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Jutta Brückner

Porno statt Por-NO – und anderes zur narzisstischen Reproduktion

In dieser Debatte ereignet sich viel Verwirrendes. Es sitzen Leute im selben Zug, von denen man nicht angenommen hätte, dass sie in die gleiche Richtung fahren. Verblüffender als die gemeinsame Front zwi­schen „Emma“, einer konservativen Regierung und der katholischen Kirche ist für mich die zwischen „Emma“ und „Konkret“. Hier, wo unter Röhl jahrzehntelang mit unbekleideten Busen und Hintern für die Sache einer Revolution geworben wurde, die auch das, nämlich das Fleisch, meinte und nicht nur Basis und Überbau, wird ‚radikal‘ gewen­det. Die Freiheit des sexuellen Abbilds ist jetzt nur noch die Freiheit des Libertins, das sexuelle Abbild die Ware des männlichen Kapitalisten zum Schaden der weiblichen Ausgebeuteten. Und unter letzter Aufbie­tung an Denkleistung wird Andrea Dworkins These, dass die erotische Abbildung nur eine Unterkategorie der Gewaltpornographie sei, weil in beiden Fällen die männliche Verfügungsgewalt gegenüber der Frau zum Ausdruck komme, für wahr gehalten, weil sie ‚schlüssig‘ sei. Nun kann man das von jeder in sich logischen Argumentation sagen, egal wie dämlich ihre Ausgangsbasis ist. Und eigentlich hätte man erwartet, dass hier, wo man glaubt, die Revolution immer noch denkerisch zu verwal­ten, ein bisschen dialektischer und historischer gedacht würde. Aber vielleicht sollte man jetzt nur noch die fällige Selbstanklage wegen jahrelanger Verherrlichung von Gewalt erwarten. Die ‚linke Freiheit‘ ein ‚linkes Missverständnis‘?
Es geht nicht um die hämische Freude an intellektuellen Ausrutschern dort, wo jeder Ausrutscher immer schneidig kommentiert wird. Es geht darum, dass auch hier, wo ich es am wenigsten erwartet hätte, unter Männern angesichts der Porno-Diskussion eine brisante Mischung aus Schuldbewusstsein und Denkhemmung um sich greift. Nun führt Schuldbewusstsein, wie immer wieder an einem Teil der deutschen Geschichte deutlich wurde, nie zu politischem Bewusstsein, nur zu tauben Stellen, und die Fluten von männlicher ‚Betroffenheit‘ erweisen sich, sieht man näher hin, auch nur als das alte sexistische Missverständnis, dass dort, wo es um die Sache der Frauen geht, nicht mehr richtig nachgedacht werden muss, weil diese Sache ohnehin nichts mit wichti­gen Erkenntnissen zu tun hat, sondern mit unwichtigen Gefühlen; dass man sich deshalb erlauben darf, ‚Betroffenheit‘ zum Denkersatz zu machen und nicht zum Zündfunken eines Prozesses, an dessen Ende Erkenntnis steht. Das alles, weil man es sich erlaubt, nicht hinzusehen. was denn von Frauen vor „Emma“ und außerhalb von „Emma“ so über dieses Thema geschrieben worden ist (und es ist einiges Hochqualifi­zierte). Deshalb ist es möglich, die Pornographie allein als Sache des Mannes anzusehen. Wie kann man glauben, ‚gesellschaftstheoretisch‘ und ‚kapitalismuskritisch‘ zu argumentieren, wenn man es des Nach­denkens nicht für werthält, dass der größte Pornoproduzent der Bundes­republik eine Frau ist. Von ihr wurde eine sehr aufwendige Marktstudie bezahlt, aus der die Empfehlung resultiert, in Zukunft vor allem für Frauen zu produzieren. Und wenn man schon diese ‚Kollaborateurin‘ für einen Einzelfall hält, wie erklärt sich denn, einmal vorausgesetzt, die zunehmende Pornographisierung unseres Alltags sei an dem ständig sich vergrößernden Angebot von Reizwäsche und Schnürbadeanzügen in den Kaufhäusern abzulesen, wie erklärt es sich denn, dass dieses Zeug Kasse macht? Sind Käufer nur die Männer mit dem falschen Bewusstsein, die das ihren standhaften Frauen, die über das richtige Bewusstsein verfügen, unter Drohungen anlegen? Oder sind diese Frauen vielleicht selbst alle Kollaborateurinnen? Der alltägliche Sexismus, der in der Missachtung der Erkenntnisse von Frauen liegt, ist trauriger und schäd­licher als alle Pornographie.
