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Texte zum „Begehren“
 

Jutta Brückner

Der Blutfleck im Auge der Kamera

Ein Berliner Porno-Kino hat einen Zeitungsausschnitt an der Glastür befestigt, auf dem zu lesen ist, dass immer mehr Frauen in Pornofilme gehen, aber dass sie sich die Filme ro­mantischer wünschen. Zum Glück für uns ist das Wort „ro­mantisch“ Träger so vieler Bedeutungen, dass es uns eine Menge Spielraum lässt für mögliche Erkenntnisse über das Verhalten von Frauen zu Sinnlichkeit, Körper, Sehen, Sexua­lität, Phantasie und anderem. Unsere Kenntnis der Ge­schichte der Sinne ist so absolut ungenau, dass wir bei jeder generalisierenden Aussage über die Männer und die Frauen ebenso gut riskieren, ins Schwarze zu treffen wie in die Irre zu laufen. Vielleicht liegt aber auch das, was wir erkennen wol­len, weder da noch dort, sondern irgendwo dazwischen.

I.

Frauen sind von Männern seit dem Beginn des industriellen Zeitalters und der Romantik als „das andere“ begriffen wor­den, als Hüterinnen eines utopischen Ortes, der sich als Ge­gensatz zur männlich durchrationalisierten und dabei immer mehr verformten Welt der Arbeit verstand und natürlich von dieser Welt der Arbeit völlig abhing. Der Gang der Ge­schichte drängte ins Reservat des Hauses ab, was als veredelte Natur und „Sitte“ des Menschengeschlechtes im ohne Ban­dagen geführten Konkurrenzkampf der Männer keinen Platz mehr hatte. In dieser Utopie hatte dagegen alles Platz (und das sagt auch etwas über diesen Begriff von „Utopie“ aus): die Vorstellung einer unerschöpflichen, ewig gebenden Na­tur, auf der das Zeitalter seine Ausbeutung als einen progres­siven und nicht etwa zerstörerischen Akt begründen konnte; der Wunsch nach einem Ort, wo die Gesetze des Machtkamp­fes außer Kraft gesetzt waren und der Mann seine „Mensch­lichkeit“ leben konnte; und vor allen Dingen die Verwand­lung des immer schon als fordernd und unermüdlich fordernd gefürchteten Geschlechts der Frau in die schenkende, ge­bende, vom Mann aber erst zu erschließende Kraft der Liebe. Das eigene Begehren wurde Frauen abgesprochen, sie waren nur noch Auslöser und Empfänger des männlichen Begeh­rens.

Nun haben die Frauen ja nie die Möglichkeit gehabt, sich an­ders zu begreifen als der männliche Blick ihnen vorbuchsta­bierte. Doch ist die Sexualität eine Kraft, die nicht einfach verschwindet, wenn sie geleugnet wird. Aber sie wurde ent­materialisiert, sie verlor ihren konkreten Ort, der an die konkrete, den Mann vielleicht ängstigende Befriedigung ge­knüpft war, sie breitete sich in diffuser Form über den gesam­ten Körper aus, ein Stückchen Bein, ein Händedruck, ein Au­genaufschlag sogar waren Tor zur höchsten Seligkeit, kurz: Sexualität transformierte sich in Vor-Lust, die im Prinzip un­endlich gedacht wurde. Sie wurde zum Mysterium, das sein Geheimnis aus der Distanz empfing. Und mächtigster Motor dabei war die Phantasie.

Dabei war die Phantasie aber nicht einfach ein Ersatz für eine versagte Realität, sondern ein neben ihr stehender, unabhän­giger Modus. In ihr werden Erfahrungen gemacht, die nicht real werden wollen oder können, weil sie in die Grenzberei­che führen, die das Ende jeder Erfahrung bedeuten. Die Phantasie befriedigt phantastische Wünsche, keine realen. Wenn Frauen von Überwältigung träumten (und träumen), dann war das nicht der Wunsch nach Vergewaltigung in ei­nem dreckigen Hausflur, sondern der Wunsch nach Überwäl­tigt-Werden durch die eigenen Sinne. – Diese Verschiebung der Sexualität auf Liebe und Erotik entsprach männlichen Bedürfnissen, das muss man ganz klar sehen. Nur hatten die Frauen in diesem Spiel einen ganz wichtigen Part. Sie waren nicht nur Stichwortgeberinnen (und dadurch natürlich dem Risiko ausgesetzt, das falsche Stichwort im falschen Moment zu geben, denn wann wurde eine Verweigerung zu lange durchgehalten und das männliche Interesse sank in sich zu­sammen und wann wurde zu schnell nachgegeben und das Geheimnis verlor an Wert? Ein ganzer Kanon von Regeln, weitergegeben von Mutter an Tochter, überdauerte die Jahr­zehnte). Die Körper der Frauen waren auch Hort des Myste­riums, das umso wunderbarer wurde, je weniger es erreicht wurde. Es ist schon öfter davon gesprochen worden, wie stark hier eine Art von Unterdrückung, die durch Heiligsprechung, ans Werk ging. Ohne das im Geringsten zu bezweifeln, halte ich es doch für wichtig zu sehen, dass die Frauen in dieser Art von Inszenierung einen gewissen Spielraum hatten, in dem sie aktiv an ihrer eigenen Legende wirken konnten. Der Mann schuf den Rahmen, in dem sie die Hauptrolle spielten. Er durfte die Begierde seines Geschlechts ausdrücken und es war ihre Aufgabe, ihn abzuweisen, sich zu entziehen, um da­durch seine und ihre Lust der Sehnsucht zu steigern. Sie war der gesellschaftlichen Macht des Mannes ausgeliefert, aber sie war Prinzipalin der erotischen Inszenierungen und es war ihr eigenes Interesse, dieses Spiel auszudehnen, so lange es ging, denn war das Mysterium erst einmal entschleiert, dann begann entweder die Banalität des Ehealltags oder die nicht nur entsexualisierte, sondern auch enterotisierte mütterlich ­gebende Liebe. Und da die Inszenierung unter Einsatz des gesamten Körpers geschah, konnte die Frau sich immerhin einbilden, dass es eine Individualität des Geschlechtes gäbe, denn jeder Blick des Mannes, der auf der Art ruhte, wie sie es verhüllte, schien ihr genau das zu bestätigen. – Die Rolle der Frau war so angelegt, dass sie auch die Möglichkeit hatte, selbst eine Verletzung der Spielregeln durch den Mann ohne Verlust ihrer Identität zu überstehen. Das Strandgut dieser Vorstellungen in den populären Romanen um die Jahrhun­dertwende zeigt die wertvolle, unverstandene, vielleicht so­gar misshandelte, aber sittlich so viel höher als der Mann ste­hende Frau, die sich vielleicht dem rohen, männlichen Trieb beugen muss, aber ihm durch die Unbeschädigtheit ihres We­ges unendlich überlegen ist und ihn manchmal sogar zu Reue und Buße führt. Hier hat die Entstofflichung nicht nur des Geschlechts, sondern der ganzen Frau ihren Höhepunkt er­reicht. Ihren Triumph feiert sie in einer Art Märtyrertod.

