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Jutta Brückner

Mehr Platz für Bilderschmuggler

Es herrscht Angst im deutschen Film. Kann in einem solchen Klima interessantes Kino gedeihen? Ein Gespräch mit der Filmemacherin und Autorin Jutta Brückner über Zutatenfilme, Bilderstürmer und Bilderschmuggler.

Ellen Wietstock: Jutta, Du hast vor kurzem im Rahmen einer Qualitätsdebatte von einem System deutscher Film gesprochen, das gekennzeichnet ist von Angst, vorauseilendem Gehorsam und bürokratischem Feudalismus. Wer steht da unter Druck, die Kreativen, im Förderdeutsch auch Antragsteller genannt, oder die Filmförderer?

Jutta Brückner: Die Angst auf Seiten der Antragsteller ist mit den Händen zu greifen. Von einer Förderzusage oder Absage hängt die Existenz ab. Für die vielen jungen Menschen, die eine Filmhochschule besucht haben und glauben, sie haben einen Beruf erlernt, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdienen können, ist es einfach eine Existenzfrage. Was macht man, wenn man abgelehnt wird? Dahinter steht die moderne Vorstellung, dass ein Künstler ein autonomes Wesen ist, das keinen Beruf haben muss.
Wenn Filmemachen ein Beruf ist, dann gehört dazu aber auch ein ganzes Produktions-, Verleih- und Verwertungssystem. Und da liegt ja in Deutschland sehr vieles im Argen. Deshalb halte ich diese Professionalisierungs- und Qualifizierungsoffensiven, die es ja bei uns in Hülle und Fülle gibt, inzwischen für eine sehr gefährliche Verlockung. Ich habe meinen Studenten immer geraten, einen Beruf zu erlernen, der es ihnen gestattet, ein Lebensminimum als Cutterin, Kameraassistent oder Erzieher zu verdienen. Sollten wir nicht, statt mit diesen Vorstellungen von Größe, Qualifizierung und internationaler Verwertbarkeit zu hantieren, lieber unseren Filmstudenten ehrlich sagen: Wenn ihr eine bestimmte Sorte von Filmen, eine bestimmte Ästhetik im Kopf habt, die nicht von vorherein auf Fernsehmainstream zielt, dann werdet ihr vom Regieführen nicht leben können. Woody Allen hat einmal gesagt, ein Filmemacher ist ein Mensch, der neben dem Telefon sitzt und auf den erlösenden Anruf wartet. Und ich möchte hinzufügen – dieses Warten macht einen krank, wenn man da nicht etwas hat, eine andere Ebene, in der man sich ausdrücken kann. Da entsteht Wut, Zynismus, Trotz und Frustration. Und kaum ein Filmemacher erfährt eine hinreichende Begründung, warum sein Projekt abgelehnt wurde. Wenn überhaupt. Ich halte Kommunikation zwischen den Filmemachern und den Entscheidern – und wenn die Zeit aufgrund der Fülle der Förderanträge nicht reicht – den Referenten für unbedingt notwendig. Die Kreativen, die Leute, denen doch eigentlich Wertschätzung und Achtung entgegengebracht werden sollte, kommen sich vor wie Bittsteller vor der Tür oder wie die kleinen Mädchen und Jungen, die vom strengen Lehrer gemaßregelt werden und noch nicht einmal wissen, weshalb. Denn es wird ja nach Geschmack entschieden, es gibt ja keine Kriterien. Was noch vor fünfzehn Jahren undenkbar gewesen wäre, lesen wir heute im Abspann eines jeden Films, nämlich den persönlichen Dank an die Intendantin und die Geschäftsführer, Förderreferenten und Assistenten der Filmförderinstitutionen. Als Zuschauer spürt man förmlich die Angst der Filmemacher: Hoffentlich habe ich niemanden vergessen.

Ellen Wietstock: Wovor fürchten sich die Förderer?

Jutta Brückner: Es herrscht Angst in den Institutionen, weil sie alle von öffentlichen Geldern abhängen, und weil es generell in der gesamten Gesellschaft, in der gesamten Wirtschaft und in der Politik heute nur noch darum geht, ganz bestimmte Erfolgsmaßstäbe nachzuweisen. Das können Erfolge am Box office sein oder Clicks oder, und dann ist man schon froh, auch Festivalerfolge. Selbstverständlich müssen sich die Leiter der Förderungen vor ihren Geldgebern rechtfertigen. Das sind die Politiker und die lieben Filme mit sehr einfachen Aussagen und gesellschaftlichen Bezügen. Und eine namentliche Nennung im Abspann ist der Abglanz einer Legitimation für die Arbeit der Förderer und die Existenzberechtigung ihrer Institution.

