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Jutta Brückner

Frauen – Blicke – Tanz – Körper

Frauen – Blicke – Tanz – Körper: Vier Begriffe, Aggregatzustände, Seinsmodi, die die Ecken eines Rechtecks, vielleicht die Ecken eines Kräfteparallelogramms bilden Bei der Erforschung der Kraftlinien, die von einem zum anderen gehen könnten, möchte ich mit dem anfangen, was ja schon von Frauen bei ihrem Nachdenken über Film und Kino sehr gut erforscht worden ist: mit dem Blick.
1n der feministischen Filmtheorie ist der Blick beschrieben als die Konstruktion des Bildes der Frau als Fetisch, also ein sehr spezifischer Mechanismus der Konstruktion von Weiblichkeit im Kino. Diese Theorie hat sich herausgebildet am klassischen narrativen Spielfilm Hollywoodscher Prägung. Und die im Hintergrund lastende Frage war immer, gibt es in diesem System der Blickkodierung eine Möglichkeit für Frauen, einen anderen Blick auf die Personen und ihre Konstellationen zu werfen. Ich möchte dieselbe Frage von einem anderen Punkt aus stellen und beantworten: Wie sieht der männliche und der weibliche Blick auf Körper und Geschlecht aus? Und um gleich alten Mißverständnissen vorzubeugen: der männliche Blick ist nicht naturgemäß, quasi bologisch, der Blick der Männer. Denn er ist eine kulturgeschichtliche Formung und gesellschaftliche Konstituierung der Wahrnehmung. Obwohl Kulturgeschichte, Gesellschaft und Biologie über weite Strecken zusammengefallen sind, leben wir doch heute im Zeitalter, wo sich ihre Deckungsgleichheit auflöst. Und von männlichem Blick möchte ich hier nur noch reden, wenn die biologische Funktion des Auges mit der gesellchaftlichen Formung der Wahrnehmung platt in einen Topf geworfen wird und der Blickende und Wahrnehmende es tut, ohne jeden selbstreflexiven Bezug auf die Kultur und Geschichte, die seine Wahrnehmung geformt haben. Daß das leider heute bei der überwiegenden Anzahl der Männer und als kanonisierter Standpunkt in unserer Kultur immer noch der Fall ist, ist ein anderes Problem.
Das Genre, wo der männliche Blick sich am reinsten, quasi nackt, ausdrückt, ist der Pornofilm. Er verkörpert (dieses Wort durchaus zweideutig genommen) die am meisten zugespitzte Form des männlichen Blicks auf die Frau und ihren Körper. Um den Unterschied zu begreifen zu der Art und Weise wie Frauen sich zumindest bis zur sexuellen Revolution der 60er Jahre selbst erlebt haben und zwar durch Jahrhunderte, reicht es aus, bis zur Romantik zurückzugehen. Seit dem Beginn des industriellen Zeitalters sind Frauen als „das Andere“ begriffen worden, als Hüterinnen eines utopischen Ortes, der sich im Gegensatz zur männlich durchrationalisierten und dabei immer mehr verformenden Welt der Arbeit verstand und natürlich von dieser Welt der Arbeit völlig abhing. An diesem utopischen Ort gab es keine Sexualität, sondern nur ewig schenkende, unerschöpfliche Liebe in Analogie zur Natur. Nun ist natürlich die Sexualität keine Kraft, die einfach verschwindet, wenn sie geleugnet wird. Aber sie wurde entmaterialisiert, sie verlor ihren konkreten Ort, der an die konkrete, den Mann vielleicht ängstigende Befriedigung geknüpft war und sein Bild von der Ursprünglichkeit der Natur gestört hätte. Daß in diesen Mythos, quasi als Gegenmythos, auch die unerschöpfliche narzistische Sexualität einer Carmen gehörte, ist klar. In einem trafen sich beide: Sexualität breitete sich in diffuser Form über den ganzen Körper aus, ein Stückchen Bein, ein Händedruck, ein Augenaufschlag waren Tor zur höchsen Seligkeit. Kurz: Sexualität transformierte sich in Vor-Lust, die im Prinzip unendlich gedacht wurde. Sie wurde zum Mysterium, das sein Geheimnis aus der Distanz empfing. Und mächtigster Motor war dabei die Phantasie.