Die romantische Inszenierung der Sexualität unterdrückte das Geschlecht, nicht den Körper. Es ist anzunehmen, dass das bis zu einem gewissen Grad am Anfang auch für Männer galt. Die Situation änderte sich erst, als die Körper außerhalb des Hauses immer stärker einem Rhythmus und Zwang un­terworfen waren, durch die die industrielle Arbeitswelt zu­nehmend zu einem Universum von Maschinen und Maschi­nenmenschen wurde: durch verformende Kleidung, den stampfenden Takt der Arbeit, den Verlust an Zeit und Raum, den die Körper zu ihrer Entfaltung brauchten. Das traf Män­ner heftiger als Frauen. Ihre Körper wurden schneller in die­sem Rhythmus deformiert, versteinert, abgenutzt. Frauen be­wahrten sich in ihren Körpern länger die Erinnerung an eine Zeit, in der die Sinnlichkeit aufs höchste gesteigert wurde, weil die Sexualität von ihrem Platz verdrängt worden war. Und mit dieser entsexualisierten Utopie einer verschmelzen­den Lust als Liebe, in der das Geschlecht keinen realen, son­dern einen mythischen Platz hatte, wandten sie sich zuneh­mend gegen die Männer und beklagten deren Mangel an Sinnlichkeit und Gefühl. Die Frauen hatten sich die von den Männern ihnen aufgezwungene Haltung so zu eigen gemacht, sie so sehr in ihre Körper überführt, empfanden sie so heftig als einen Teil ihrer selbst, dass sie nun annehmen mussten, es handele sich bei diesen Wünschen und Sehnsüchten und Ver­weigerungen um einen Schrei ihrer ureigensten Natur, die fei­ner, sanfter, „entstofflichter“ sei als die männliche.

II.

Der Pornofilm zeigt uns im Gegensatz zur weiblichen die männliche Inszenierung von Sexualität. Und Frauen, die von Müttern und Tanten, aus Literatur und Geschichte noch et­was wissen von der Form, die die Sexualität im vorigen Jahr­hundert für sie angenommen hatte, sind sehr oft erst einmal entsetzt. Das umso mehr, als auch ihre Organisation von Se­xualität und Erotik viele Spuren des vorigen Jahrhunderts trägt. Der Pornofilm ist hier grobe Kost für feine Mägen. Ihm zerfällt der Körper in wichtige und unwichtige Partien. Die wichtigen Einzelteile sind Penis, Scheide, Mund, After, Brust. Lust ist, wenn zwei davon zusammenkommen. Sie drückt sich aus, wenn der Penis in der Scheide sehr heftig hin ­und herfährt und Frauen deshalb keuchen und die Augen ver­drehen. Die Vorstellung einer Lust als unendlich (unendlich weit, unendlich „anders“, unendlich tief: „Denn alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit … “) trifft hier auf ein hell ausgeleuchtetes Bild, in dem unter Einsatz von Energie und Arbeit etwas verrichtet wird. Sexualität wurde aus einem My­sterium zu einem Fakt und trat damit notwendigerweise in den Rahmen ein, in dem die Fakten existieren: dem der Ar­beit. Die Arbeit des Mannes am Fleisch der Frau. Lohn dieser Arbeit ist das Ejakulat, das der Mann meistens auf der Frau verspritzt, „öffentlich“ vor ihrer beider Blick. In diesem Blick wird sie zur Beschenkten. Nicht mehr länger gibt sie ihm et­was, er „ernährt“ sie. Die Sexualität im Pornofilm ist auf komplizierte Weise Spiegelbild realer Verhältnisse als das die Metapher von der Frau als Ware wahrhaben will. Indem der Mann ihr etwas zuführt (sein Sperma), sie damit „ernährt“ (hierin gehört auch die halb zynische, wobei tröstliche Versi­cherung, es sei ja sehr vitaminreich), wird er zum Versorger und sie gibt ihm durch ihr Lustgestöhn die Versicherung, dass er ein guter Versorger ist, dass sie keinen Mangel leidet, eine Bestätigung seiner Identität, auf die er wohl angewiesen ist. Sie leistet auch hier seine emotionale Reproduktion und dies maßlos und ohne Unterlass, denn was er ihr geben kann, ist konkret, nachprüfbar und begrenzt für jeden einzelnen Akt. Dem hat sie nichts entgegenzusetzen, denn ihre Lust ist nicht nachprüfbar, sie überschreitet nicht die Grenze von innen nach außen. Daher die Stöhnorgicn, die vor allem eines ver­raten: die Angst, dass ihre „Gabe“ als zu klein empfunden wird. Denn da ihre Lust nicht materialisierbar ist, erblickt der Mann auf ihrem Gesicht und Körper nur Zeichen für etwas, das unsichtbar bleibt.