Aber es wird nicht über den alltäglichen Sexismus geschrieben, sondern über Pornographie, weil die Sexualität in unkontrollierbarer Eigenbe­wegung sich nicht mit den humanen Zielen der Revolution liiert hat, aus dem Reservat der Mentalhygiene ausgebrochen ist und das Janusgesicht enthüllt hat, das schon Zeitalter vor uns an ihr gesehen haben. Die Verbindung von Sexualität und Tod, Sexualität und Gewalt waren diesen Zeitaltern vertraute Topoi, die in der Euphorie eines amputierten Begriffs von Fortschritt verdrängt worden sind. Sollte es aber nicht, so wie es kein Dokument der Kultur gibt, das nicht gleichzeitig ein Doku­ment der Barbarei ist, auch keine Sexualität geben, die nicht zumindest eine latente Beziehung zur Gewalt hat? Über solche Fragen muss nach­gedacht werden, auch wenn es erschrecken mag angesichts von zuneh­mender Gewalt und Folter in unserem Jahrhundert.
Die überwiegende Reaktion ist aber eine andere. Die (schreibenden) Männer ziehen angesichts der Scheußlichkeiten Kopf und Schwanz ein, und die Frauen, denen das ganze Tittenzeigen eh nie gepasst hatte, setzen den Hebel an. Dabei verbinden die Initiatorinnen der Gesetzesvorlage zwei verschiedene Ansätze: den behaupteten Kampf gegen die Gewalt und den sehr direkten für die ‚Würde der Frau‘. Diese Verbindung erlaubt taktische Triumphe, hat aber ihre Fallstricke, denn die Säulen, die das Ganze tragen, sind auf so halsbrecherische wie fragile Weise miteinander verbunden und heißen: Die Pornographie ist die erniedri­gende Darstellung von Frauen; auch jedes erotische Abbild ist nur eine Unterkategorie der Gewaltpornographie, denn in beiden herrscht die Verfügungsgewalt des Mannes über die Frau; die Pornographie ist die Theorie, die Vergewaltigung die Praxis; jeder Mann ist ein potentieller Vergewaltiger.
Der Schluss ‚Jeder Mann ist ein potentieller Vergewaltiger‘ ist ebenso wahr wie der ihn ergänzende ‚Jede Frau ist eine potentielle Hure‘. Nun kann auch der Satz ‚Die Pornographie ist die Theorie, die Vergewalti­gung die Praxis‘ nur geglaubt werden, wenn die lesbische S/M-Szene als störende Minderheit aus dem Denkmodell ausgeklammert wird. Auf jeden Fall aber sollte man sich entscheiden, ob man gegen Gewalt gegen Frauen kämpft oder gegen die Verletzung ihrer Würde. Denn dass es Länder gibt, in denen die Würde einer Frau schon verletzt ist, wenn sie einen Haaransatz sehen lässt und wo das zu widerlichen Gewaltakten gegen sie führt als der Urheberin dieser Würdelosigkeit, ist bekannt.
Die Bewegung, die zu den lila Latzhosen und den indischen Hän­gekleidchen geführt hatte, die die Frauen in unschuldige Kinder verwan­delten, die zu ‚penetrieren‘ fast schon Vergewaltigung von Minderjäh­rigen war, ging davon aus, dass das männliche Begehren die Frauen zu Objekten männlicher Lust machte, die nicht die ‚unsere‘ war. Damit war damals ein Nerv getroffen, denn das hieß einmal: Frauen sind für Männer nicht Subjekte mit eigenen Identitäten, sondern nur Objekte für ihr sexuelles Interesse. Und zum anderen hieß es: Männer sind nur an den Techniken ihrer eigenen Lust interessiert und glauben, die Lust der Frauen stelle sich dadurch automatisch ein und wenn nicht, dann schade das auch nichts.