Diese Verschiebung von Liebe und Sexualität auf Erotik entsprach männlichen Interessen, das muß man klar sehen, denn immer noch ging und geht es ja auch noch heute um die legitime Familiennachfolge. Nur hatten die Frauen in diesem Spiel einen ganz wichtigen Part. Sie waren die Stichwortgeberinnen, die das Spiel in Gang setzten, in Gang hielten oder auch beenden konnten und es war ihr Körper, der Hort des Mysteriums war, das um so wunderbarer wurde, je weniger es zu erreichen war. Die Unterdrückung, um die es hier zweifellos ging, nahm doch eine andere interessante Form an. Das Begehren des Mannes schuf den Rahmen, in dem die Frau eine Hauptrolle spielte. Sie hatte in dieser Inszenierung einen Spielraum, in dem sie an ihrer eigenen Legende wirken konnte. War das Mysterium erst einmal entschleiert, begann der banale Ehealltag, also war es ihr Interesse, das Spiel so lange wie möglich auszudehnen. In diesem Spiel, in dem die Sinnlichkeit aufs höchste gesteigert wurde, weil die Sexualität von ihrem Platz verdrängt worden war, hatte das Geschlecht keinen realen, sondern einen mythischen Platz.
im Gegensatz zu dieser historischen männlichen Inszenierung von Sexualität, in der die Frauen für den Verlust an Lust mit einem Überschuß an Begehrt-Werden und viel narzistischer Gratifikation entschädigt wurden, gibt es heute eine männliche Inszenierung von Sexualität, die im Vergleich dazu erst einmal grobe Kost für feine Mägen ist und sie ist sichtbar im Pornofilm. Ihm zerfällt der Körper in wichtige und in unwichtige Partien. Die wichtigen sind: Penis, Scheide, Mund, After, Brust. Lust ist, wenn zwei davon zusammenkommen. Das heißt aber auch: der Körper ist fragmentiert. Noch nicht einmal in der Summierung der Teile wird er als Einheit erfahrbar.

Die Perspektive der Kamera ist der blick des Mannes auf Körper und Gesicht der Frau, selten blickt das optische Auge auf ihn, denn da gibt es außerdem dem Ende der Orgie, dem verspritzten Sperma auch nichts zu sehen. Aber diese gleichzeitig mechanische und wütende Anhäufung von Lust ist auch ein Versuch, sie zu horten, weil sie sonst wieder zwischen den Fingern zerrinnt. Die Figur, die darin verborgen ist, ist das Geld. Die gesamte Pornoinszenierung trägt die Handschrift des Mannes und die unserer Zeit, deren Wertekategorien Arbeit und Geld sind. Der Frau bleibt darin nur ein kleiner Rest an Eigeninszenierung. Denn was an ihrem Gestöhn und Geschrei unmittelbar Äußerung vo Lust ist oder deren bewusste und gewollte Inszenierung und ob die Inszenierung ein wirkliches bild nachinszeniert oder wiederum ein Phantasma und zwar das Phantasma des Mannes und wo die Lust ist, sollte sie denn wirklich da sein, das alles ist für die Kamera, die Kamera als männlichen Blick, und den von der Kamera gelenkten Blick des Zuschauers und der Zuschauerin nicht nachzuprüfen.