Die emotionale Reproduktion als Stütze, ohne die seine Identität in Scherben fallen würde, wird aber nicht als Arbeit anerkannt. Arbeit und Leistung ist scheinbar nur seine. Sein Penis bearbeitet nicht nur ihre Scheide, sondern ihren ganzen Körper, der sich in Zuckungen windet vor dem Blick des Mannes, der die Resultate seiner Arbeit überwacht, während ihre Augen oft geschlossen, ihr Kopf nach hinten geworfen ist: Zeichen für grenzenlose Lust. Das Verhältnis ist das von einem Arbeiter zu seinem Werkstück. Dabei nimmt die Ka­mera seinen Blick auf, sie verweilt meist auf dem Penis, der die Frau bearbeitet, auf dem Körper der Frau, auch auf ihrem Gesicht, um die Spuren der Lust abzutasten, selten auf Kör­per und Gesicht des Mannes, denn da gibt es schließlich auch nichts zu sehen.

Der Pornofilm zeigt auf komplizierte Weise das gewandelte Verhältnis des Mannes zur Natur. Nicht mehr ist die uner­schöpfliche Natur Quell seiner Lust, sondern Lust ist das Re­sultat seiner Arbeit, mit der er sie unterwirft. So hat sich die geheime Lust, die eine Alternative zur öffentlichen Arbeit war, in öffentliche Arbeit gewandelt und der Verlust an Ver­sprechen, der damit verbunden ist, wird wettgemacht durch Menge. Der Mann im Pornofilm liefert ein außergewöhnli­ches Pensum an Arbeit ab. Damit schlägt er gleich zwei Flie­gen mit einer Klappe: einmal zeigt er, dass seine Kraft, Ener­gie und Unermüdlichkeit, die Basis jeder Arbeit sind, ihn für jede Art von Dienst tauglich machen, in der heftigen Arbeit am weiblichen Fleisch beweist er seine Funktionsfähigkeit, seine Sexualität sprengt keine Macht in die Luft, sondern empfiehlt sich ihr. Zum anderen versucht er, Lust zu horten: je öfter, desto lustvoller, je mehr Orgasmen, desto größer die Lust. Er behandelt die Lust wie Geld, man kann sie zählen. Darin erweist er sich nicht nur wieder einmal als guter Ver­sorger, sondern gerade umgekehrt, gibt er hiermit seiner Gier Ausdruck, einer Gier, die immer der Frau unterschoben wird, weil sie ja will, dass er ihr’s ständig macht (auch hier der Un­terton von Arbeit). In Wirklichkeit versucht er durch all die Anhäufung von Lust hindurch an die Grenze zu kommen, die auch die völlig andere, entstofflichte, weibliche Inszenierung der Sexualität ins Unendliche verlegt hatte.

Die gesamte Porno-Inszenierung, die die Handschrift des Mannes trägt und um seine Rolle zentriert ist, lässt der Frau nur einen kleinen Rest an Eigeninszenierung. Denn was an ihrem Gestöhn und Geschrei unmittelbar Äußerung von Lust ist oder deren gewollte Inszenierung, ob die Lust da ist und wenn: wo und wie stark, das alles ist für den Mann, die Ka­mera als männlicher Blick und den von der Kamera gelenkten Blick der Zuschauer nicht nachzuprüfen. Hier scheitert der Porno mit seinem Realitätsversprechen. Hier kommt durch die Hintertür ein kleines Stückchen weiblicher Eigeninsze­nierung wieder herein als trauriger Rest: nicht mehr als lust­steigender Aufschub durch Versagung, sondern als Behaup­tung einer Fülle, die (vielleicht) gar nicht vorhanden war. Die Spielregeln gleiten an dieser Stelle auf Sand: Der Mann denkt, der Anblick seines erigierten Penis erregt die Frau. Die Frau denkt, wenn sie dieser Anblick seines erigierten Pe­nis nicht erregt, ist sie keine, deretwegen der Penis erigieren wird. Der Mann sieht: sein erigierter Penis erregt die Frau und deshalb erigiert sein Penis. Der Pornofilm ist die beharr­liche Inszenierung dieser stummen Kommunikation, in der die Frau desto lauter wird, je stärker der Mann den Verdacht haben muss, dass sie schweigt. Sein Blick auf die Frau ist (nicht nur hier) gefangen in seinen eigenen Voraussetzungen.

