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Interview von Ellen Wietstock mit Jutta Brückner

Das Filmjahr 2016 wird zum „Jahr der Frauen“ gekürt. Endlich ein deutscher Film im Wettbewerb von Cannes, und zwar von einer Frau. Alles gut? Keineswegs. Immer noch gehen mehr als 80 % der Fördermittel für Kinofilme an Regisseure. Was also tun? Die Filmemacherin Jutta Brückner stellt in dem folgenden Gespräch einen Forderungskatalog auf.

Ellen Wietstock: Warum reicht die geschlechterparitätische Besetzung der Fördergremien nicht aus, um Filmprojekte unter weiblicher Regie auf den Weg zu bringen?

Jutta Brückner: Wir haben damals in der ersten Welle unseres Engagements vor über 30 Jahren gedacht, wenn erst einmal Frauen an den entscheidenden Stellen sitzen, ändert sich alles, und mussten dann feststellen, das stimmt absolut überhaupt nicht. Es hat nicht gereicht, dass Frauen in den Fernsehredaktionen und in den Förderkommissionen sitzen, es ist keine Garantie dafür, dass Projekte von Frauen gefördert werden. Zeitweise wurden sechs Regionalförderungen von Frauen geleitet. Warum also nicht mehr Filme unter weiblicher Regie? Das ist erklärungsbedürftig. Da sind zum einen die Zwänge des Systems, das auf Schemata und Formatierungen aufgebaut ist und sich nach der Quote richtet. In diese Vorgaben können Frauen als Macherinnen eintreten, keine Frage, solange sie sich an diese Vorgaben halten. Andere Sichtweisen kommen da aber nur ungeheuer selten zum Tragen. Wir sollten die Gunst der Stunde nutzen, wo um uns herum vieles im Umbruch ist, um jetzt endlich einmal zum Thema Frauen und Film ein paar neue Pflöcke einzuschlagen. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters ist sehr offen und gewillt, in diesem Bereich etwas zu ändern. Als erste, sofort umsetzbare Forderung sollte jede Förderinstitution verpflichtet werden, nach jeder Kommissions- bzw. Intendanten-Sitzung die Anzahl der eingereichten Projekte insgesamt sowie die Anzahl der Projekte von Regisseurinnen inklusive Fördersummen zu nennen – eigentlich eine Selbstverständlichkeit in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei der Filmförderung um öffentliche Gelder handelt eines Landes, dessen Grundgesetz sagt: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

EW: Was lässt sich gegen das Argument der Förderer ins Feld führen, die Produzenten und Produzentinnen würden nur wenige Förderanträge von Regisseurinnen einreichen?

JB: Das ist in vielen Fällen eine Schutzbehauptung. Erstens reichen Frauen ein, ich weiß das von vielen Kolleginnen. Aber offenbar nicht 50 zu 50, wie es der Anteil von Frauen an Film- und Medienhochschulen ja nahelegen würde. Das hat Gründe. In einem Klima der Einschüchterung, Abwertung, der Vergeblichkeit und des Nicht-wahrgenommen-werdens ist sehr viel Energie nötig, sich vom eigenen Wert zu überzeugen. Frauen bekommen nur 10% der Fördergelder. Auch nach den Selbstverpflichtungen des letzten und vorletzten Jahres hat sich daran nichts geändert. Denn Frauen werden im deutschen Filmbetrieb noch immer als Ausnahme angesehen. Da wird vollkommen vergessen, dass es vor 40 Jahren eine Bewegung von filmenden Frauen gegeben hat, die in der Welt einzigartig war. Der erste Jahrgang des Frauenfilmfestivals von Sceaux ist allein mit Filmen von deutschen Frauen bestückt gewesen! Und bei meinen vielen Reisen im Auftrag des Goethe-Instituts mit den Filmen von Frauen habe ich in den anderen Ländern immer gehört, wie neu und wichtig diese Filme waren. Aber diese Filme von Frauen sind im Bewusstsein der Öffentlichkeit kein Bestandteil des deutschen Filmkanons. Sie sind, wenn man sie überhaupt kennt, in irgendeiner „Frauennische“ angesiedelt. Es gibt Filme (von Männern) und „Frauenfilme“ von Frauen für Frauen. Die liebevolle Aufmerksamkeit, die den Werken von Fassbinder, Wenders, Herzog und anderen Kollegen gewidmet worden ist, ist keiner einzigen filmenden Frau zuteil geworden. Die Kritiker wurden zu Kennern, weil sie die einzelnen Filme im Zusammenhang eines sich bildenden Stils sahen. Sie verfassten durchaus nicht immer nur begeisterte Kritiken, schrieben aber Kritiken, die die Filme dieser Männer ernst nahmen. Eine ähnliche intensive Beobachtung ist keiner weiblichen Regisseurin zuteilgeworden. Wir erlauben uns da einen Umgang mit unserer Geschichte, der an Nachlässigkeit kaum zu überbieten ist. Deshalb ist die zweite Forderung, die auch sehr schnell umzusetzen ist, die 500er Liste zu überarbeiten und den Frauen darin den Anteil zu sichern, der ihnen gebührt.