Im Pornofilm wird deutlich, wo das rastlos forschende Sehen des Mannes ein Ende hat. Der auf die Wahrheit des Körpers gerichtete Blick findet zuckendes Fleisch in Großaufnahme, das über das zu entschleiernde Geheimnis nichts aussagt. Von daher auch der Drang, immer tiefer in dieses Fleisch einzudringen, es umzustülpen. In psychoanalytischer Betrachtungsweise ist dieser Zwang Teil der männlichen Kastrationsangst, die selbst in Softpornos ein Element des Tödlichen hineinbringt, weil anders an das Innere, da, wo das Geheimnis sitzen soll, nicht heranzukommen ist. Der männliche Blick, der njchts Unsichtbares dulden kann, muß hier zwangsläufig zum Skalpell werden wie in Oliveiras Film „Francesca“. Es wird die Geschichte eines Mannes erzählt, der mit der Frau, die er liebt, nicht schlafen kann, weil er nicht weiß, ob sie nicht schon andere Liebhaber vor ihm hatte. Am Elend dieser Beziehung stirbt die Frau. Und jetzt kann der Mann ihren Körper aufschneiden lassen, man nennt das dann Autopsie, um herauszufinden, ob sie wirklich unberührt war. Und weil dieser Blick mit dem Seziermesser in der Hand an Authentizität nicht mehr zu überbieten ist und jetzt zweifelsfrei feststeht, daß sie Jungfrau war, kann er sich in die tiefe romantische Trauer fallen lassen, in der er sie jetzt besitzen kann: als Abwesende, die vor ihm kein Geheimnis mehr hat, aber ganz zu einem Geheimnis geworden ist, das er kontrolliert. Es wird in diesem Film nicht darüber gesprochen, daß der identifizierende Blick beim Aufschneiden statt des Geheimnisses nur Gedärme gesehen hat.

Und der weibliche Blick?
Es ist klar, daß die Ersetzung des blickenden Mannes durch die blickende Frau keine Umbestimmung eines kulturellen Prozesses ist, sondern ein Kurzschluß auf der thematischen Ebene. Und es gilt außerdem, daß die Wahrnehmung von Frauen nicht „rein“ ist, „unrein“, gemischt und sie nicht auf der Suche nach dem gereinigsten Blick sind. Daß die Frauen sich und ihren Körper anders sehen und erleben, wissen nicht nur Frauen, sondern auch alle Männer, die den schwarzen Kontinent je versucht haben zu beschreiben oder zu erforschen. Ein Rest der Erotisierung des ganzen Körpers, wenn auch im Schwinden begriffen, haftet ihrem Blick und ihrer Selbst-wahrnehmung an. Dem identifizierenden, registrierenden, männlichen Auge setzen sie einen anderen Blick entgegen, der auch von der kulturellen Skotomisierung geformt war: eine schweifende, selbstbezügliche Wahrnehmung ihrer selbst als denkendem Körper, in der die Grenzen zwischen imaginierender Phantasie und realistischer Wahrnehmung fließend sind. Dieser Blick war zerstreut oder saugend, aber nie neutral und in der richtigen Distanz. Er sah sowohl nach außen wie nach innen und heftete sich symbiotisch an die Dinge wie in einer Art sehendem Fühlen. Es ist keine Frage, daß der klassische Hollywoodfilm, besonders im Genre des Melodrams dieser historischen Wahrnehmung der Frauen weit entgegen kam und sie dabei gleichzeitig zementierte. Vorstellungsbild und Realitätseindruck werden diesem Bild gleichermaßen materialisiert wie entstofflicht, was für die Realität vor allen Dingen bedeutet, daß sie transparent wird für andere stoffliche und unstoffliche Seinsweisen. Die Vorliebe vieler Frauen für das Fließende hat hier wohl eine ihrer Wurzeln.