Die kollektive Identität der Opfer schaffte ein starkes Wir-Gefühl als Basis für gesellschaftliche Forderungen. ‚Unsere‘ Emanzipation bedeu­tete aber damals sowohl zu Subjekten im gesellschaftlichen Raum zu werden als auch zu Subjekten der eigenen Lust, das Recht auf Kopf, Bauch und Orgasmus, Denken, Kinder oder keine, und das eigene Begehren. Die Frage, was es heißt, Subjekt der eigenen Lust zu sein, ist nicht dadurch zu lösen, dass man nachsieht, wer oben liegt. Die Verwechslung von Positionen mit Aktivität und Passivität gehört in eine Zeit, in der der Tabubruch des Erörterns von Praktiken überhaupt schon Befreiung von Einschüchterung war und deshalb Freiheit. Zum sexu­ellen Subjekt zu werden heißt: die eigene Sexualität so zu bestimmen, dass die Konstellation von Aktivität, Passivität, Gewaltlust, Katastro­phentrieb, Verschmelzungsphantasien und Angst vor ihnen gelebt wer­den kann, so wie sie lebensgeschichtlich gewachsen ist aus Glücks- und Versagungserlebnissen, Kindheitsängsten und versteinerten Träumen. In jedem Fall aber bedeutet es, die Sexualität als einen ganz wichtigen Teil der eigenen Subjekthaftigkeit zu begreifen, dieses phantastische Szenarium, in dem Seele und Körper gleichberechtigt mitspielen, zu gestalten nach den Bildern der eigenen Lust als Situationsbildern, in denen man die Wunschrolle spielt. Jede Form von Sexualität ist nicht einfach ein physiologischer Akt, an dem die Phantasietätigkeit keinen Anteil hat, sondern eine Inszenierung, die mit dem Partner stumm, heimlich oder in Absprache gespielt wird, bis sich der Anschein sponta­ner Natur einstellt. Und der Satz aus den Anfängen der Frauenbewe­gung, dass Sexualität Penetration sei, war die Beschreibung einer akuten Misere und keine Analyse einer Hoffnung.
Das historische Elend lag nie einfach in den Formen der männlichen Lust, sondern im Fehlen der weiblichen. Männern war ihre Sexualität nicht nur deshalb meist kein größeres Problem, weil sie es anatomisch leichter haben, sondern auch, weil sie Zugang zu Bilderwelten haben, die Frauen verwehrt sind. Frauen durften diese Bilder als erotische imaginieren, sich an den Vorstellungen von Vorspiel und Verführung delektieren, doch nur bis das Eigentliche begann. Heute noch setzen bei vielen Frauen die Tagträume aus in dem Moment, wo die sexuelle Praxis beginnt, und sie fangen lieber wieder von vorn an, beim ersten Blick, der ersten Begegnung. Dies aber für ein Zeichen einer höher entwickelten weiblichen Sittsamkeit oder Würde zu halten, ist zum mindesten unre­flektiert, denn es deutet eine der Geschichte geschuldete Situation als Charakterzug, der, da er nur Frauen eigen ist, auch noch biologisch fundiert ist, eine eindeutig sexistische Argumentation. Und diese spe­ziell den Frauen zugeschriebene Würde konstituiert sich außerdem nur über die Verletzung. Unverletzt ist sie gar nicht auffindbar. Es ist eine Würde, die an den Opferstatus gebunden ist.
