Hungerjahre

Gespräch mit Jutta Brückner über ihren Film „Hungerjahre.“

Das Gespräch mit Jutta Brückner führte Erika Gregor

E.G.: Wieso wurde uns unsere eigene Sexualität in dieser Weise so negativ ins Bewusstsein gebracht? Warum?

J.B.: Es gibt sicherlich ganz viele Gründe dafür, einen möchte ich jetzt nur mal herausgreifen, – weil es unseren Müttern nicht anders gegangen ist. Und sie das auf eine sehr unbewusste Weise weitergegeben haben. Ich habe dann sehr spät angefangen, mit meiner Mutter über solche Erfahrungen zu reden, und sie hat zum ersten Mal in ihrem Leben dann auch darüber gesprochen, und hat mir damit klargemacht, dass sie in der Art und Weise, wie sie mir etwas vermittelt hat, überhaupt keinen bewussten Einfluss hatte. Sie wollte mir nicht speziell ausgearbeitete Maximen geben, sondern sie gab mir das mit, was ihr mitgegeben war, sie war nie auf die Idee gekommen, dass da etwas Anderes sein könnte. Und ich glaube, dass sich das in ganz vielen Haushalten so abgespielt hat, dass hier einfach ein Muster weitergegeben wird, und natürlich auch ein Verhaltensmuster. Man lernt ja nicht nur von diesen bewussten Sätzen, die so als Erziehungsmaxime ausgesprochen werden, man lernt vor allen Dingen auch vom Verhalten. Man lernt von der Art und Weise, wie man mitkriegt, dass die Eltern miteinander umgehen. Man kriegt mit, dass die Mutter an bestimmten Tagen immer unruhiger wird, und man kriegt mit, dass sie vielleicht wieder fürchtet, dass jetzt wieder etwas passiert sei, man kriegt ihre Angst davor mit, man kriegt den Druck mit, unter dem sie steht, und das alles – darüber wird ja nicht offen gesprochen – sondern das vermittelt sich als etwas Schwammiges, Bedrohliches; und in dem Moment, wo man dann eben selber in die Nähe dieses Schwammigen, Bedrohlichen kommt, ist eigentlich die Reaktion drauf schon vorprogrammiert.

E.G.: Aber da kommen meiner Ansicht nach zwei Sachen zusammen: einmal dieses „Zärtlichkeit ist Schwäche“, was unsere Elterngeneration doch wohl hatte, das zweite ist, dass man vermutlich gar nicht immer etwas tun musste, dass man eine Existenzberechtigung nur dann hatte, wenn man arbeitete, d. h. eben als Frau dazu: man lässt sich nicht gehen, man legt sich am Tage nicht hin, sondern man arbeitet. Das hat ja nicht erst mit 1933 angefangen, sondern es lag eben auch in der deutschen Tradition, dieses Pflichtbewusstsein, dieses Arbeiten, dieses Härte-zeigen, das geht doch nahtlos ineinander über.

J.B.: Und jetzt kannst du noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Wie sah es in den 5oer Jahren aus, da wurden die Frauen gebraucht, als Arbeitskräfte für eine aufblühende Industrie, und zur gleichen Zeit mit dem konservativen Familienideal, was damals unter den CDU/ CSU-Regierungen herrschte, musste man das ja eigentlich bemänteln, dass sie gebraucht wurden, auf der einen Seite angelockt, in die Warenhäuser und Industrien geholt, in die untergeordneten Stellungen …

G.: Während sie während des Krieges ja durchaus in der Lage waren, den Laden allein zu schmeißen …

B.: Und jetzt kommt aber noch dazu, dass auf der gleichen Ebene ihnen aber, weil sie ja Mütter waren, ein schlechtes Gewissen eingeimpft wurde, weil sie ihre Kinder zuhause ließen, unbeaufsichtigt, diese ganzen Greuelgeschichten, die damals durch die Illustrierten gingen, über die sogenannten Schlüsselkinder, deren Mütter nicht da waren – diese Mütter sind von der Industrie gebraucht worden, sonst hätten wir auch kein Wirtschaftswunder gehabt. Wenn Frauen damals nicht in einem ungeahnten Maße mitgearbeitet, wie man es damals ja nannte, hätten – die haben ja nur mitgearbeitet, die haben ja nicht gearbeitet, sondern nur mitgearbeitet – und auf diese Art und Weise sind diese Frauen eigentlich doppelt betrogen worden, auf der einen Seite um eine sinnvolle Arbeit …

E.G.: .. einem lächerlichen Stundenlohn, damals eine Mark und acht, eine Mark und vierzehn, achtzehn …

J.B.: Ja – das Gehalt einer Verkäuferin in einem Warenhaus war 28o Mark. Und sie sind eigentlich sogar dreifach betrogen worden, sie haben nur mitgearbeitet, das heißt, sie hatten keine befriedigende Tätigkeit, sie wurden für diese Tätigkeit noch nicht mal finanziell entschädigt, im Gegenteil, sie hatten also ein ganz geringes Gehalt, und drittens wurden ihnen zusätzlich Schuldkomplexe eingeimpft, weil sie schlechte Mütter und schlechte Ehefrauen waren, und das ist ganz wichtig: es hat damals ein Urteil des Bundesgerichts gegeben, dass eine Frau nur dann arbeiten darf, wenn sie deswegen ihre Pflichten als Hausfrau, Mutter, Gattin usw. in keiner Weise vernachlässigt, dann „darf“ sie arbeiten. Die institutionalisierte Doppelbelastung.

Und ich meine, es wäre sehr verwunderlich, wenn wir von diesen erzwungenen Haltungen unserer Mütter nicht einiges geerbt haben, denn wie reagiert eine Frau, die doppelt belastet und dann noch mit dem ständigen Schuldbewusstsein herumläuft, nicht gut genug zu sein, alles falsch zu machen, an jeder Ecke ein Loch zu lassen, was eigentlich nur sie, niemand anders füllen kann. Wie reagiert eine solche Frau? Ich will es jetzt gar nicht so programmatisch sagen, aber sie reagiert in einer Art und Weise, dass es die Kinder, die ja ganz speziell auf so bestimmte Kleinigkeiten wie Gesten, Mienenspiel und so etwas alles, überhaupt Atmosphäre, reagieren, beeinflusst, die saugen so was ja durch die Poren auf …

Das halte ich für ästhetisch wichtig, dass in dem Film die Tag- und die Nachtwelt so voneinander geschieden sind, dass es eigentlich keine Zwischentöne gibt. […]

In: Informationsblatt des Internationalen Forums des jungen Films 198o, Berlin
In: Informationsblatt des Internationalen Forums des jungen Films 198o, Berlin

weitere Texte zum Film

Hungerjahre

Veronika Rall in: Frauen und Film, Heft 62, 2000

Hungerjahre

In: Arbeitshilfe Film des Monats der Jury der Evangelischen Filmarbeit, 198o

Hungerjahre – in einem reichen Land

Aus den Pressematerialien des „Kleinen Fernsehspiel“, gekürzt in: „50 deutsche Fernsehfilme“ Hrg. Martin Wiebel, anlässlich der Ausstellung im Deutschen Historischen Museum.

Hungerjahre

Helma Sanders-Brahms zu dem Film von Jutta Brückner

Küstenfilme

von Claudia Lenssen
In: Frauen und Film, Heft 31, 1982

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