Ellen Wietstock: Aber wo steht geschrieben, dass sich die Förderer mit dem Produktionsstandort Deutschland und mit Marktanteilen populärer Filme legitimieren müssen? Und mit Oscar-Nominierungen für Hollywood-Produktionen wie Steven Spielbergs Film Bridge of Spies, der 4,8 Mio. Euro deutsche Fördergelder erhalten hat? Warum diese Erfolgsmaßstäbe? Das ist doch ein Armutszeugnis.

Jutta Brückner: Weil wir im Film nur einen Referenzpunkt haben, nachdem alle anderen abgeschafft wurden, und das ist die Zuwendung des Publikums. Du bist im deutschen Film in einer Erfolgsfalle. Und in dieser Erfolgsfalle sitzen auch diejenigen, die Filmförderung gewähren. Man weiß, die Holländer lieben holländische Filme. Das ist einfach so. Österreich ist ein relativ kleines Land, und deswegen kommen die auch gar nicht erst auf die Idee, dass sie mit Hollywood konkurrieren müssen. In Deutschland als einem mittelgroßen Land mit einer beachtlichen Filmgeschichte, in der die UFA durchaus einmal mit Hollywood konkurrierte – ist dieser Gedanke, wir wollen uns mit Hollywood messen oder an dem Image teilhaben, derart vehement. Vor kurzer Zeit hat Nico Hofmann gesagt, endlich ist bewiesen, dass der deutsche Film genau so gut ist wie Hollywood.
Der deutsche Film hat sich ungemein professionalisiert. Für die einzelnen Gewerke ist das erfreulich. Wir haben sehr gute SchauspielerInnen, Kameramenschen, Editoren usw. Aber mit diesem Begriff Professionalisierung ist immer auch ein Schema verbunden. Ein Schreiner, der sich professionalisiert, macht besonders gute Tische, aber er macht Tische, die stets eine Funktion haben. Was heißt, sich im Film zu professionalisieren über die Ebene des Handwerks hinaus? Es kann wiederum nur heißen, es müssen Filme gemacht werden, die von möglichst vielen Menschen gesehen werden. Das heißt, selbst wenn Fördergelder für Arthouse-Kino und kleineres ungewöhnliches Kino gegeben werden, ist das nur Zuckerl, denn diese Filme sinken in der Wertschätzung und werden beiseite geschoben.
Ich habe den Eindruck, dass die Bereitschaft, etwas anderes zu machen, viel zu gering geworden ist. Ich bin zum Beispiel nicht sicher, ob ein Film wie Blue von Derek Jarman in Deutschland heute noch möglich wäre. Jetzt könnte jemand dagegen halten, auch Derek Jarman konnte Blue nur drehen, nachdem er andere Filme gemacht hat. Das mag alles sein, aber die Schwelle, die man erreichen muss, um etwas zu machen, was nicht von vornherein in Schemata und ins System passt, ist in Deutschland extrem hoch.

Ellen Wietstock: Andererseits wird von Seiten der Politik auch ein anderes Kino jenseits der üblichen Verdächtigen gefordert. Volker Kauder von der CDU äußerte letztes Jahr beim Filmpreis-Empfang den Wunsch, dass doch bitte im nächsten Jahr einmal ein deutscher Film in Cannes im Wettbewerb laufen möge. Kulturstaatsministerin Monika Grütters fordert die Regisseure zu mehr riskanten Projekten auf. Aber dafür muss man meiner Meinung nach auch die Voraussetzungen schaffen und Stehvermögen beweisen.

Jutta Brückner: Genau das ist es. Der erste Film wird mit großem Jubel empfangen, den zweiten kann man oftmals gar nicht mehr machen. Und wenn man ihn machen kann, wird er kaum beachtet. Aber bevor Filmemacher Stück für Stück, Schritt für Schritt dort hinkommen, wo sie das Medium in seiner unbewussten Wirkung und Qualität und das Geld, das damit verbunden ist, auch wirklich sinnvoll einsetzen können, ist ein langer Weg. Beim Deutschen Filmpreis lässt sich das erstaunliche Phänomen beobachten, das entweder ganz reife Alterswerke wie Edgar Reitz’ Die andere Heimat oder Erstlingswerke wie Oh Boy von Jan Ole Gerster prämiert werden. Entweder das ganz frische oder das ganz weise – und dazwischen ist ein Leben lang Leerstelle.

