Bräute des Nichts

Alles in Mutter: Anne Tismer als Ulrike Meinhof in Berlin

Rotfront und Stiefeletten

Wenn Worte Bilder zeugen könnten, wäre dieser Abend ein Triumph. Denn Jutta Brückner, die Regisseurin, Filmemacherin und langjährige Berliner Kunsthochschul­professorin, hat eine Zentnerlast von Re­flexionen und Spekulationen über Magda Goebbels und Ulrike Meinhof, die so sehr Verschiedenen und doch so Ähnlichen, aus der Tiefe ihres Wissens ans Licht ge­stemmt. Nur hat sie die Last nicht auf die Bühne gestemmt. Sondern in ein Buch.
Der Band, hundertsechzig Seiten stark, heißt „Bräute des Nichts. Der weibliche Terror“ und ist so etwas wie das Pro­grammheft zu Brückners gleichnamiger Theater- und Videoperformance in der Akademie der Künste am Pariser Platz. Es stehen starke Sätze darin („Das Unbewuss­te der deutschen Geschichte im 20. Jahr­hundert ist weiblich“) und auch schwäche­re, flachere („Die Emanzipation ist kein Irrtum der letzten Jahrzehnte – eher ein immer noch unabgeschlossenes Kapitel der Menschheit“). Vor allem aber steht ein Satz in dem Buch, der eigentlich nicht dar­in stehen dürfte: „Man kann Baader und Hitler nicht miteinander gleichsetzen, so­wenig man Magda Goebbels und Ulrike Meinhof gleichsetzen kann.“ Denn eben das tut Jutta Brückner. In Worten und in Bildern, auf der Bühne wie im Text.

Für Brückner sind Magda Goebbels und Ulrike Meinhof Komplementärfiguren der weiblichen Rebellion gegen das herr­schende Frauenbild im zwanzigsten Jahr­hundert. Die eine, Magda Friedländer ge­schiedene Quandt, heiratet den Propagan­daminister Hitlers und gebiert ihm sechs Kinder, um ihr Mutterdasein mythisch zu überhöhen. Als dieses Ich-Konstrukt mit dem Untergang des Dritten Reiches zu­sammenbricht, tötet sie erst ihre Kinder und dann sich selbst. Die andere, Ulrike Marie Meinhof, flieht aus der privaten Hölle einer linksbürgerlichen Ehe in die öffentliche Hölle der „Rote Armee Frakti­on“. Ihre Haft, in der sie von ihren Terro­ristenfreunden zunehmend gemieden und verachtet wird, stilisiert sie zum Martyri­um: Die Mitgefangenen nennen sie „Non­ne“. Am Jahrestag der deutschen Kapitula­tion, in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1976, erhängt sie sich in ihrer Zelle.

In dieser Nacht spielt Brückners Thea­terversuch. Auf eine Minimalbühne aus Tisch, Bett und Stuhl stellt sie die letzten Stunden der Ulrike M., samt Geisterer­scheinung (Magda G.) und Rückblende (Andreas Baader als Schatten an der Wand). Die Bühne ist, wie der Blick der Regisseurin, verdoppelt, sie wiederholt sich in der Videoprojektion, die an Stelle eines Bühnenbilds für Bilder sorgt. Die Heldin des Abends freilich ist nur eine: Anne Tismer. Als Ulrike trägt sie Hosen, Feinripp-Unterwäsche und Rotfrontpullo­ver, als Magda einen Damenhut und Stie­feletten zum braunen Kostüm. Immer aber spricht sie mit einer Stimme, mit der man, wäre die „Black Box“ im Kellerge­schoss der Akademie nicht ein so perfekt einbetonierter Raum, die Steine ringsum zum Schmelzen brächte. Sie zersägt die Luft, um sich Platz zu schaffen. Leider ist dieser Platz nicht auf der echten Bühne, sondern fast nur im Video, das Tismers Wüten in die Vergangenheitsform setzt. Ihre furiose Selbstzerfleischung prallt ab, nicht am Beton der Berliner Akademie, sondern an der Kälte des Objektivs.
Währenddessen huschen vor dem Publi­kum vier schwarzvermummte Gestalten mit weißen Gesichtsmasken herum. Sie sind der „Chor“, sozusagen die Denkhilfs­truppe des Abends. Sie verteilen Stahlkugeln auf der Bühne und blasen schwar­ze Luftballons – Bomben für den Klassen­feind, Bauchballons für die mordende Mutter. Als die Vermummten das Mobi­liar zerlegen, sieht man, dass es fast nur aus Bücherstapeln und Zeitungen be­steht. Wie unter dem Pflaster der Strand liegt unter der Performance das Papier.
„Wir sind die Kolportage der Geschich­te“, sagt Anne Tismers Magda am Ende, „wir halten das Begehren wach.“ Das hät­te man gern gesehen. Aber wach ist an die­sem Abend nur der Film im Hintergrund, das Theater ruht. Es hat sich mit einem guten Buch ins Bett gelegt. Dort liest es „Bräute des Nichts“.

Von Andreas Kilb
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