Es handelt sich hier offensichtlich um eine geschlechtsspezifisch andere und auch historisch ältere Art des Sehens. Sie hat etwas mit dem zu tun, was Eisenstein am Kabuki-Theater als Erbe feudalistischer Traditionen beschrieb: das „Verschmolzensein“ der Bilder. Auch dies ist Sehen und nicht etwas ein Mangel an Sehen. Der Traum als eine archaische Form von Bewußtsein könnte auch hier in Resten eine historische Form der Wahrnehmung konserviert haben. Dieser Blick der Frauen sieht genau, weil er nicht zu genau hinsieht, weil er sich, auch nach innen gewandt, den Phantasiebildern öffnet und sie mit den konkretistischen Filmbildern verschmelzen läßt. Das aber ist die Grundlage für jede Form von Identifikation, die ja gerade die Frauen im Kino so besonders suchen. Und es ist kein Widerspruch, daß gerade an diesen Filmen, die ja auch für die Zielgruppe „Frauen“ gemacht worden waren, die feministische Theorie vom männlichen Blick im Kino entwickelt worden ist, denn die weibliche Identifikation mit dem männlichen
Blick ist nur möglich, wenn die Weise der Wahrnehmung der Frauen respektiert wird, um ihnen den männlichen Standpunkt quasi unterzujubeln. In diesem historischen Augenblick der Filmgeschichte machte „das Kino“ auf einer seiner Entwicklungsstufen klar, daß der eigene Blick der Frau, mediatisiert in einem technischen Medium, immer der männliche war, den sie auf sich selbst richtete. Auch hier und nicht nur im Pornofilm wurden die Frauen zu Voyeuren ihrer selbst.
All die raffinierten Mittel, mit denen die Identifikation im Kino erzeugt wurde, sucht die Frau im Pornofilm vergebens, denn hier geht es nicht um den Fetisch sondern um das Organ. Geschnitten wird, wenn die „Sache“ es unumgänglich macht, d.h., wenn die Illusion der stets bereiten und unerschöpflichen Potenz des Mannes droht, in sich zusammenzusacken. Nicht nur gibt es keinen Schnittrythmus, der Film muß sich geradezu eine Ehre daraus machen, nicht zu schneiden, weil das etwas über die Potenz seines Hauptdarstellers aussagt. Die Kadrierung ist nichts anderem verpflichtet als der möglichst deutlichen Demonstration, wie auch Industriefilme es tun. Es gibt keine Symbole oder Metaphern, das Zeichen wird durch das Ding ersetzt, die Repräsentation durch die Präsentation.
Die Austreibung aller Psychologie, aller „Sentimentalität“, aller Liebe und Leidenschaft, die Reduktion auf die Annahme, daß das Funktionieren allein schon Lust bedeutet und zum Funktionieren nichts als die intakten zwei oder drei Körperteile vonnöten sind, zeigt, daß der Pornofilm ein mechanistisches Weltbild hat. Die schweifende, Identität suchende Wahrnehmung der Frau wird zurückgeworfen auf Distanz, Grenzen, Funktionen. Hier stoßen, im Zusammenstoß zwischen der Inszenierung, die die Frau in Gedanken mit ihrem eigenen Körper getrieben hatte und der konkreten männlichen Inszenierung auf Zelluloid. Unendlichkeit und Materie zusammen und auch zwei Jahrhunderte. Im Pornofilm sieht die Frau den männlichen Blick, der im Kino herrscht, – auch in dem Kino, das sie versteckt und manchmal mit schlechtem ideologischen Gewissen liebt –, aber sie sieht ihn hier seiner kulturellen Verkleidungen beraubt und nicht mit dem Willen gemacht, auch ihr zu gefallen. Keine Kunstfertigkeit wird aufgebracht, das zu verschleiern, weil gerade in der Offenlegung, nicht nur des Geschlechts sondern auch des Blicks die Lust liegt. Frauen als Zielgruppe für Pornofilme wurden sehr spät entdeckt, es war zu Beginn ein rein männliches Unternehmen. Der männliche Blick auf den weiblichen Körper ist das, als was er hier erblickt wird: Bück auf das Geschlecht Und in einem der letzten Filme, die vom Porno gelernt haben, wie das in den letzten Jahre viele Spielfilme getan haben, ist das wörtlich zu nehmen: in Basis Instincts. Der Film zeigt nicht nur Nacktes, sondern sich selbst nackt als Konstrukt des männlichen Blicks.
