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Jutta Brückner

#metoo: Wo stehen wir heute?

Ein Jahr nach dem Beginn dieser eruptiven Entladung, ist klar, dass das sexistische Geschäftsmodell Sex gegen Arbeit stark ins Zwielicht geraten ist. Aber die Empörung erlaubt nur wenige Nuancen und Zwischentöne. Das ist der Preis, wenn relativ hermetische feministische Einsichten plötzlich massentauglich werden und zu Allianzen führen, mit denen die reine, kontemplative Erkenntnis bis dahin nichts zu tun hatte. Der Feminismus als kulturelles Interpretationssystem hat seit Jahren herausgearbeitet, dass Sexismus der Kern aller Gesellschaften ist und nicht nur der Ausrutscher einiger bekannter Übeltäter. Sexismus ist nicht Sexualität. Sexismus ist die Verbindung von Sexualität und Macht, egal ob die Frauen Tschador tragen, Kopftuch oder Bikini. In der westlichen Welt gab es eine radikale – reale, kulturelle und imaginäre – Separierung der Frauen von der Macht, denn die war in den Händen der Männer. Frauen waren Teil der Welt der Affekte, des Begehrens und der Lüste, der Schönheit und Erotik. In den alten patriarchalen Gesellschaften gab es getrennte Lebensräume und klare Regeln für das Verhalten zwischen den Geschlechtern definierten bis in die kleinsten Finessen einen engen Handlungsspielraum, wenn man ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft sein wollte. So war die Erotik bis aus äußerste kodiert und damit gesteigert. Frauen waren zwar macht- und rechtlos in Politik und Wirtschaft, aber sie bestimmten die Kultur des gesellschaftlichen Umgangs, die Regeln für Anstand, Sitte und erotische Werbung. Im Club, dem Stammtisch, der Armee, dem Bordell für die Männer und dem Salon, dem Damentee und dem Kinderzimmer für die Frauen waren das ungeschützte Gespräch und die Triebabfuhr möglich. Welche Klagen, Witze, Anzüglichkeiten und sexuelle Erfahrungen dort ausgetauscht wurden, blieb den Ohren des jeweiligen anderen Geschlechts verborgen. Diese Ordnung balancierte das Geschlechterverhältnis auf eine gewisse Weise aus, man lese das nach bei Jane Austen. Das alles ist durcheinandergeraten, als die Frauen massenhaft in die Büros, Fabriken und Ämter drängten und es plötzlich nur noch gemeinsame Räume gab in Arbeit, Sport und Freizeit. Jetzt definierte der Film als wichtigstes Medium die Liebessemantik. Filme versprachen: Wer sich den Chef angelt, muss die Drecksarbeit nicht mehr machen. Und so lernten Frauen auf eine neue Weise, was sie schon immer gewusst hatten, dass nämlich Macht das stärkste Aphrodisiakum ist und Erotik ihr Zahlungsmittel: Nerz gegen Beischlaf. Jetzt ging es darum, zu locken, ohne zu früh zu gewähren.