Für die Frau bedeutet das nun, dass ihre Inszenierung nun wirklich auf Kosten ihrer Lust geht. Für den Mann bedeutet es, dass das scheinbar entschleierte Mysterium sich von neuem verschleiert. Denn in dem Moment, wo der Pornofilm trium­phierend feststellt: dies ist das Geheimnis und seht: es ist nichts – zieht es sich auch schon wieder zurück. Das Ge­schlecht ist taub, die Lust sitzt woanders, der Mann blickt auf ein Zeichen, das die Frau kontrolliert, er kann in keiner Weise sicher sein, ob sie ihm nicht etwas Entscheidendes vor­enthält.

Das Unauffindbare ist nicht nur der „Ort“, sondern sein Funktionieren. Die Inszenierung der Verzückung, die der Pornofilm treibt, zeigt deutlich, wie sehr es ihn beunruhigt, dass das Innere des Körpers in keiner Weise zugänglich ist und damit weiterhin das Geschlecht bewahrt, das er doch gerade freilegen wollte. Das weibliche Fleisch bleibt im Zustand des Schweigens. Und da der Blick sich schon so stark auf die Wahrheit des Fleisches richtet, muss dieses Schweigen beun­ruhigen, misstrauisch machen. Der Blick will diesen Körper zwingen, sein Geheimnis, seine Stille, seine Arbeit preiszuge­ben. Zwangsläufig muss der Mann wünschen, immer stärker ins Innere dieses Körpers vordringen zu können, die Kamera als Penis zu benutzen, diesen Körper umzustülpen, das Innere nach Außen zu kehren. – Im Pornofilm wird deutlich, wo das rastlos forschende Sehen des Mannes sein Ende hat. Selbst in der Scham in Großaufnahme, selbst in den gespreizten Schamlippen ist das beunruhigende Unsichtbare für ihn nicht zu finden. In psychoanalytischer Betrachtungsweise ist dieser Zwang Teil der männlichen Kastrationsangst, die selbst in Soft-Pornos ein Element des Tödlichen, des Zerstörerischen, die Frau Zerreißenden hereinbringt, weil anders an das In­nere ihres Körpers, sprich: ihres Geheimnisses, nicht heran­zukommen ist. Manoel de Oliveira hat in seinem Film „Fran­cesca“ die Geschichte eines Mannes erzählt, der mit der Frau, die er liebt, nicht schlafen kann, weil er nicht weiß, ob sie nicht schon andere Liebhaber vor ihm hatte. Am Elend dieser Be­ziehung stirbt die Frau. Und jetzt ist der Weg frei, denn der Mann kann den Körper der Frau aufschneiden lassen (die wissenschaftliche Legitimation dafür heißt Autopsie), um herauszufinden, ob sie unberührt ist. Sein Verhalten gehorcht damit der Doktrin des naturwissenschaftlichen Zeitalters: nur durch den Forscherblick können die Mysterien entschlüs­selt werden. Arbeitswillig übernimmt das die dafür ange­stellte Kaste der Mediziner. Und nur weil der Blick mit dem Seziermesser als Autorität nicht mehr zu überbieten ist, zwei­felsfrei feststeht, dass sie Jungfrau ist, kann er sich die komple­mentäre Haltung gestatten, sich in die tiefe romantische Trauer fallen lassen, in er sie jetzt besitzen kann: als Abwe­sende, die vor ihm kein Geheimnis mehr hat. Die beiden Schlagseiten eines Zeitalters stoßen hier zusammen. Aber von hier aus könnte man auch den Satz Brechts neu lesen, dass die Unterdrückung der Frau sich vervielfältigt habe, indem sie unsichtbar geworden sei.

III.

Die Schamteile liegen offen vor der Kamera, trotzdem muss der Forscherblick des Mannes kapitulieren. Das wirklich tief­ste Geheimnis ist mit seinem Kamerablick nicht auszuma­chen. Sein identifizierendes, registrierendes Auge kommt hier an eine Grenze, die er meistens nicht seiner Art zu sehen, sondern der „Sache“ zuschreibt, die sich entzogen hat. Da die Sexualität mit der Suche nach Wissen verbunden ist, wird der Blick des Mannes zum Forscherblick, der den unbekannten Kontinent erschließen will. Da er hartnäckig seine kulturelle Art der optischen Wahrnehmung mit der biologischen Funk­tion des Auges verwechselt, muss er sich natürlich auch im Recht wähnen und die andere Wahrnehmungsweise der Frau für ein Zeichen von unterentwickeltem Bewusstsein oder Zer­streutheit halten. Er besteht darauf: nur das Sichtbare exi­stiert. Die Frau ist sich sicher, dass das Bild, das er ihr vorsetzt, zu wenig zeigt, nur weiß sie auch nicht genau, was fehlt und wie man es zeigen könnte. Sie hat das Gefühl, je genauer sie hinsieht, desto weniger sieht sie, sie ahnt, dass dieser Blick, den sie sich vielleicht zwingt wahrzunehmen, blind ist für das, was es zu entdecken gäbe.

Und ihr eigener Blick?