Damit ist für Frauen etwas gesagt über die schwierige Beziehung zwischen sich, ihrem Abbild und dem Bild ihres Körpers. Der Körper als Ort der Identität, die sich von Frauen nicht als eine Kopfgeburt begreifen läßt, und der Blick auf ihn, wie Frauen ihn auf sich richten könnten jenseits des kulturellen Zwangs, sich dem männlichen symbiotisch anzuschmiegen, ist nach wie vor eine Frage. Es handelt sich um eine Verschiebung: Mysterium ist nicht mehr das Geschlecht, aber die Identität, die sich von ihm herleitet.
So ist die Frage nach dem Blick für Frauen unauflösbar verbunden mit den beiden anderen Fragen nach der Identität und dem Körper, Und als ein Feststellen ( auch das in dem doppeldeutigen Sinn, der dem Wort innewohnt) ist das nicht zu beantworten. Ich denke, es ist gerade Pflicht, die Frage offenzuhalten und die Unruhebewegung, die mit ihr verbunden ist, nicht abzustellen. Das ist sicher eine künstlerische Antwort auf eine philosophische Frage, die von Philosophen wohl anders beantwortet würde. Aber ich glaube, daß in keinem Falle der weibliche Blick und die weibliche Identität etwas sein können, was quasi als lexikalisches Stichwort – und sei es auch nur für eine vorübergehende Zeit – geklärt, d.h. festgeschrieben werden können.
Identität ist deshalb ein so gern in Anspruch genommenes Wort für die Suche von Frauen, weil es die Weite aller Begriffe hat, die ein Lebensgefühl eines Zeitalters ausdrücken und doch nie zu füllen ist. Es meint sehr unscharf, daß irgendwo eine Fülle vorhanden sein muß, die zu ahnen, aber nicht zu erreichen ist. In dieser Fülle ist das Geschlecht ein wichtiger Moment, aber das Ganze geht weit darüber hinaus. Es meint auch die alte Vorstellung vom Glück einer gelungenen Biografie, ein Privileg, das auch nur wenige Männer haben, das aber für Frauen unerreichbar ist, weil alle sozialen Formen, in denen sich biografische Prozesse einnisten können, für männliche Bedürfnisse funktionieren. Insofern ist es eh ein utopischer Begriff. Und es meint auch die Hoffnung, daß die Last verschwinden könnte, die mit dem ständigen Zwiespalt zwischen einem Bild und einem Ich verbunden ist.
Diese Suchbewegung, die mit solchen Wünschen verbunden ist, habe ich in meinem Film inszeniert. In diesem Film spielt Sexualität eine ganz große Rolle, weil sie zwar nicht alles ist, aber ohne sie ist alles nichts. Im romantischen Llebesbegriff suchten Frauen nach der Lust ihrer Körper ebenso vergeblich wie im Pornofilm. Beides waren sehr unterschiedliche männliche Inszenierungen. Der Auflösung des einen entsprach die Überkonkretisierung des anderen. Die Wahrnehmung, die Frauen von sich selbst haben, setzt ein nicht fragmentiertes Geschlecht und eine intakte und narzistisch aufgeladene Körperform voraus. Deshalb kann der Blick der Frauen auf sich selbst kein pornografischer sein, insoweit Pornofilm mit Körperfragmenten arbeitet, denn ihr Geschlecht funktioniert nicht in dem Maße abgetrennt wie beim Mann, der in seiner kulturellen Identität durch die Abtrennung nicht im geringsten gestört wird. Bei Frauen ist diese kulturelle Identität nur durch die Einbeziehung des Geschlechts zu leisten, weil es gerade nicht die unausgesprochene Norm ist, auf der die Kultur aufbaut.