Würde ist, wie Gerburg Treusch-Dieter in der Diskussion mit Alice Schwarzer betont hat, nicht in Geld aufzuwiegen. Würde ist, wie Karl Kraus gewusst hat, das Konditional von dem, was einer ist. In der Würde, und vor allen Dingen der der Frau, hob die bürgerliche Gesellschaft ein paar unzeitgemäße Werte auf, die gesellschaftlich nicht zu leben waren und deshalb privatisiert und in die Innerlichkeit verbannt werden mussten. Viel wichtiger aber war, dass damit ein Instrument zur Selektion der Frauen zur Verfügung stand. Die einen waren Ehefrauen oder verdien­ten doch zumindest, es zu werden, die anderen ‚sittenlose Frauen­zimmer‘, ‚leichtfertige Personen‘, denen man, trat man ihnen in unsitt­licher Absicht zu nahe, eben nicht zu nahetrat. Die Scheidelinie war nicht, wer mit wem was trieb, sondern welche Art von Worten, Gesten und Bildern ein Mann einer Frau gegenüber haben konnte, ohne sie in ihrer Würde zu kränken. Der Status von Würde war an den Ausschluss aller Repräsentationen von Lust gebunden, es war die Würde von Ehefrauen, der in die Pflicht der Reproduktion gepressten Sexualität.

Die Frauen, die mit „Emma“ klagen, fühlen sich in ihrer Würde verletzt durch den Anblick von Pornographie, und da Pornographie das Abbild von Sexualität ist, eben auch von Sexualität. Die Frau ist hier wieder das Opfer der schweinischen männlichen Phantasie, wie es die Schmutz­phantasien derer immer befürchtet hatten, die mit ihrem Zeitalter gelernt hatten, dass Sexualität höchste Lust im tiefsten Unrat sei. Frau hat nicht nur selbst keine Bilder ihrer Lust, sie darf sie auch nicht haben, weil sie sich sonst von Bildern der Sexualität in ihrem kostbarsten Be­sitz, ihrer Würde, nicht kränken lassen könnte. Und diese Würde ist offensichtlich der rettende Mantel, der die Blößen bedeckt, die durch die fehlenden Formen und Bilder des eigenen Begehrens entstanden sind.
Der Begriff dieser Würde ist außerdem gebunden an den Feind, der sie verletzt. Mit biologischer Unausweichlichkeit ist es der Mann. ‚Jeder Mann ist ein potentieller Vergewaltiger.‘ Wenn die Pornofront zwi­schen Männern und Frauen verläuft, dann sind Feind-innen (Beate Uhse) als Kollaborateurinnen (oder nicht vielleicht doch Kollaborateu­re?) des Patriarchats gleichfalls Feinde, obwohl Frauen. Hier ist es nicht mehr biologistisch, sondern wird metaphysisch. Nun kann man so willkürlich zwischen Biologie und Metaphysik bei Feindbestimmungen nur hin und her schwenken, wenn der ‚äußere‘ Feind eigentlich der ‘ innere‘ ist, der, wie der Teufel, jede Gestalt annehmen kann.
