Ein Blick und die Liebe bricht aus
Gespräch über „Ein Blick – und die Liebe bricht aus“ mit der Dramaturgin und Filmkritikerin Erika Richter
JB: „Ein Blick – und die Liebe bricht aus“ war in keiner Weise geplant. Dieser Film ist entstanden, weil ich Steuerschulden hatte.
ER: Wieso das? Natürlich brauchst du keine Geheimnisse auszuplaudern.
JB: Filme entstehen oder entstehen nicht aus den merkwürdigsten Gründen. Über mir schwebte damals ein Damokles- Schwert. Über allen Produzenten, die Geld von der Berliner Filmförderung bekommen hatten. Für „Hungerjahre« hatte ich einen Konsortial – Kredit bekommen. Filmproduktionen sind ja im Prinzip Durchlaufstationen für Filmförderkredite, die sie verwalten müssen. Ich wurde plötzlich damit konfrontiert, dass der Kredit, den ich für „Hungerjahre“ bekommen hatte, bei mir als Einnahme verbucht wurde. Daraus resultierten hohe Steuerschulden. Inzwischen geschieht so etwas Gott sei Dank nicht mehr. Meine Steuerberaterin sagte mir damals: „Dreh in Buenos Aires einen Film.“ Ich hatte aber in keiner Weise irgendetwas geplant. Ich kam nach Buenos Aires mit dem Auftrag des Goethe-Instituts, einen Workshop zu machen. In dem Workshop waren sowohl Schauspieler und Schauspielerinnen wie auch ein Kameramann, und es gab als Basis für Improvisationen schriftliche Interviews mit Frauen in Buenos Aires. Ich sollte den Teilnehmern vermitteln, wie man Low-Budget-Filme macht, die ja oft aus Improvisationen entstehen. Es wurde aber so schön improvisiert, dass wir ganz schnell merkten, nämlich schon am zweiten Tag, als wir die Muster sahen: Hier entsteht etwas. Das war vor allem auch dem Kameramann zu verdanken. Der arbeitete mit Mitteln, die ich bis dahin noch nicht gekannt hatte, vor allem mit Spiegeln. Spiegel haben viele Bedeutungen. Sie sind die Metapher – im filmischen Sinne – für Identität bzw. die Suche nach Identität. Bild und Abbild. Die Art und Weise, wie der Kameramann die Spiegel einsetzte, faszinierte mich. In „Ein Blick und die Liebe bricht aus“ werden die Räume mit Hilfe der Spiegel neu geschaffen.
ER: Ich finde es hoch interessant – du hast mir die Geschichte ja schon einmal mehr oder weniger ähnlich erzählt -, dass dieses Technisch- Künstlerische für dich eine so riesige Rolle gespielt hat. Aber eigentlich ist es immer so: Wenn man etwas macht, muss man letztlich mit Werkzeugen arbeiten und mit Methoden. Aber ich denke überhaupt nicht an die Spiegel, wenn ich diesen Film sehe, ich denke nur daran, dass es für mich der klassische Film einer geronnenen Distanz ist. Dieser Film ist überwältigend. Er ist einerseits ganz böse, böse gegen die Menschen, und zwar nicht nur gegen die Männer, die beiden Geschlechter sind vollkommen gleichberechtigt, wie sie ihre Kämpfe gegeneinander und miteinander führen. Die Frauen sind um keinen Deut besser – wenn ich mal die Indianerin ausnehme, die sozial deklassiert ist und infolgedessen wirklich Opfer ist. Die anderen Frauen sind keine Opfer, sie sind im Gegenteil sogar die besseren Kämpferinnen, weil ja die Männer eigentlich Nichtnutze sind, die aber nun einmal die Macht haben. Die Frauen müssen kraft ihrer Persönlichkeit gegen sie kämpfen. Das sind harte Kämpfe, und man hat das Gefühl, dass zwischen Männern und Frauen eigentlich alles verloren ist. Aber es ist so schön! Es ist so wunderbar dargestellt – Bild, Musik, Tänze, die Bewegungen, und ich finde, dass diese Schönheit alles auch wieder menschlich macht. Schönheit ist ja auch ein Moment der Menschlichkeit. Man hat das Gefühl: Dieser Film ist eine Bilanz. Mit diesen Leuten, Männern und Frauen, hast du nichts mehr zu tun. Da ist jetzt das endgültige Urteil gesprochen. Aber Deine nächsten Filme beweisen ja, dass das nicht stimmt.
JB: Es gibt eine Ähnlichkeit zwischen „Tue recht und scheue niemand“ und „Ein Blick – und die Liebe bricht aus“. Nachdem das Leben in „Tue recht…“ erzählt ist, sitzt meine Mutter neben meinem Vater auf dem Sofa und sagt: „Ich würde nie mehr heiraten“ – und dann merkt sie, dass ihr Ehemann neben ihr sitzt – und sie hält ein und sagt: „Ja, man sagt manchmal so Dinge.“ Und danach beginnt der von Josef Schmitt gesungene Schlager: ‘Es wird im Leben Dir mehr genommen als gegeben‘. Und dann sagt sie auf dem dunklen Abspann: „Nächstes Jahr wollen wir den Speicher ausbauen für ein Gästezimmer, und dann kaufen wir uns auch ein neues Schlafzimmer, und mein Traum ist ein Französisches Bett.“ Der uneingelöste Wunsch bleibt hängen. In „Ein Blick – und die Liebe bricht aus“ sind die Machtkämpfe erledigt, die Frauen stehen frierend draußen, es nieselt, sie sind unzureichend bekleidet, haben zum Teil Unterröcke an, zum Teil Männer-Sakkos. Und dann geht unten dieser Tango weiter, und dieser Tango ist trotz allem ein Versprechen. Es funktioniert nicht mehr so, wie es in dem Haus funktioniert hat, die Bewegungen und die Rhythmen stimmen nicht mehr überein, es läuft alles auseinander, gegeneinander, aber dann – mit einem Schwenk über diesen Hof – gibt es noch einmal eine Geige, die eine Melodie so sehnsüchtig drüberzieht….