EW: Um auf diese Weise Vorbilder sichtbar zu machen?

JB: Ja. Aber auch um zu zeigen, dass es schon einmal eine Generation gegeben hat, die sich mit den Fragen auseinandersetzte, vor denen heute viele Frauen noch immer oder schon wieder stehen. Es gab in diesen Filmen einen Blick auf die Gesellschaft und auf Frauen selbst, der zeigt, wie man Alltag erzählen kann, auch ohne Mord und Missbrauch. Der Reichtum menschlicher Beziehungen in Bildgeschichten ist heute verkümmert, es gibt einen schrecklichen Überhang von Kolportage. Die Filme der ersten Generation von Filmemacherinnen zeigen auch ästhetisch in ihren Bildern das, was einmal möglich war und auch heute möglich sein müsste in Film und Gesellschaft. Daran können junge Frauen heute anknüpfen. Alle Lebensformen stehen ja heute auf dem Prüfstand. Frauen sind keine love interests mehr, sie können inzwischen jede Rolle einnehmen, von der fürsorglichen Mutter bis zur intellektuellen Killerin, es ist alles vertreten. Auch die Generation der heute 30- bis 40jährigen Regisseurinnen kennt kaum die Filme und die Macherinnen aus dieser Bewegung. Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass an allen Filmhochschulen über diese Bewegung gelehrt wird. Ich kenne die Klagen von Filmstudentinnen, die versuchen ihre eigenen Vorstellungen zu entwickeln und sich dabei sehr allein gelassen fühlen.

EW: Aber diese Filme der ersten Generation sind verstreut und viele von ihnen vergessen.

JB: Sie teilen das Schicksal anderer Emanzipationsbewegungen, dass es keine Kontinuität des Widerstands gibt. Es wäre wichtig, sie als einen zusammenhängenden Corpus zu erhalten und damit den Anteil der Frauen an der deutschen Filmkultur sichtbar zu machen. Kollegen, die durch die Gunst der Stunde und der Wertvorstellungen einer noch immer patriarchalischen Gesellschaft ein viel größeres Werk haben, gründen eigene Stiftungen. Bei den Frauen muss der Staat einspringen. Das ist die dritte Forderung

EW: Es macht zweifellos Mut, wenn man in dem Moment, wenn man anfängt, sieht, dass man sich auf Vorhandenes berufen kann. Aber wie kann man das Selbstbewusstsein der Frauen heute weiter stärken?

JB: Um mit ihren Projekten an die Kommissionen heranzutreten, brauchen Frauen viel Kraft und Zähigkeit und zudem ein eisernes Selbstbewusstsein und das fehlt vielen Frauen – aus gesellschaftlichen, nicht aus privaten Gründen. Im gesellschaftlichen Unbewussten ist noch immer stark verankert, dass Frauen nicht die Befähigung zu „Großem“ haben, keine Teams leiten und nicht mit großen Budgets umgehen können. Dabei ist längst erwiesen, dass Frauen das können. Ich weiß von einigen männlichen Kollegen, dass sie Produktionsfirmen in den Ruin getrieben haben, ich weiß es von keiner einzigen Frau. Und eine Studie der Universität Rostock von 2015 hat herausgefunden, dass die Filme von Frauen häufiger und länger auf Festivals laufen und mehr Preise bekommen. Außerdem steht immer noch eine Untersuchung aus, wie das Verhältnis von Produktionsbudget und Zuschauerzahlen sich eigentlich verhält, die Statistiken, die nur die Zuschauer zählen, sagen ja nur die Hälfte aus.
Daraus leitet sich die dritte Forderung ab, Instrumente der Steuerung zu schaffen, damit mehr Frauen bei Förderungen einreichen, weil sie dann mit Recht für sich eine reale Chance sehen und sich deshalb auf dieses Abenteuer einlassen. Denn eine Einreichung kostet viel Zeit und viel Geld. Und immer wieder abgelehnt zu werden, selbst wenn man schon internationale Preise bekommen hat und noch nicht einmal den Grund zu erfahren, treibt Frauen schnell an den Rand der Existenz. In Österreich gibt es ein interessantes Punkte-System bei den Förderern, mit dem die eingereichten Projekte bewertet werden. Und unter diesen Punkten ist nicht nur der, ob das Projekt von einer Frau stammt, sondern auch, welche Bilder dort vermittelt werden.