Viele weibliche Selbstzeugnisse zeigen, dass der Gesichtssinn für Frauen selten die Bedeutung hat wie für Männer. Sie ha­ben ihre Lust nicht ans Sichtbare geheftet, was ihnen um so leichter fällt, als ihr Geschlecht ja auch nicht sichtbar ist und, ihre Lust darin besteht, gesehen zu werden. Ihr eigener Blick, ist durch die kulturelle Skotomisierung nicht auf der Höhe der Standards vom exakten Abmessen, genauen Beobachten, präzisen Registrieren, wie der männliche Blick, wovon Män­ner im übrigen profitieren, denn nicht umsonst waren Frauen für die unsichtbare Erotik der Macht genau zu stark oder stär­ker empfänglich wie für die sichtbare Wohlgeformtheit der Züge. Der Blick der Frauen war schweifend, glitt oft über die Oberfläche der Dinge hinweg, machte sich nicht wirklich an ihnen fest und die Bilder der Imagination und der Phantasie mit ihren fließenden Grenzen, ihrer Ortlosigkeit und ihrem Schwebezustand zwischen Nähe und Distanz nahmen einen großen Raum in dieser Organisation von Wahrnehmung ein. Dieser Blick war zerstreut, weil er sowohl nach innen wie nach außen sah und innere und äußere Realität ständig zur Deckung bringen musste, er war ein ständiger Grenzgänger zwischen dem Inneren des Körpers und der Weit. Vorstel­lungsbild und Realitätseindruck werden diesem Blick glei­chermaßen materialisiert wie entstofflicht, was für die Reali­tät vor allen Dingen bedeutet, dass sie transparent wird. Die Vorliebe der Frauen für das Fließende hat wohl hier eine ih­rer Wurzeln. Die Indifferenz der Wahrnehmungen, das „Verschmolzensein“ der Bilder, die Eisenstein am Beispiel des Kabuki-Theaters als Erbe feudalistischer Traditionen in Ja­pan erklärte, finden wir auf anderer Ebene auch bei Frauen. Auch dieses „Sehen“ ist Sehen und nicht einfach ein Mangel an Sehen. Seit Freud dürfte es daran keinen Zweifel mehr ge­ben. Und es ist auch zu mutmaßen, dass eine solche Art der Wahrnehmungsorganisation früher auch stärker für die Män­ner galt, bevor sie ihr Auge trainieren mussten, ständig kon­trolliert die Dinge zu beherrschen. Der Traum als eine archai­schere Form von Bewusstsein könnte auch hier eine historisch archaischere Form von Sehen konserviert haben. Dieser Blick von Frauen, der nur deshalb genau sieht, weil er nicht zu genau hinsieht, weil er sich, auch nach innen gewandt, den Phantasiebildern öffnet und sie mit den konkretistischen Filmbildern verschmelzen lässt, ist die Grundlage für die Identifikation, die gerade Frauen im Kino so besonders su­chen. Diese Identifikation geht aber über zwei verschiedene Momente: zum einen haben gerade die Filme, die besonders Frauen angesprochen haben, ein besonders zwingendes Sy­stem der Leitung des Blicks der Zuschauer(innen) als Identi­fikation mit dem männlichen Blick, der den Filmraum orga­nisiert. Selbst dort also, wo Inhalt und Star ihr ein Verspre­chen für eine narzisstische Überhöhung ihrer eigenen Identität zu geben scheinen, war die Frau dem leitenden Blick des Mannes ausgeliefert, der den ihren aufsaugte. Das war den Frauen nicht bewusst, weil der Kinomechanismus alles tat, um das zu verschleiern. Und das wiederum kam ihrer Organisa­tion von Wahrnehmung entgegen, denn die fließenden Ka­merabewegungen, der unsichtbare Schnitt, wie er handwerk­liches Dogma in Hollywood war zur Zeit, als Serien von Fil­men für Frauen gemacht wurden, erlaubten ihnen, die Be­grenzungen der einzelnen Bilder wieder zu vergessen, bot sich ihrer Art des fließenden, grenzlosen Abtastens an. Die Identifizierung war also eine doppelte und in sich wider­sprüchlich: mit dem Blick des Mannes auf die Frau identifi­ziert, identifizierten sich Schnitt und Rhythmus mit ihrer Art der Wahrnehmung. So entstand ein geschlossener Kreis. Es ist anzunehmen, dass der Rhythmus hier eine ent­scheidende Rolle spielte, weil er die unbewusste Bewegung des Körpers aufnahm und umsetzte. Über alle diese Mittel wurde eine Sinnlichkeit erzeugt, die die Frau in ihrem ganzen Körper ergriff und in ihr den Eindruck eines „reicheren Se­hens“ erzeugte, eines Sehens, das nicht nur Registrieren und Erkennen, sondern Erleben war.

Alle diese raffinierten Kunstfertigkeiten sucht die Frau im Pornofilm vergebens. Geschnitten wird, wenn die „Sache“ es unumgänglich macht, einen Schnitt-Rhythmus gibt es nicht, die Kadrierung ist nichts anderem verpflichtet als der mög­lichst deutlichen Demonstration, also eher ein Grundsatz eines naturwissenschaftlichen oder Industriefilms. Hier gibt es keine Metaphern und Symbole, die die Sache verhüllen wür­den, wie Frauen es gewohnt sind, das Zeichen wird durch das Ding ersetzt, die Repräsentation durch die Präsentation. Pe­nis und Scham sind Körperteile und keine Träger von Glück oder Leid, Leben oder Tod, Erfüllung oder Versagung. Die Austreibung allen Psychologismus, aller „Sentimentalität“, aller Liebe und Leidenschaft, die Reduktion auf die An­nahme, daß das Funktionieren allein schon Lust bedeutet, zeigt, dass der Pornofilm ein mechanisches Weltbild hat. Die schweifende, Identität suchende Wahrnehmung der Frau wird zurückgeworfen auf Distanz, Grenzen, Materien, Funktion, Kausalität. Der Sprung von der entstofflichten Vorstellung, die sie bisher von ihrer Sexualität hatte, in den konkretisti­schen Kamerablick ist die unmittelbare Konfrontation zwischen Unendlichkeit und Materie. Im Zusammenstoß zwi­schen der Inszenierung, die die Frau in Gedanken mit ihrer eigenen Sexualität getrieben hat und der konkreten männli­chen Inszenierung auf Zelluloid, stoßen auch zwei Jahrhun­derte zusammen.