Der Feind verkörpert die eigene Versuchung. Und so kann er auch in jeder Spitze eines Spitzenhöschens stecken, in jedem Straps eines Korsetts, in jeder Kordel eines Schnürbadeanzugs. Nun behaupten solche Bewegungen ja, es gehe ihnen um die Abwesenheit des Feindes. Das ist aber Augenwischerei, es geht ihnen um den Kampf gegen ihn und deshalb muss er notfalls auch erfunden werden oder geortet da, wo er nicht ist. Gegen den Mann lebt es sich besser, denn die Unsicherheit der eigenen Existenz hat plötzlich das feste Fundament des Wider­stands, der Kampf gegen den Feind verschafft ein starkes Wir-Gefühl‘ und eine intensive Hochspannung der eigenen Wichtigkeit. Die Frauen­bewegung hat da durchaus ihre Erfahrungen und muss nicht auf andere Modelle zurückgreifen. Aber: diese Erfahrungen wurden gemacht für ein Mehr an Freiheit, Möglichkeiten, Lebensformen. In enger An­lehnung an den Utopieentwurf sozialistischer Bewegungen ging es um die kollektive Hoffnung, Bedingungen für mehr Individualität zu schaf­fen. In der Kampagne von „Emma“ aber wird das Wir-Gefühl um den Preis eines Denk- und Entwicklungsverbots geschaffen, denn der versagte Blick auf die Sperrbezirke der Realität war die Voraussetzung aller bürgerlichen Unterdrückung der Frau. Da Subjekte unberechenbar sind und für ein Wir-Gefühl nicht so leicht verfügbar, muss die Subjekt­werdung, zu der auch die Neugier auf Fremdes, Ungewohntes, vielleicht Erschreckendes gehört, verhindert werden. Aber die masochistische Fixierung auf den Mann als Feind und auf sein Frauenbild besteht weiter, und deshalb soll als Verwalter des Blicks, der nicht mehr gelebt werden darf, die Wissenschaft auftreten. Die Frauen in einer Kultur, in der sich auch die Selbstverständigung der Individuen und gerade die der Frauen durch und über Bilder ihrer selbst herstellt, werden um ein Stück ärmer. Der Mann und seine Sexualität werden zum Gegenstand eines allenfalls ethnologischen Interesses.

Dieser Rückgriff auf weibliche Identitätsmodelle des 19. Jahrhunderts wird nun verbunden mit einem Polit-Aktivismus des 20., der terroristi­sche Züge hat. Frauentrupps, die Sticker auf Fenster und Autos kleben, die nachschnüffeln, welcher Freund, welche Freundin Pornos liest, laufen mit ihrer geborgten Identität als Widerständlerinnen herum, die aggressiv einen Opferstatus verteidigen. Das hat Züge einer ‚konserva­tiven Revolution‘ in der bekannten Mischung aus traditionellen Inhal­ten, die gegen als gefährlich eingestufte Auflösungstendenzen der Neuzeit formuliert werden, und modernen Techniken der öffentlichen Stigmatisierung anders Denkender und Handelnder. Das muss sich an der deutschen Geschichte messen lassen. Und selbst, wenn man Alice Schwarzer unterstellt, dass sie nicht will, was sie propagiert, und nicht weiß, in welche Zusammenhänge sie sich begibt (was für eine bewusste Journalistin schon schlimm genug wäre), müsste sie sehen, wo sie ihre Bundesgenossinnen findet. Denn zwar stimmt es, dass keine Kampagne dagegen gefeit ist, missbraucht zu werden, diese Kampagne muss man aber erst gar nicht missbrauchen, sie ist so.

Schwankend zwischen Biologismus, Metaphysik und politischem Akti­vismus, ist sie geschichtsblind gegenüber der Geschichte der Sexualität, der Geschichte des Blicks, der Geschichte der Emanzipationsbewegun­gen. Sonst wäre ihr vielleicht aufgefallen, dass sie an dergleichen histo­rischen Stelle ist, an der die revolutionären Anfänge der sozialistischen Bewegungen abgetötet und in den zementierten realen Sozialismus überführt worden sind. Sexualität und auch Pornographie spielten dabei immer eine ganz wichtige Rolle. Aber hier, wie auch in dem anderen wichtigen Bereich, in dem es um den Blick geht, dem Kino und dem Film, scheint das einzige geduldete Empfindungsmodell das der authen­tischen Betroffenheit zu sein. Authentische Betroffenheit ist die Nabel­schnur, die Frau und Wahrheit miteinander verbindet. Dem biologi­schen Modell einer kollektiven Identität, festgeschraubt am Modell einer ‚Frauenwürde‘, entspricht das Modell einer Identifikation von je­der mit jeder. Aber nur Leerstellen können sich derart umfassend identifizieren. Es sind dieselben Leerstellen, die auch die Pornographie braucht, um männliche Projektionen auf weiblichen Körpern abzula­gern. Nur in dieser Stellvertreter-Empfindung kann eine Frau sich bedroht oder entwürdigt fühlen, wenn sie ein Bild sieht, auf dem eine andere Frau Praktiken unterworfen wird, die sie an sich selbst nicht zulassen würde. Was hier bedroht ist, ist der Schutz des imaginären kollektiven Status. Nur dann wird das Bild von Gewalt zur phantasiert – ­realen Bedrohung des eigenen Körpers durch Gewalt.