Alles änderte sich aber radikal, als die Pille Frauen die freie Sexualität ermöglichte. Das war ein Epocheneinschnitt für die Liebessemantik, ein durchaus ambivalenter. Die alten Vorstellungen von Liebe, Sex und Leidenschaft stießen wie losgesprengte Bruchstücke auf die neuen emanzipativen und sexuellen Entgrenzungen. Und allzu oft wurde Freiheit interpretiert als Verpflichtung zu besinnungsloser Libertinage. Frauen fügten sich dem beiläufigen Sexismus von Männern, die ihre Gespielinnen so oft wechselten wie James Bond es tat, ohne von den alten Sehnsüchten Abschied genommen zu haben und sie warteten weiterhin darauf, dass Mr. Right oder Mr. Big endlich zur lebenslangen Beziehung oder, noch besser, zur Ehe bereit war. Aber der Schutz der getrennten Räume war dahin. Heute, im rapiden Wandel unserer postmodernen und postindustriellen Gesellschaften, stürzt sich eine wachsende Zahl entwurzelter und verwirrter Männer in die unheilvolle Suche nach männlichen Gewissheiten. Niemand verzichtet gern auf Privilegien, die ihm bis dahin qua Geburt zustanden. Die „unreife Männlichkeit“, wie Psychologen das nennen, entsteht aus diesem tiefen Frust und der Unsicherheit, wie Mann jetzt erotisch und sexuell mit der wachsenden Zahl von selbstbewussten und gut ausgebildeten Frauen umgehen soll, die nicht mehr einfach Liebesobjekte sondern auch Rivalinnen am Arbeitsplatz sind. Die neue wirtschaftliche und gesellschaftliche (Un)Ordnung hat noch keine neue Liebessemantik hervorgebracht, aber der Druck, sich ständig und überall korrekt, höflich und unanstößig verhalten zu müssen, ist für Männer immens gestiegen und Psychologen diagnostizieren bei Männern eine lähmende Sprachlosigkeit in allen sinnlichen Angelegenheiten, die schnell in Gewalt kippt. Filme zeigen heute eine große Bandbreite von Vergewaltigern und Serientätern und die Opfer sind vorwiegend Frauen. Diese Bilder befeuern Phantasien über die archaischen Formen der Macht und die Sehnsucht nach männlicher Potenz ohne Moral. Wenn man Martin Amis glaubt, dann gibt es in jedem Mann zerstörerische, impulsive Anwandlungen von Frauenfeindlichkeit und niemand sollte unterschätzen, wieviel Rausch und Befreiung es bedeutet, seinen Ressentiments freien Lauf lassen zu dürfen.  Es ist bezeichnend, dass #metoo im Filmbusiness begann, denn hier entstehen die Geschlechterbilder, die massentauglich sind.

Frauen begegnen heute im Kino dem 3000 Jahre alten Bodensatz an Misogynie. Sie werden eingezwängt in verschiedene Formen von Sexismus, körperlichen, psychischen, kulturellen und institutionellen. Das sexuelle Grundrauschen unserer Gesellschaft schätzt sie daraufhin ab, ob sie fuckable sind oder nicht, und im Arbeitsleben stoßen sie auf die gläserne Decke eines noch immer männerbündisch organisierten Systems der Macht, sie bleiben Fremdkörper im Herrenclub. Eine Generation von sehr gut ausgebildeten Frauen hat das Gefühl, von einer Gesellschaft betrogen zu werden, in der es ein Missverhältnis zwischen Macht, Geld, Wahrheit und Recht gibt. Denn unsere Gesellschaft gibt ihnen auf der einen Seite die volle juristische Selbstbestimmtheit, aber sowohl in den kulturellen Bildern wie auch den realen Arbeitsverhältnissen der Kulturbereiche wird sie ihnen wieder streitig gemacht. Ihr Anspruch auf Gleichberechtigung ist nicht eingelöst worden und angesichts dieser Schwierigkeiten befällt viele Frauen entweder ein tiefer Frust, oder sie finden zu kriegerischer Entschlossenheit und brandmarken jeden Hauch einer ungewollten erotischen Annäherung, wenn sie schon die Ungerechtigkeit des gesamten Systems nicht ändern können. Die Hand auf dem Knie kann man anprangern als eine sexistische Attacke, die männerbündischen Machtstrukturen überall sind so viel schwerer aufzulösen in diesem Deutschland mit einem archaischen Frauen- und Mutterbild. Auch Al Capone stürzte nicht über seine kriminellen Taten sondern nur über seine Steuerschulden. Aber wenn jede unpassende Bemerkung oder jeder ungeschickte Flirtversuch als Belästigung angesehen wird, wird der Abstand zur Prüderie hauchdünn. Und jede gerechtfertigte Sanktion gegen sexuelle Belästigung ändert nichts daran, dass die Pandora-Büchse der Bewusstseinsindustrie noch immer prall gefüllt ist mit überholten Frauenbildern und Geschichten, in denen Frauen nichts anderes sind als der love interest einer langen Reise des Helden.