Lässt sich die Frau ganz vom Pornofilm eingrenzen, heißt das, dass sie einen Traum abtreibt. Zwingt sie aber ihren Blick zu der Distanz, die der Pornofilm reklamiert, dann sieht sie im hier auf die Frau gerichteten Blick des Mannes den Mechanis­mus, der auch in den Filmen wirkt, die sie versteckt, oft no­stalgisch und mit schlechtem ideologischem Gewissen liebt. Der männliche Blick, der das Kino beherrscht, wird im Por­nofilm seiner kulturellen Verkleidungen beraubt, keine Kunstfertigkeit wird aufgebracht, das zu verschleiern, weil gerade in dieser Offenlegung die Lust liegt. Der männliche Blick ist das, als was er hier erblickt wird: Blick auf das Ge­schlecht der Frau. Frauen, die wie Männer der Führung ihres Blicks durch die dominierende Blickrichtung im Film nicht ausweichen können, werden hier zu Voyeuren ihrer selbst. Das entspricht exakt der Perspektive, die sie auch bisher hat­ten. Das Pornokino ist die deutlichste Konsequenz einer Kul­tur, in der Frauen ihren Blick an den Mann delegiert hatten. Und in dem Sinn war der Blick, den sie auf sich selbst gerich­tet haben, immer ein pornografischer.

Der Film, der nicht nur Nacktes, sondern sich auch selbst nackt zeigt, hat über die erste Ebene hinaus, die ihn zur Apo­theose des Naturalismus macht, einen ungeheuren Überbau an Illusionismus. Seine Behauptung, die Lust bei universell, jederzeit verfügbar, unbegrenzt zu steigern, ist vielleicht auch nur das einsame Singen des (männlichen) Kindes im finsteren Wald; denn Lust ist in den Filmen auch ein eindeutiges (und vielleicht das letzte) Disziplinierungsmittel, mit dem der Mann sich seine Unentbehrlichkeit für die Frau beweisen kann. So wie dieser Glaube versagen aber auch die Mittel sei­nes Kinos vor dem Moment des stummen Fleisches und des stöhnenden Mundes, weil der Naturalismus nichts mehr se­hen kann, wenn der als notwendig erhoffte mechanische Zu­sammenhang zwischen Ursache und Wirkung außer Kraft ge­setzt ist. Und hier könnten Frauen, die das wollen, triumphie­rend aus dem Pornofilm aussteigen. Bloß, wenn sie glaubten, damit die Beziehung zwischen sich und dem Abbild bereinigt zu haben, verlieren sie sich aus den Augen, auch dann, wenn sie nicht mit dem Blickwinkel des Mannes auch das Fleisch selbst ablehnen, damit alles wieder so sei, wie es war. Wir soll­ten uns besser von neuem und anders in ihm hineinbegeben.

IV.

Das Unbehagen vieler Frauen ist sicher nicht einfach nur ein Rest der anerzogenen Scham, mit der das Zeigen und Wissen der sexuellen Funktionen bedeckt war. Das Erschrecken hat vielleicht einen doppelten Boden: 1. Das ist es nun, und es ist viel konkreter, viel detailreicher, viel lebendiger als Frauen es sich vielleicht vorgestellt haben, und diese Konkretheit weckt Neugier und Lust auf den Forscherblick. 2. Das ist es nun, und es ist nur das: ein Haufen Fleisch, dem alles fehlt, was es an Phantasien ausgelöst hat. Vor diesem Anblick fällt vielen Frauen die Phantasie erst mal ins Bodenlose. Vielleicht füh­len sich manche Frauen wie in einer schlechten Literaturver­filmung: das Vieldeutige ist eindeutig inszeniert worden.

Das Pornofilmbild bietet keinen Platz mehr für das, was wir alle kennen, oder zu kennen glauben, aber in ihm nun nicht mehr wieder finden. Radikal gekappt von jeder möglichen Vorstellung, die sich nicht visualisieren lässt, zeigt es Scham und Penis als Automaten, die in einem Pawlowschen System der Reize funktionieren. Der Pornofilm gibt ein Versprechen von Körper, das er in all dem Fleisch nicht einlöst, denn er interpretiert nicht den Körper von Penis und Scheide her, sondern reduziert ihn auf beides. Und so wird das Geschlecht vor dem Kamerablick anonym, selbst wenn der Kamera auch noch ein Gesicht mit in die Kadrierung gerät, das aber auch nur stöhnt oder schreit, d. h. noch nicht einmal zur individua­lisierenden Sprache fähig ist. Diese Anonymität ist ein We­senszug des ganzen Pornofilms, nicht nur vor der Kamera. Pornofilme haben (noch) keine Regisseure und keine Dar­steller, deren Identität bemerkenswert wäre. Die Hauptrol­len spielen in ihnen der Penis und die Scheide. Das ist ein har­ter Brocken für die heute so gewaltig um ihre Identität rin­genden Frauen und vielleicht ist der tiefste Grund für ihre Ablehnung hier zu finden: unser Geheimnis, auf dem wir auf so vielfältige Weise immer versucht haben, unsere Identität zu begründen, ist anonym. Aber vielleicht ist auch das gerade der Grund, warum diese Identitätssuche nicht zu einem Er­folg gekommen ist.