In dieser Art der Identifikation verliert das Bild den Objekt-Status, wird der Code, in den es eingebunden ist, missachtet. Narzisstisch identifika­tionswütig wird alles außerhalb der eigenen Erfahrung daran gemessen, wie weit es die eigene Erfahrung bestätigt. Nun verführt auch der krude Naturalismus der Porno-Bilder dazu, sie für blanke Realität zu halten. Aber es sollte angesichts des Arrangements von Körperteilen für die Zentralperspektive der Kamera möglich sein zu erkennen, dass hier eine andere Art von Metaphorisierung am Werk ist. Wenn früher, besonders in den viel länger tabuisierten visuellen Bereichen, die Rose oder der Schwenk ins Kaminfeuer etwas darstellen mussten, was selbst nicht darstellbar war, dann stellt heute auch die Zerstückelung einer Frau, ein grausam-naturalistisches Schauspiel, etwas dar: die Wut und Enttäuschung der Männer darüber, dass das kulturelle Versprechen auf die Siebenten Himmel der Sexualität, die freie Verfügbarkeit über alle Frauen und das Ausbrechen authentischer weiblicher Leidenschaft, nachdem die kulturellen Fesseln erst einmal gefallen sind, sich nicht eingelöst hat. Die Enttäuschung auf Seiten der Männer ist genauso groß wie die auf Seiten der Frauen. In den Gewalt-Pornos äußert sie sich auf kulturell klassisch-männliche Weise: aggressiv-destruktiv. Auch die Reaktion der Frauen dieser Kampagne ist kulturell klassisch-weiblich: Es wird das kollektive Wegsehen gefordert, denn im Verhüllen des Blicks waren die Frauen schon immer gut.
Nun bewahrt uns niemand davor, die Momente unserer Kultur, aus denen sich unsere Empfindungen herleiten, auch in ihren Nachtseiten zu leben. Und angesichts von Gewalt-Pornos ist die ‚richtige‘ Reaktion sicher nicht die der moralischen Betroffenheit, sondern der Ekel. Hier rettet sich ein Stück Skandalon, das die Sexualität über lange Zeit gewesen ist. Es sind gerade Gewalt und Ekel, die an die Stelle des moralischen Tabubruchs getreten sind, der die Bilder der Sexualität einmal waren. Hier wird naturalistisch inszeniert, was als Sprachform allen ohne Anstoß glaubhaft ist: Sexualität ist nicht nur der reine Genuss, sondern auch eine latente Bedrohung für Leib und Leben. Und so kann man jetzt die Gewalt-Pornos auch lesen: Als Darstellung einer Phase, in der auch die Identitäten ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ als historisch ge­wachsene Ordnungssysteme auf dem Prüfstand stehen und zerstört werden. Denn auch in dem Punkt sind die Pornos fortschrittlicher als die Kampagne gegen sie: Sie bestehen darauf, dass Identitäten körperliche sind und nicht einfach um die körperliche Ausübung der Liebe, die Sexualität amputiert werden können, ohne den Boden unter den Füßen oder anderen Körperteilen, und seis der Kopf, zu verlieren und ideali­stische Konstruktionen zu werden. Bilder sind nicht unabhängig von der Realität, aber sie sind auch nicht einfach nur Klone, auch nicht in einem Zeitalter, das auf die vertrauten Formen der Metaphorisierung verzich­tet und hyperrealistisch arbeitet. Auch die Gewaltbilder sagen nichts über reale Gewalt aus, da muss man sich schon die Mühe machen und die Realität selbst aufsuchen.