Es ist diese Suche nach einer auf ihrer Sexualität aufbauenden Identität, die in meinem Film die Gruppe der Frauen durch die Räume und Gänge eines imaginären Universums treibt, das nichts anderes ist als das Haus der Liebe, in dem sie sich gern zur Ruhe setzen würden, das aber so verwohnt, zerstört und durchlöchert ist, daß es keine Bleibe abgeben kann. Zur Identität gehört der liebende Blick, der durchaus nicht immer vom heterosexuellen oder homosexuellen Partner geleistet werden muß. Es kann auch der liebende Blick des kulturellen Einverständnisses sein, das damit die Nachfolge des göttlichen Augens angetreten hat. Dieses Einverständnis bestätigt jedem Mann, daß er ein Ebenbild ist, auch noch in seiner unbedeutendsten Form. Keiner Frau, auch nicht der bedeutendsten, wird das von unserer Kultur bestätigt.. Da weder der göttliche Schöpfer noch die Gemeinschaft der irdischen Schöpfer diesen liebenden Blick auf Frauen wirft, hängen sie so krampfhaft am konkreten Liebesbeweis und fordern ihn ein beim jeweiligen Partner. Diese Sehnsucht nach dem liebenden Blick und am besten nach der Liebe auf den ersten Blick soll wie die Erlösung vom Zwiespalt zwischen dem Frau und ihrem Bild sein, das eben kein Ebenbild ist. Aber in der Tiefe dieser weiblichen Sehnsucht lauert die Falle eines kulturellen Mißverständnisses. Denn was sich von selbst versteht, trägt die Züge der Rückbindung ans Bestehende. Liebe auf den ersten Blick ist das stumme Mißverständnis, daß die Entscheidung für den Rest des Lebens in einem Moment zu fällen ist und daß es die Augen sind, die hier die höchste Kompetenz besitzen.
Es gibt in diesen ständigen Such- und Fragebewegungen nach dem weiblichen Blick und der Identität, die den weiblichen Körper und seine Sexualität nicht aus­sondern einschließt nichts als diese Suche und ein paar historische Momente, wo etwas aufzuscheinen schien, sehr unvollkommen, an das angeknüpft werden könnte, denn auch die Geschichte einer Ausschließung verläuft nie gradlinig. Hier ist ein ein sehr wichtiger Moment der Tanz als Brennpunkt einer Körper- und Blickbegegnung. Er ist eine Choreographie der Vorlust und vielleicht vermittelt er sogar die Erkenntnis, daß Liebe und Leidenschaft (bisher?) eine gemeinsame Regel brauchten und nicht die Improvisation. Der Tango ist im abendländischen Verständis zum Inbegriff einer figurativen Ordnung von Lust und Leidenschaft in den ritualisierten Formen des Tanzes geworden. Er ist anders als der Walzer nicht die aufgelöste Sexualisierung, wie die Romantik sie erlebte,wo zwei Menschen entschweben, möglichst geradewegs in den Himmel hinein, sondern die Sexualisierung, in der das Geschlecht als ein konkreter Ort, der mit einem anderen konkrekten Ort stumm kommuniziert, durchaus zu seinem Recht kommt. Die Tanzfiguren, die von den Zeitgenossen als obszön erkannt wurden, sind aufgeladen mit sexuellen Konnotationen und der Blick, der liebende, geht in vielen dieser Tanzmomente am Blick des anderen vorbei. Was hier kommuniziert sind die Körper, weil sie sich entfernen und wieder zueinander kommen, also das tun, was bei jeder Kommunikation unentbehrlich ist: die ständige erneute Herstellung von Nähe und Distanz. Auch das ein Unterschied zum Walzer, bei dem die Körper immer in gleichem Abstand bleiben und gemeinsam sich drehen.
Der Tango ist ein Versprechen an die Frau, daß Lust und Vorlust für sie eine Rolle spielen dürfen und daß in all dem ihre Wahrnehmung von sich selbst einen unfragmentierten Körper sehen darf. Wahrscheinlich beruht auch darauf die immer wieder aufflackernde Liebe zu diesem Tanz und die große Begeisterung, warum Frauen ihn tanzen.