Wenn aus diesem Erschrecken eine heftige Abwendung vom Pornofilm resultiert, dann ist die Gefahr groß, dass wir ganz schnell wieder zu Wesen werden, die schön, klug, liebenswert und heilig sind, einfach nur, weil wir Frauen sind. Dies ist dann unsere Art, traurig singend in einem Wald herumzulau­fen, der uns an jeder Ecke gleich finster und lebensbedrohlich erscheint. Deshalb kann dieses ganze ausgeleuchtete Fleisch eine befreiende Funktion haben: es erlöst das Geschlecht von dem Mysterium, in dem es sich hatte auflösen müssen. Viel­leicht kommt der Spaß der Frauen, die gern Pornofilme se­hen, gerade daher: endlich sind sie ein Geheimnis los, das die Männer ihnen angehängt hatten und das sie nie haben woll­ten. Voller Neugier können sie jetzt anfangen, ein entklei­detes Geheimnis in der Bedeutung zu sehen, die es nur noch hat. Gerade aber für die, die das nicht so schnell schaffen, ist es, glaube ich, wichtig, den Blick diesem anonymen Ge­schlecht in Großaufnahme auszusetzen, nicht auszuweichen, sondern sich ihm zu stellen, denn jede flotte narzisstische Identifikation, die auf der Liebe zur Vagina und der Erfah­rung der Selbstuntersuchungen eine neue Frauenidentität gründen will, sieht hier, dass sie damit sofort in die Anonymi­tät der Gattung zurückfällt, die der Pornofilm behauptet und die eine solche Haltung uns vorbuchstabiert. Diese Materia­lisierung ins Abbild kann uns gerade dadurch, dass wir ihr nicht ausweichen, von Ängsten befreien, die uns so unbegrif­fen durchherrschen, weil sie so nah an uns sind. Das, was dem weiblichen Sehen oft wohltuend abgeht: die Distanz, liefert uns hier, wo sie nötig ist, das Kinobild. Die Kamera schafft einen Raum der Begegnung, in dem wir auf unsere Ängste treffen können, einen Raum, der die lebenswichtige Kon­frontation zwischen dem, was ich bin und dem, was ich nicht bin, erst möglich macht, denn die Fähigkeit der Frau, Gren­zen zu negieren, hat auch zu einem nicht vorhandenen Bild ihres eigenen Körpers und seiner Grenzen geführt. Das Por­nobild zwingt sie erst einmal zur Wahrnehmung der Grenze, es beendet erst einmal das grenzenlose narzisstische Sehge­fühl. Der unendlich formbare Körper der Frau setzt sich auf der Leinwand aus begrenzten Stücken Fleisch zusammen.

Die Frau als Voyeur ihrer selbst ist dabei nicht jemand, der „sieht“, weil ihm nichts anderes übrig bleibt, weil reale Lust oder Erfahrung für sie nicht möglich sind, sondern sie ist Voyeur, weil sie begreift, dass sie auf der Suche nach ihrem Abbild ist und dass der Königsweg zu sich selbst nur über die­ses Abbild führt. Der Narzissmus der Frau wird hier aus seiner kontemplativen Haltung aufgestört und zur Erschaffung des Bildes herangezogen, in dem er sich erst spiegeln will. Seine Aufgabe ist es, das Fleisch zum Körper zu machen.

Und dieses Abbild vom Körper darf nicht wieder gereinigt werden von einem materialistisch gesehenen Geschlecht. So kann der pornografische Blick zu einer Art Geburtskanal für ein Sehen werden, das Frauen auf der Grundlage eines rea­len, begrenzten Bildes von Raum, Charakter und Ausmaßen ihres Körpers eine Identität ermöglicht, die nicht auf der Chi­märe eines Mysteriums aufgebaut ist und nicht glaubt, dass der Kopf, der einen Körper sucht, ihn sich eben nach Belie­ben schaffen kann. In der Pornografie entsteht für uns die Chance zu einem Selbstbewusstsein, das sich nicht vom Hirnselbstbewusstsein der cartesianischen Kultur herleitet. In der Liebesgeschichte zwischen uns und dem Pornobild können wir unsere Körper zur Welt bringen als die, die wir sein wol­len. Dazu bietet uns der männliche Porno eine Grundlage, nicht mehr. Was wir mit der Erkenntnis anfangen, dass das Geschlecht zu allererst ein Haufen Fleisch ist, bleibt uns über­lassen. Den materialistischen Blick, den wir im Porno gelernt haben, sollten wir aber noch nicht so schnell aufgeben. Wir sollten vielleicht sogar noch radikaler sehen, denn der Porno­film ist keineswegs (mehr) so erschreckend, tabubrechend und radikal, wie er sich gibt. Er hat seine klaren Tabus, nur sind sie jetzt woanders angesiedelt. Das für ihn selbst wichtig­ste und seine Existenz garantierende ist das, dass es kein Ende von Lust, Bereitschaft und Potenz geben kann. Für ihn würde das Eingeständnis, dass die Lust von Nicht-Lust bedroht ist, das Ende bedeuten. Der schlaffe Schwanz existiert ebenso wenig wie die nicht zum Orgasmus kommende Frau. Er kann mit jeder Art von Tod spielen, aber nicht mit dem Tod der Lust, sondern nur mit dem Tod als letzte Steigerung von Lust. Ein anderes Tabu ist das Menstruationsblut der Frau. Die „Unreinheit“ der Frau ist dem Porno weiterhin ein Problem. Und hier beginnt auch der ganze ausgesparte Bereich dessen, was ebenso wie die Sexualität im abendländischen Empfin­den langsam verdrängt wurde, ohne doch wie sie als Träger eines Mysteriums geheiligt zu werden: der Bereich des Pein­lichen. „Peinlich“ wie das Menstruationsblut der Frau waren Furzen, Schneuzen, Schwitzen, Kotzen, Scheißen, Pinkeln, alles Zeichen von der Lebendigkeit und der Arbeit des Kör­pers. Der Körper, der auch im Pornofilm nur als verklärter erscheint (er ist jung, schön, glatt, gut rasiert, gecremt, er funktioniert), wäre aus dieser Verklärung zu lösen und ebenso zu materialisieren, wie der Porno es mit dem Ge­schlecht getan hat.