Wenn der Mensch nach dem Überwältigt-Werden durch die Lust ein Teil der Sexualität ist, dann gehören dazu die Wonnen der zeitweisen Ich-Enteignung. Das lustvolle Spiel mit dem Gedanken, für etwas, das man tut und zulässt, nicht verantwortlich zu sein. Hier formuliert sich ein alter Kindertraum, der auch in der Lust an den Verkleidungen steckt (auch denen mit Reizwäsche), in denen das Subjekt Identitätsbrüche und -sprünge imaginiert und verarbeitet. Nur wer Kinder nach wie vor für etwas biedermeierhaft Harmloses hält, kann an dem Wort Kindertraum hier Anstoß nehmen. Die Inszenierungen der Sexualität, ob gelebt oder im Bild festgehalten, bieten dieses lustvolle Aufweichen der Ich-Gren­zen. Und nur ein sehr schmales Ich, das zäh seine Grenzen verteidigen muss, wird von den Bildern, die das zeigen, so verstört, weil die Gefahr des Überfalls von innen so groß ist, weil das Unbewusste als Feind und das Gewissen als Polizei funktionieren. Ein solch stabiles Ich steht als geheimer Wunsch hinter der Verbotskampagne, es wird reklamiert als Ort von Lebensentwürfen, die auf ihre Weise die Tatsache verarbeiten, dass die Emanzipation von Frauen in dem Teil, der nicht öffentlich, sondern nur privat gelebt werden kann, eine sehr einsame Sache ist. Und hier muss an einem zweiten feministischen Glaubenssatz eine Korrektur angebracht werden. Zwar ist ‚das Private öffentlich‘, aber die kollektiv erarbeiteten Erkenntnisse über die Strukturen des Patriarchats müssen auf komplizierte Weise mit der Lebenswirklichkeit des Menschen, um den es geht, und, was noch schwieriger ist, mit den eigenen bewussten und unbewussten Wünschen zusammengebracht werden. Die notwendi­ge Differenzierung beginnt, kaum dass die Tür geschlossen ist. Und diese Einsamkeit und diese Schwierigkeiten sind wesensgemäß, solange das Verhältnis von Frauen zu Männern noch verbunden ist mit den drama­tischen Hoffnungen auf Liebe und Lust. Die Versuchung ist groß, den ganzen Krempel hinzuschmeißen und zumindest die Liebe nur noch zu erhoffen von denen, denen eh nichts anderes übrigbleibt, den Kindern. Aber daran wird auch deutlich, um welche Form der Liebe es hier geht: die der narzisstischen Reproduktion.

Keine Emanzipationsbewegung von Frauen kommt aus ohne die Er­kenntnis von Ambivalenz, nicht nur der unserer Situation gegenüber Männern und anderen Frauen, sondern auch der uns selbst gegenüber. Die Erkenntnis und das Zulassen dieser Ambivalenz sind heute Prüf­stein für Radikalität. Eine der größten, ständig wiederholten Dummhei­ten ist es, Frauen zu den ‚Minderheiten‘ zu zählen. Nicht nur strategisch unsinnig, sondern auch ein politischer Irrtum, geht er doch davon aus, ihre Emanzipation laufe ab wie die der anderen Minderheiten durch Nicht-Diskriminierung. Keine Angehörigen von Minderheiten aber sind so sehr das Ziel von Hass und von Sehnsucht gleichzeitig, wie Frauen es sind. Die extremen Situationen, die Frauen in der Geschichte durchlaufen haben, legen davon Zeugnis ab. Sollte den Pornos tatsäch­lich der leibhaftige Schrecken immanent sein, dann ist es Pflicht des radikalen Feminismus, die Augen davor offen zu halten, nicht ‚stellver­tretend‘ mit dem Zweck, sie der ganzen Menschheit gleich wieder zu verschließen. Nur auf diese Weise können die Frauen – und um die soll’s ja angeblich in der Kampagne immer noch gehen – entscheiden, ob es wirklich ‚unsere‘ Emanzipation ist, pornofrei in die Bundeswehr zu marschieren.

In: Debatte, 3/88
In: Debatte, 3/88

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