Bräute des Nichts

Weiblicher Fanatismus im Nationalsozialismus und in der RAF

Eine Performance mit Anne Tismer und eine Podiumsdiskussion in Berlin

110 Minuten dauert die dokumentarische Parallelmontage, mit der die Regisseurin Jutta Brückner das Leben von Magda Goebbels und Ulrike Meinhof für eine Performance miteinander verknüpft. Brückner will verschwiegene Erbschaften von Nationalsozialismus und RAF zur Sprache bringen und legt ihren Fokus auf die besondere Rolle des weiblichen Fanatismus.
Der Ort für die „Bräute des Nichts“ ist gut gewählt: nackter Beton, keine Fenster, ein hoher, rechteckiger leerer Raum, die sogenannte Black Box im 3. UG der Akademie am Pariser Platz – ein geschichtsträchtiger Ort, nahe dem Brandenburger Tor. Eine Zelle, ein Bunker. Auf der kleinen provisorischen Bühne liegt auf vier Stapeln eingepackter Bücher eine Tischplatte, steht eine Pritsche mit roter Decke, lehnt ein handgemaltes Schild: Andreas Baader; ein paar alte große Lautsprecher ragen in die leere. An der Stirnwand hängt eine große weiße Projektionsfläche. 110 Minuten dauert die dokumentarische Parallelmontage, mit der Jutta Brückner das Leben der beiden Frauen, ihre bedingungslose Hingabe an die Sache, Hysterie und Wahn-Sinn und schließlich das radikale Ende von Magda Goebbels und Ulrike Meinhof wieder aufleben lässt und miteinander verknüpft. Sie will die verschwiegenen Erbschaften der beiden deutschen Tragödien des 20. Jahrhunderts, Nationalsozialismus und RAF, zur Sprache bringen, die besondere Rolle des weiblichen Fanatismus. Viel Stoff, ein hoher Anspruch. Die Schauspielerin Anne Tismer spielt beide Frauen – im Video, nicht auf der Bühne. Die mit kurzen schwarzen Haaren, leger in Jeans und T-Shirt gekleidete Ulrike Meinhof und die Dame der besseren Gesellschaft in Kostüm mit Hut, Magda Goebbels. Das abgefilmte Kammerspiel zeigt in kargen, streng komponierten Bildern, die Wut, die Aggressionen, die Kämpfe der beiden „Bräute des Nichts.“ Ulrike: sie erinnert sich, schlägt sich, wandert unruhig hin und her, befriedigt sich mit einem Kabel, ruft, fleht, schimpft, flucht. Bomben, Tote, Stammheim, die Einsicht Fehler gemacht zu haben, das Winseln um die Anerkennung der Gruppe; Magda, die schöne, elegante Frau, die mehr als Ehefrau und Mutter sein will, die ihre abgöttische Liebe zum Führer mit sechs Kindern krönt, bedingungslos zum „Volkskörper“ gehören will. Und beide Frauen rechnen ab, mit ihren untreuen Ehemännern, mit der Mutter, mit dem politischen Verrat – wie oft kann man Liebe widerrufen? Beide verbindet der betriebene und erlittene Antisemitismus und das radikale Ende: der Selbstmord. Jutta Brückner hat viel Material zusammengetragen, um zwei Einsichten zu untermauern: es ging nicht um Politik, es ging um Leidenschaft und ihr geht es um eine andere, die weibliche Geschichte der Moderne. „Wir sind das Unbewusste der Geschichte“ mit dieser Feststellung endet der Parforce-Ritt durch die deutsche Vergangenheit. Sie klingt in diesem Moment irritierend banal, nach dem Feminismus der 70er Jahre. Das gefilmte Kammerspiel erweitert die Regisseurin um einen Chor. Vier schwarz verkleidete Personen mit weißen Gesichtsmasken bespielen die Bühne. Silberne Kugeln, schwarze Luftballons, Bücher und Taschenlampen sind ihre Utensilien – sie verkörpern, was nicht zur Sprache kommt. Das Unbewusste der Geschichte? Ein Mummenschanz, ohne theatralischen Mehrwert. Anne Tismer tritt sozusagen als Dokumentaristin mehrmals dazwischen, liest Texte vor. Jutta Brückner hat eine komplizierte Anordnung entworfen, viel historisches Material ausgebreitet, Assoziationen und mögliche Verknüpfungen in Szene gesetzt und bleibt trotzdem eine Antwort schuldig. Die Antwort auf die Frage, welche neue Erkenntnis bringt uns die Verbindung dieser beiden extremen Frauenleben? Begreifen wir anhand der individuellen Schicksale den weiblichen Fanatismus, der vor der Ermordung der eigenen Kinder nicht zurückschreckt? Begreifen wir den weiblichen Terror besser oder neu? Nein. Es sind neue Bilder hinzugekommen. Nicht gelangweilt, aber unberührt verlassen wir die Black Box.

Von Claudia Henne
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