Die Metapher des Tangos verklammert die Suche nach der Sexualität und dem Körper, in dem sie stattfinden kann als Vorlust und Lust. Sie verklammert aber auch die Suche nach der Identität und dem liebenden Blick, in dem sie aufscheinen könnte und dem zuliebe Frauen in ihrer Geschichte und auch heute noch oft erstarren zu Bildsäulen. Es gibt unzähüche Situationen, wo die Männer die Frauen nicht ansehen, die Frauen aber deren Blick suchen. Darüber hinaus gibt es zwei Situationen, wo sie sie sehr genau ansehen und da geht der Blick durch den Körper hindurch aufs Geschlecht. Die Frauen finden keinen auf sie gerichteten Blick, in dem sie lesen könnten. Und auch die Spiegel, die als narzistische und nur selbstreferentielle Möglichkeit konsultiert werden könnten, schaffen nur einen imaginären Raum, den Raum des Begehrens, aber fast nie die Widerspiegelung der Person. Auch und gerade hier wird noch einmal deutlich, wie unterschiedlich der Platz ist, den die Kultur hier für Männer und Frauen bereithält.. Nachdem seine Frau ihn verlassen hat, begibt sich der Mann nach einem kurzen Moment der Trauer zurück zu der anderen Frau seines Lebens, der Mutter, die ihn in seiner Identität wieder aufrichtet, so daß er sich erneut in das Tangogetümmel stürzen kann, dieses Mal mit einem Mann. Das ist eine Referenz an die Anfänge des
Tangos, der nur unter Männern getanzt wurde, aber auch eine Metapher für den Neubeginn.
Wenn die Liebe sich aber dermaßen über den Blick konstitutiert, kommt sie in die Nähe einer anderen Phantasieform: dem Kino. Mein Film ist auch ein Film über das klassische Frauenkino der 30er und 40erer Jahre und über seine Themen und Topoi.
Topoi. Ein klassischer weiblicher Lebenslauf mit seinen schwierigen Stationen wird durchgespielt von einer Gruppe von Frauen, die durchaus austauschbar sind, weil sie diese prototypischen Stationen alle durchlaufen haben, die Hochzeitnacht, den banale Ehealltag, die jüngere Geliebte, die Rivalitäten, das Alleinsein und der unerreichbare Traummann, der schon an eine Andere vergeben ist. Bis hierhin werden die Topoi des „Womens Film“ der 30er und 40er Jahre nachgespielt. Und dann gibt es plötzlich das junge Mädchen, das glaubt, freie Sexualität sei die Einlösung des Identitätsverprechens der Moderne, die Vergewaltigung des Dienstmädchens, die ihren Traummann sieht und an sozialen Aufstieg glaubt, die Abtreibung und das Verlassen des Mannes. Und mit diesen Themen verläßt der Film seinen Bezug auf die ältere Phase der kinematographischen Annäherung an das Problem „Frau“ und landet zum Schluß beim Heute: alle haben das unbewohnbare Haus verlassen und stehen frierend und im Nieselregen auf dem Vordach. Draußen ist es aber ebenso wenig gemütlich wie drinnen. Und da sehen sie, daß weiter Tango getanzt wird, als sei nichts gewesen. Nur: die Schritte harmonisieren nicht mehr mit der Musik, denn die Musik ist ein modernes in sich fragmentiertes Percussionsstück. Auch das Verprechen, das der Tango gegeben hatte, ist nicht eingelöst. Und noch haben wir kein Neues. Die letzte Einstellung zeigt eine ziemlich trostlose Vorortlandschaft mit einem Stück Baugerüst im Vordergrund. Alles bleibt offen, unfertig, im Rohbau und vor allen Dingen halb vollendet. Und das wäre auch das Beste, was man über den Zustand unserer Kultur heute sagen könnte, angesichts der verschiedenen Herausforderungen, von denen aber die wichtigste, die Geschlechtertrage, bei weitem noch nicht gelöst ist.

Vortrag auf dem Tanzfilmfestival in Köln, 1988(?)
Vortrag auf dem Tanzfilmfestival in Köln, 1988(?)

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