EW: Man hört dann oft den Einwand, das beschneide die künstlerische Freiheit…..

JB: Nein, es verhindert, dass sich bei Entscheidungen eine faule Haltung einnistet, wie es schluffige Begründungen sind wie „das Projekt holt mich nicht ab“ oder „macht mich nicht an“. Oder auch „ich glaube nicht an dieses Projekt“. Denkfaulheit und die Reduktion von Entscheidungen auf das berühmte Bauchgefühl führen zur Diktatur des rein persönlichen Geschmacks, das hat nichts mit künstlerischer Freiheit zu tun. Bei vielen Entscheidungen geht es nur noch um den sehr begrenzten Geschmack. Der richtet sich aber viel zu oft am schon Vorhandenen aus. Und da beißt sich die Katze wieder in den Schwanz, denn das Vorhandene ist von Männern geschaffen. Das alles hat sich noch verstärkt seit wir in einer Kultur der likes leben und das Bewusstsein für ästhetische Kriterien dramatisch abgenommen hat.

EW: Kein Förderantrag ohne Produktionsfirma nach meinen Beobachtungen die größte Hürde, die Projekte von Frauen nehmen müssen. Wie erklärst Du Dir, dass sowohl beim WDR als auch beim ZDF zahlreiche Redakteurinnen sitzen, die Regieaufträge in der Regel aber an Männer vergeben werden?

JB: Die Namen von Männern fallen auch mir als erstes ein, ich muss das gestehen. Das liegt daran, dass Männer kontinuierlich arbeiten, deshalb haben sie auch ein sichtbares Werk vorzuweisen. Bei ihnen weiß man, was man bekommt. Frauen haben, wenn sie nicht zu den sehr wenigen gehören, die ständig von den Sendern beschäftigt werden, meist lange Pausen zwischen ihren Filmen. Umso längere, je mehr auch ihre Geschichten geprägt sind von anderen Sichtweisen oder anderen ästhetischen Vorstellungen. Aber darum geht es doch! Wir haben doch schon viel zu viel vom Gleichen! Zu viele Entscheider beschäftigen sich nur damit, ob die Geschichte gesellschaftlich relevant, die Plot Points an der richtigen Stelle und der Protagonist in ausreichendem Maße sympathisch ist. Dadurch werden die Geschichten schematisch. Wir brauchen doch Filme, die nicht absehbar sind, die eben nicht die dramaturgischen Schemata von Held und Antagonist und love interest usw. erfüllen und bei denen man nicht sofort weiß, wann der nächste plotpoint kommt und wie das Ende sein wird. Alle Projekte, die ein bisschen aus der Norm fallen, die „Anderes“ erzählen oder auch Bekanntes „anders“ erzählen, haben es sehr schwer, weil sie gegen eingefahrene Erwartungshaltungen ankämpfen müssen. Petra Müller, die Chefin der Filmstiftung NRW nannte jüngst in einer Sitzung die drei besten Filme des letzten Jahres: Toni Erdmann, Wild, Vor der Morgenröte, alle drei von Regisseurinnen gemacht. Alle drei Filme entsprechen nicht den üblichen Schemata. Und haben sehr lange gebraucht, bis sie finanziert waren und sind auf viele Einwände gestoßen. Zwei der Regisseurinnen sind auch bekannt von anderen künstlerischen Tätigkeiten, die dritte hat zusammen mit anderen eine Produktionsgemeinschaft. Das hat ihnen erlaubt, Durststrecken zu überstehen.

EW: Mir fällt auf, dass kaum noch Originalstoffe gefördert werden – abgesehen von den schon von Dir erwähnten Filmen Toni Erdmann und Wild und vielleicht noch Vor der Morgenröte. Die großen Länderförderer wollen die Zusage eines Fernsehsenders, und letztendlich entscheiden die Redakteure dann wieder, welche Filme unter welcher Regie ins Kino kommen.