Im Urtext des feministischen Kinos, „Visuelle Lust und narratives Kino“ schrieb Laura Mulvey 1975: „Das klassische Kino ist eine perfekte visuelle Maschine für das männliche Begehren, so wie es ausgebildet und kanonisiert worden ist in der Tradition der westlichen Kunst und Ästhetik.“ Schon seit damals haben Frauen sich bemüht, das zu ändern, indem sie kulturpolitische Forderungen stellten und andere Filme machten. Aber die Übermacht einer von ökonomischer Macht gelenkten Bewusstseinsindustrie marginalisierte ihre Anstrengungen. #metoo kann hier etwas bewirken. Aber nur, wenn Frauen der Verführung widerstehen, den Affekt schon für einen Fortschritt zu halten. Die Forderung Bilder abzuhängen, Filme nicht mehr zu zeigen oder Bücher zu zensieren, ist nur ein Rückschritt. Auch die Forderung nach Filmen, ausgewogen in Geschlecht und Rasse, ohne Darstellung von beleidigenden und entwürdigen Szenen, eine Art postdemokratischer Realismus, getragen von dem Wunsch, es möge auf der Leinwand nichts zu sehen sein, was wir auch im täglichen Leben nicht wollen, ist in Gefahr, ebenso lügnerisch zu sein wie der sozialistische Realismus mit seinem geschönten Bild von Gesellschaft es war. Sinnvoll ist der Bechtel-Test, der Filme daraufhin überprüft, ob Frauen überhaupt vorkommen und was sie sich jenseits ihres Gesprächs über Männer noch mitzuteilen haben. Er öffnet die Augen dafür, wie sehr wir etwas für selbstverständlich halten, was es nicht ist. Das wichtigste allerdings sind die Bestrebungen, die viel zu geringe Anzahl von Regisseurinnen durch Fördermaßnahmen oder Quotierungen endlich auf das Niveau ihrer männlichen Kollegen zu erhöhen. Denn nur eine ausreichend große Zahl von Frauen, die Filme machen, kann dazu beitragen, eine neue Liebessemantik zu entwickeln, die unserer Zeit angemessen ist. Nachdem die Pille den Frauen ihre Sexualität biologisch freigegeben hat, müssen sie sie jetzt von der gesellschaftlichen Fremdbestimmungen befreien.

Frauen wissen, dass Sexualität untrennbar mit Schaulust verbunden ist, ein unsicheres Terrain, voll von Ambivalenzen und Widersprüchen zwischen Macht und Erotik, Lust und Zwang. Keine Reinigungsoperation im Stil einer sauberen Leinwand wird daran etwas ändern. Die neue Liebessemantik entsteht nicht am Reißbrett und sie entsteht auch nur durch ständige Zwiesprache der Bilderwelt mit der Gesellschaft selbst. Männer und Frauen sind Teil des Problems, das sie selbst sind und Teil der Lösung, die sie selbst herbeiführen müssen. Sie müssen eine Sexualkultur der Einvernehmlichkeit entwickeln, eine Liebessemantik, die die Liebe nicht zu einem notariellen Verwaltungsakt degradiert mit schriftlichen Einverständniserklärungen bei jedem Schritt. Wie schwierig das ist, sieht man an den Blockbustern, die starke Frauenfiguren zeigen. Diese Heldinnen sind fast immer aus der sexuellen Ordnung herausgenommen. Einer Frau die Macht und den Sex zuzuschreiben ist noch immer ein Tabu. Die emanzipatorische Forderung nach mehr weiblichen Narrativen überall ist ein grundlegender Schritt. Dann sehen wir weiter. Aber es gibt kein zurück zur Naivität.

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