im Faschismus auf eine Weise gewöhnen müssen, dass es uns nur unheimlich werden konnte. Das besinnungslose Einschreiben der Geschichte in etwas, was noch nicht einmal „Mainstream“ ist, sondern allenfalls dessen trotzig-reaktionärster Teil, der „Hitler“ gar nicht denken kann, ohne ein wohliges Streicheln der eigenen Volksseele zu verlangen, der Nazi-Hintergrund für beliebige Geschichten von Suspense, Melodrama und Familie, ein ständiges Sich-Drücken durch die Genre-Notausgänge vor jeder Auseinandersetzung, diese fast flehentlichen Bitten um den alles erklärenden und alle versöhnenden Nazi- und Hitlerfilm, der bitteschön nichts und schon gar nicht die „Sehgewohnheiten“ stören würde – es konnte einem schlecht werden.
Und da kommt ein Film, der einen entschiedenen Schritt zurück macht, um vorwärts zu kommen. Zurück in den Diskurs, zurück in die filmische Reflektion und Selbstreflektion, zurück nicht zuletzt zur Verantwortlichkeit des Autors. Hitlerkantate ist, wie gesagt, kein einfacher, genauer: kein vereinfachender Film. Er erzählt nicht einfach eine Geschichte, schön sortiert nach Anfang, Mittelteil und Schluss, oder nach Problem, Opfer und Lösung, sondern er entfaltet in verschiedenen Szenen verschiedene Aspekte der Frage nach Sexualität und Faschismus, oder auch „Frau und Faschismus“ (eine Skandalfrage, ohnehin und immer noch). Dazu gehören: Die Produktion eines Porno-Filmes im Auftrag der SS. Der Konflikt zwischen bürgerlichem Liebeskonzept, Rasse und faschistischer Karriere. Das Fantasma des polygamen SS-Mannes, der sein so wertvolles „Erbgut“ weitergeben soll. Die Hingabe der Frau an den Führer. Der schrecklich komische Versuch, die Rasse „wissenschaftlich“ zu bestimmen, durch Kopfform und Haarfarbe etwa. Hitlerkantate zeigt Menschen, die sich permanent in ihrem eigenen Wahnsystem verheddern und vielleicht nicht zuletzt von ihrer eigenen Widersprüchlichkeit zu immer neuen individuellen und kollektiven Schandtaten getrieben werden. Die üblichen Monster kommen hier nicht vor. Durch den Schauder – denn das alles ist ja nicht Erfindung, nicht einmal satirische Zuspitzung, es war blutige Realität und lauert in der einen oder anderen Dosierung hier und da – hallt gelegentlich das Echo eines kosmischen Gelächters. Hitlerkantate lässt sich nicht nur ein auf den „gefährlichen“ Diskurs von Sexualität und Faschismus (ein Abgrund, der immer zurückzuschauen droht), sondern begibt sich auf das fast noch gefährlichere Gelände des Grotesken. Eines Grotesken, das nicht nur in der äußeren Erscheinung liegt, in der grenzenlosen Anmaßung und ihrem Gefälle, wie wir es aus den wohltuenden Chaplin- oder Lubitsch-Filmen kennen, sondern eines Grotesken, das im Wesen dieser „Bewegung“ selber liegt, und das kein bisschen wohltut.
Im Zentrum des Plots steht eine erotische Duell-Situation. Es geht um den Komponisten Ernst Broch, gespielt von Hilmar Thate, der früher einmal ein kommunistischer Künstler war, auch jetzt noch von den Nazis angeekelt ist und in der bekannten Situation eines „inneren Exils“ lebt. Aber der Auftrag, eben jene Hitlerkantate zu schreiben, die im Berliner Olympiastadion mit allen Berliner Orchestern und allen Chören und zum „Lichterdom“ von Albert Speer aufgeführt werden soll, die erscheint ihm doch als reines „Glück“. In der merkwürdigen Zwischensituation in Finnland, wo die Grenzen in beiden Richtungen halb offen und halb zu sind (eine Situation, in der Entscheidungen möglich sind) macht er sich an die Arbeit. Als Schülerin, Assistentin und Spitzel ist ihm Ursula zugeordnet, jene junge Frau, die wir am Anfang gesehen haben, wie sie allein vom Blick in Hitlers Augen ohnmächtig wurde; Lena Lauzemis spielt sie, wie jemand, der in einem Körper und in einer Biographie gefangen ist und sich zugleich als Befreier wähnen möchte: vom eigenen Glühen berauscht. Das Duell, wenn man so will, ist eines der Liebe, eines der Politik, eines der Kunst und eines der Macht, es ist eine Vater/Tocher-Beziehung, eine Beziehung des alten und des neuen Bürgertums, der alten und der neuen Moderne, zwischen Seele und Subjekt, und auf allen diesen Feldern einer unübersichtlichen Schlacht der Gefühle und Ideen, geht es um die Frage, wie etwa Hitler aus dieser Frau zu vertreiben sei: Durch die Kunst? Durch die Liebe (oder einfacher: durch Sex)? Durch die besseren Ideen? Durch Ehrlichkeit (eines alten Mannes, der sich mindestens durch trägen Opportunismus schuldig machte)? Durch eine Autorität, die sich an die Stelle der anderen setzt, oder durch eine, die sich preisgibt? Durch das Dasein oder das Verschwinden von Männlichkeit? Hitler in Ursula, das ist nicht zuletzt immer auch das andere von Broch. Eine sichere Seite gibt es in diesem Film nicht.