JB: Bei der Verfilmung von literarischen Stoffen geht man weniger Risiko ein. Offenbar traut sich keiner, Verantwortung zu übernehmen und Maßstäbe zu setzen oder darf nicht, die Handlungsspielräume von Redakteuren und Redakteurinnen sind oft sehr eng. Betrieb macht blind, das gilt nicht nur für die Politik. Und wenn, wie beim ZDF, der Löwenanteil des Etats für Krimis und Artverwandtes verplant ist, dann reduziert sich der Entscheidungsspielraum für Anderes noch einmal. Hinzu kommt dann das Misstrauen ob Frauen in diesem sehr männlichen Genre mit seinen oft sehr sexualisierten Frauendarstellungen richtig am Platz sind. Pro Quote Regie zitiert eine Untersuchung, in der festgestellt wurde, dass im Bereich der sexualisierten Darstellung von Frauen Deutschland an der Spitze liegt! Christian Petzold hat einmal in einem Gespräch gesagt, wenn man die Sexszenen in den meisten Filmen sieht, hat man den Eindruck, als hätte ein und derselbe B-Filme-Regisseur alle Sexszenen der Welt gedreht. Sie sehen alle genau gleich aus. Und dann sieht man, wie anders in Toni Erdmann und Wild über Sexualität erzählt wird, da kann man nur staunen. Es ist also möglich, nur ist der Weg dahin zu lang und für viele Frauen nicht zu beschreiten, weil er sie die Existenz kosten würde.

EW: Nur 15 Prozent der Kinofilme entstehen unter weiblicher Regie.

JB: Das ist beschämend für eine Kulturnation. Und falls Maren Ade den Oscar bekommt, dann ist das eine Verpflichtung für alle, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, dass das nicht wieder ein Einzelfall wird, aus dem nichts folgt, wie es damals der Oscar für Caroline Link war. Das Beispiel Maren Ade zeigt: der beste Weg für Frauen, ihre Projekte so zu machen, wie sie sie wirklich möchten, ist der, sich zu einer Produktionsgemeinschaft zusammenzuschließen, denn nur die Herrschaft über die ökonomischen Mittel gewährleistet, dass die Resultate so sind, wie man sie sich vorstellt.
Auch das wäre zu überlegen, ob man nicht eine spezielle Förderung zur Unterstützung von Produktionsgemeinschaften von Frauen einrichtet.

EW: Nun hat man einiges von dem auch schon früher gefordert und Pro Quote Regie ist sehr aktiv, immer wieder daran zu erinnern und solche Forderungen zu stellen.

JB: Die Aktivität von Pro Quote Regie hat dem deutschen Filmbetrieb, mit dem alle unzufrieden waren, deutlich gemacht, wie schlecht wir im internationalen Vergleich dastehen. In diesem Land wird auf so viel Talent verzichtet und so viele Ausbildungen sind für die Katz, weil die Frauen nicht weiterarbeiten können. Nur 12 Prozent der Sendeminuten in der Primetime werden beim ZDF von Regisseurinnen inszeniert, bei der ARD sind es 15 Prozent.
Und hier sind wir am entscheidenden Punkt:
Wir brauchen eine Stiftung, die sich mit diesen Fragen beschäftigt und sich der Koordination aller dieser Probleme annimmt, denn immer wenn es um Frauen geht, sind alle Lebensbereiche betroffen. Diese Stiftung sollte das vorhandene Filmerbe von Frauen als zusammenhängenden Corpus verwalten und dieses Erbe kontinuierlich weiterschreiben, denn die Filme von heute sind das Erbe von morgen. Und sie sollte sich um die Forderungen kümmern, die ich oben skizziert habe, so wäre es eine in die Vergangenheit und in die Zukunft gerichtete Stiftung, die eine Kontinuität sichert, wo es bisher nur Abbrüche gegeben hat. Die deutsche Geschichte besteht nun einmal aus Brüchen und aus den Versuchen, sich im Nachhinein damit zu beschäftigen und sich darüber klar zu werden. Wenn es die Murnau-Stiftung oder die DEFA-Stiftung nicht gäbe, würde auch der deutsche Film der 20er und 30er Jahre und der DEFA-Film verkümmern. Die Stiftung würde dafür sorgen, dass nicht immer wieder dieselben Verdächtigen auftauchen, wenn vom deutschen Film die Rede ist.

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