Ellen Wietstock: Nach meinen Beobachtungen werden zu viele Filme gefördert, die weder an der Kinokasse reüssieren noch künstlerisch von Bedeutung sind.

Jutta Brückner: Es handelt sich oft um Zutatenfilme des Mittelmaßes. Sie suchen ihren Wert darin, eine ganze Reihe von guten SchauspielerInnen in einem Film zusammenzubringen, und alles in exquisiten Dekorationen mit einer wunderbaren Beleuchtung, fotografiert von einem guten Kameramenschen und einer Geschichte, die nicht anstößig ist. Natürlich leitet sich diese Art von Film sehr stark von dem ab, was im Fernsehen gemacht wird. Im Fernsehen müssen diese Filme so gemacht werden, seit es den Event-Film gibt. Es gibt dann außer den Krimis in allen Facetten und auf allen Kanälen rund um die Uhr nur noch diesen kleinen Platz, der Mittwochs-Film, wo auch da die Redakteure ängstlich nach der Quote schielen und schon sehr nachdenklich werden, wenn die Quote sehr hinter den Erwartungen zurückbleibt, wobei die Erwartungen an den Sendeplatz angepasst sind. Dieses Strickmuster des Event-Films hat sich in den deutschen Kinofilm herübergerettet. Und so glaubt man, mit diesen Zutaten und einer nicht anstößigen Geschichte, in der vor allem die Frauen sich ständig weinend in den Armen liegen, die Aufmerksamkeit eines größeren Publikums auf sich zu ziehen. Ansonsten weiß niemand, was das größere Publikum eigentlich haben will in Deutschland.
Niemand hat etwas gegen kommerzielle Filme, aber sie sollten gut gemacht sein. Sie sollen ein ungeheuer genaues Ohr haben, was im Moment im Volk los ist. Sie sollen sehr genau wissen, dass man in kommerziellen Filmen sehr vieles einschmuggeln kann. Es gibt ja die Bilderschmuggler und die Bilderstürmer. Kommerzielle Filme, die Bilderschmuggler sind, können toll sein. Bloß haben wir in Deutschland in diesem Bereich viel zu wenige, die das können. Wir sind ein Land der Bilderstürmer, das liegt in unserer Geschichte. Die Filme, die uns aus Weimar als gute Filme herübergereicht worden sind, als eine Art von verpflichtendem Erbe, das waren alles Bilderstürmer-Filme. Der junge deutsche Film war ein Bilderstürmer-Film. Und dass es Bilderschmuggler gibt, und zwar große, da könnten wir wirklich vom amerikanischen Film lernen. Aber dazu braucht es schon sehr genaue Kenntnisse des Mediums und eine sehr große Bereitschaft und Intelligenz, sich auf politische und kulturelle Momente in der Gesellschaft einzulassen und sich zu überlegen, in welcher Form sie als Schmuggelgut in die Filme eingehen könnten.
Es gibt in Deutschland etwas, was ich auch persönlich immer wieder zu spüren bekomme, was aber ein generelles gesellschaftliches Problem ist. Es gibt im Bereich des Films einen starken Affekt gegen Intellektualität. Kunst hat in Deutschland aus dem Bauch zu kommen. Da gibt es wunderbare Beispiele, also Fassbinder ist reiner Bauch, der Kopf ist auch da, aber es kommt alles vom Bauch. Die Filmarbeit von Alexander Kluge ist dieser Haltung zum Opfer gefallen.

Ellen Wietstock: Wie schaffen wir es, uns von der Bürokratie wegzubewegen und zu einem interessanteren deutschen Kino zu kommen?

Jutta Brückner: Filme entstehen aus einer Lebendigkeit und nicht aus einem bürokratischen Verfahren heraus. Und wir haben extrem viel Bürokratie. Wir sollten aufhören, uns in die eigene Tasche zu lügen. Wir sollten auf die Antragsprosa und auf Auswertungskonzepte und Willensbekundungen auf internationale Auswertung, alles aus vorgefertigten Versatzbausteinen zusammengestellt, verzichten. Als ersten Schritt sollten klar und ehrlich miteinander reden, ohne Liebedienerei und Demutshaltung. Auch keine rituellen Podiumsdiskussionen mit der stillschweigenden Unterstellung, dass der jeweilig andere doch keine Ahnung hat und in der Öffentlichkeit ohnehin niemand offen redet. Das ist die Voraussetzung dafür, um darüber nachzudenken, wie in Deutschland Kino in seiner ganzen Bandbreite funktionieren kann – in diesem reichen Land, mit großen kulturellen Traditionen, auch großen Filmtraditionen.

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