Und bei alledem: Diese Auseinandersetzung wird nicht nur in Bildern, in Worten und in Musik dargestellt. Es ist zugleich auch die Auseinandersetzung um die Bilder, um die Worte, um die Musik. Peter Gotthards Musik zum Beispiel geht noch einmal, auf einer zweiten Ebene, dieser Frage nach, wie sich die ästhetische Geste beugen, infiltrieren, korrumpieren oder betrügen lässt, bis zu jener absurden „Wahrheit“, die Broch endlich in seiner neuen Komposition erzeugt: „Eine Musik, die von der Lust an der eigenen Unterwerfung erzählt, von dem Glück, sich dem hinzugeben, bis in die Katastrophe“. Und das ist auch ein Stand im Duell der beiden, ein gegenseitiges Durchdringen, Durchschauen und Distanzieren, das auf jeder Ebene und in jedem Feld neue Grotesken erzeugt, bis es in einer enthusiastischen Erschöpfung endet. Denn so, wie Ursula ihren „Führer“ braucht (den Vater, den Lehrer und Hitler, um einmal hin und weg zu sein), so braucht Broch die jugendliche Erlöserin, die neue Kraft. Die unabwendbare Desillusionierung in jeder Hinsicht ist danach keine Lösung mehr. Zumindest dies ist begriffen: Der Faschismus ist nicht einfach eine Uniform, die man sich anzieht oder ein Abzeichen oder eine Idee oder ein Wörtersystem. Er ist Biographie und Begehren, so wie er Tod und Verfehlung ist.
Hitlerkantate ist kein einfacher Film, aber er ist keineswegs ein Film, der es etwa darauf anlegte, es einem schwer zu machen. Nie bläst er sich formal auf, nie kokettiert er mit der eigenen Abgründigkeit, wie es noch viele der Filme aus den siebziger Jahren taten, die sich auf die Motive Sexualität und Faschismus einließen. Jutta Brückner weist auf einen hysterischen Zusammenhang, ohne je selber hysterisch zu werden. Das mag einem gelegentlich etwas spröde vorkommen, so als würden sich die Bilder immer erst durch ein Diskurs-Gitter offenbaren können. Andererseits gibt die Regisseurin damit den Zuschauern auch eine gehörige Portion Souveränität zurück, die sie in den vorgeblich „naiven“ (und in Wahrheit nur korrupten) Nazi-Bildern der vergangenen Kino-Jahre verloren haben. Man muss ihre Bilder nicht wörtlich nehmen (schon gar nicht im Sinne des psychologischen Realismus und des Melodrama), man muss ihnen nicht einmal immer glauben, man kann sie vielmehr als Vorschläge begreifen, Zusammenhänge zu sehen in verblüffenden Tiefen und fälschlich entrückten Höhen.
Hitlerkantate ist einer der notwendigsten Filme über den Faschismus letzthin, nicht nur für sich selbst, sondern vor allem auch für die Entwicklung dieser Bilder-Geschichte. Es ist der Film, der uns sagt, dass das Denken in den Bildern noch nicht abgeschafft ist.
Georg Seeßlen: Was geschah, als Ursula durch einen Blick in des Führers Augen in Ohnmacht fiel, in: Fröhlich, Schneider, Visarius (Hrg.): „Das Böse im Blick.“ text und kritik.
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