ER: …. und es tanzen alte Leute, eine alte Frau und ein alter Mann, und es ist ganz rührend, Für mich jedenfalls, die ich sentimental bin. Insofern stimmt das auch nicht ganz, was ich über die Härte dieses Films gesagt habe.
JB: Es gibt diesen offenen Schluss. Und dieser Hof, in dem getanzt wird, wirkt wie ein Gefängnishof, auf der einen Seite wird er begrenzt durch ein unfertiges Haus. Davon findest du ja sehr viele in diesen Ländern. Auch dieses unfertige Haus ist natürlich eine Metapher. Es wird weiter daran gebaut. Jede Generation baut an diesem Haus weiter und wir wissen noch nicht, wie die zukünftige Form aussehen wird, die die Liebe – wenn man die Liebe als ein Haus betrachtet – dann haben wird. Wir wissen es nicht. Wir sind im Moment alle ziemlich ratlos. Aber auch ich baue weiter. Der Film hat übrigens hier auf dem Festival in Berlin, ziemliche Aggressionen ausgelöst.
ER: Warum Aggressionen?
JB: Den Film kann man sicherlich auf verschiedene Arten und Weisen »lesen«, aber man muss ihn lesen, weil er eine hermetische Ästhetik hat. Als der Film herauskam, wollte eine jüngere Frauen-Generation, die andere Bedürfnisse hatte, wieder romantische Liebesgeschichten sehen. Es war die erste Generation der Töchter der Frauen, die sich ‘68 in der Frauenbewegung engagiert hatten, und diese Töchter wollten Genrefilme sehen. Sie interessierten sich für das, was Hollywood ja wirklich kann, und nicht für Filme, die immer noch auf die eine oder andere Weise das ernst nahmen, was einmal in der Feministischen Filmtheorie mit großer Leidenschaft diskutiert worden ist: Frauenfilm als Gegenfilm! Und sie wollten Liebesgeschichten sehen und nicht Befreiungsgeschichten. Und bitte nicht eine solche komplizierte Ästhetik, die man sowieso nicht versteht, und außerdem bitte nicht solche Inhalte, wie ich sie da gezeigt habe. Der Film besteht aus sieben Geschichten, er geht von der Hochzeitsnacht bis zur Scheidung. Aber es sind jeweils andere Frauen. Es sind also sieben in sich abgeschlossene Mini-Geschichten. Im übrigen ist es ein Tango-Film, es gibt fast keinen Dialog, nur ganz wenige asynchrone Sätze, die – wenn du so willst – durch den Raum fliegen, und es gibt einen Brief an die Liebe, der von einer Stimme gesprochen wird, die man nicht identifizieren kann, und der in der Tradition der schwarzen Romantik geschrieben ist. Und diese jungen Zuschauerinnen, die gerade die Liebe, die Verliebtheit entdeckt hatten, waren wütend, dass ich zeigte, wie kompliziert, schwierig, auch wie trostlos und destruktiv Liebe sein kann. Sie wollten sich identifizieren, und das gestattet ihnen der Film nicht. Das erlaubt diese Art von Ästhetik nicht.
ER: Das Wechselbad zwischen Identifizierung und Distanzierung scheint mir typisch für dich zu sein. Eine einfache Identifizierung gibt es schon in »Hungerjahre« nicht. Man ist oft verwundert über die Reaktionen des Mädchens.
JB: Inzwischen haben sich die Aggressionen gelegt. Neulich war ich mit diesem Film in Köln auf einem Tanzfilm-Festival, und da sagte mir jemand so ganz nebenbei: „Wir haben das alte Werbematerial übernommen, haben nichts Neues gemacht, schließlich ist das inzwischen ein moderner Klassiker.“ Natürlich habe ich mich gefreut. Schließlich hatte es viele Buhrufe gegeben, als man mir im Delphi den ‘Spielfilmpreis der deutschen Filmkritik’ dafür überreicht hat. Ich habe sogar das Wort ‚Schiebung‘ gehört.
ER: Du hast beschrieben, wie, in gewisser Weise zufällig, dieser Film entstanden ist. Aber auf der anderen Seite hat er in seiner Konsequenz, in diesem Zusammenspiel aller Elemente der Form – Geräusche, Musik, Gestus etc., – die ganz hermetisch, klassisch zusammengefasst ist, sehr viel mit dir zu tun. Bestimmt hat es auch damit etwas zu tun, dass du versuchst, die Dinge erst einmal bis zu einer bestimmten Konsequenz zu denken.
Gespräch mit der Dramaturgin und Filmkritikerin Erika Richter
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