Der Pornofilm ist ungeschichtlich und das in doppelter Hin­sicht: er leugnet die individuelle Geschichte der Lust und die kollektive der Sexualität. Dass er wie jedes Zeugnis indirekt von letzterem zeugt, kann Frauen nicht befriedigen, denn nicht nur unsere ideologische Reflexion, auch unsere ästheti­sche Anschauungskraft fordert ihr Recht. Hier würde wohl die grundlegende Forderung an einen Film ansetzen, der beim Porno lernt, aber nicht bei ihm stehen bleibt: die Ge­schichte einer individuellen Lust und in dieser die Spuren der Geschichte zu zeigen. Zu zeigen, wie die Lust eine der Körper ist und nicht nur der Schamteile. Die Sexualität als Erbe, Ungewissheit, Hoffnung, sicher auch als Versagen. Die Zusam­menhänge, auf die Frauen nicht verzichten können: Zusam­menhang zwischen Sexualität und Sprache, Sexualität und Wissen, Sexualität und Blick. Ein solcher Film oder alle solchen Filme müssten wahrscheinlich auch durch die Ratlo­sigkeit und Traurigkeit hindurch, die der Sexualität heute bei vielen Frauen noch anhängt, weil im ganzen Paradies kein einziger Apfelbaum steht. Sie müssten sicher auch nur schlecht oder gar nicht funktionierende Organe statt Orgas­men zeigen, darauf bestehen, dass die Art, in der die Frauen Gewalt, Blut, Sperma, Zärtlichkeit, Asexualität betreiben oder ersehnen etwas mit ihren Personen zu tun hat, mit ihren sonstigen Eigenschaften, nicht ablösbar von ihrer Pragmatik, Hysterie, Zwangsneurose oder Versponnenheit. Vielleicht wäre die wichtigste Forderung, die Frauen an solche Filme richten würden, die, das Glück im Leibe und die Sinnlichkeit des ganzen Körpers, auch als eine beschädigte, zu zeigen. Hier müsste der pornografische Film in der Organisation sei­ner Mittel die Ebene des puren Sehens verlassen, die er in je­ner rüden Aggressivität eingenommen hat, die aus der Ver­femtheit seines Gegenstandes erwuchs und zu den komplexe­ren Wahrnehmungsweisen kommen, die andere Filme in ih­ren Montageeinheiten schon lange haben.

Darüber hinaus ist über die Weise, wie der Film Sinnlichkeit zeigt oder erweckt, wahrscheinlich auch unter Frauen keine Einigkeit zu erzielen, und das lässt hoffen, denn es bedeutet ja wohl, dass auch „die weibliche Sinnlichkeit“ nicht das uni­form-monolithische Ding ist, als die sie manchmal (notge­drungen) in unseren Theorieentwürfen erscheint. Vielleicht gilt für die weibliche Sexualität, was Bloch für Heimat ge­sagt hat: scheinbar besitzt sie jeder, in Wirklichkeit hat sie keiner, wir sind alle unterwegs auf dem Weg zu ihr. Wie der registrierende Blick der Kamera um das Moment der Vor­stellungskraft bereichert werden kann, ist wahrscheinlich auch einer der Hauptpunkte in der Suche nach der „feministi­schen Ästhetik“. Dass die Sinnlichkeit, von der wir hier spre­chen, sich eher in den Zwischenräumen zwischen den Bildern ansiedelt, als in ihnen selbst, scheinen viele Frauen zu bestä­tigen, wenn ihre Phantasie durch Pornobilder stärker ange­regt wird als durch Pornofilme.

Wichtig ist, dass das Moment des Fleisches und des Körpers in den pornografischen Filmen von Frauen seinen Schrecken nicht verliert. Den Pornofilm romantischer zu machen, darf nicht heißen, vollends auf die Werbeästhetik reinzufallen, die aus den Soft-Pornos heute schon Reklamefilme für Genuss ohne Reue macht. Es gibt eine Reinlichkeit der Bilder, die auch schon wieder schmutzig ist vor lauter Berührungsangst. Hier werden die Körper nicht durch Verbergen, aber durch Massage und Styling verdrängt.

Wenn Frauen sich selbst pornografische Filme liefern, dann müssen wir nicht mehr das Pornokino der Männer gegen den Strich lesen. Wenn wir Bilder und Bildzusammenhänge fin­den, in denen die ästhetische Anschauung nicht nur über den Umweg der reflektierenden Theorie, die Spuren aufsucht, zu sich selbst kommt, dann hätten wir die Tür einen Spalt aufgestoßen und würden auch sehen und nicht nur empfinden.

In „Frauen und Film“.
In „Frauen und Film“.

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