weitere Texte zum Thema

Remake

von Jutta Brückner, 2018

Texte zu Frauen und Filmen
 

Jutta Brückner

Filme von Frauen sind Spurensuche

Frauen wachen als Filmerinnen auf und finden sich wieder in einer Gesellschaft, die Bewusstsein über Medien schafft und reguliert. Frauen, die immer instrumentalisiert worden sind, auch in den meisten soziologischen Studien, weil ihre Daseinsformen nur als Defizite gelten, sollen in dieser Medienwelt von der Abenddämme­rung zur Morgenröte plötzlich handelnde Subjekte werden. Hinter der Kamera, eingezwängt in eine Produktionsweise, die männlichem Denken und Empfinden von Teilen und Zusammenfügen entsprun­gen ist, sollen sie als Macher funktionieren, um das auszudrücken, was die Gesellschaft ihnen nicht erlaubt hat zu entwickeln („femini­stische Ästhetik“), weder in geschichtlicher Öffentlichkeit noch in familiärer Privatheit. Der Sprung vom geliebten und fremdbestimm­ten Objekt zum autonomen selbstbestimmenden Subjekt geht ein bisschen zu plötzlich, als dass keine Reibungsverluste entstehen würden: zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, Team und Regisseurin, Filmen und Publikum. Vor allen Dingen aber reiben die Frauen sich selbst innerlich wund. Und die Versuchung ist groß, Papis Trotzköpfchen zu werden, dessen Kapricen mit Autonomie verwechselt werden, immerhin eine Rolle, die uns seit unseren Kinderbüchern vertraut ist.

Von den Frauen, die dieser Versuchung widerstehen, ist hier die Rede, und nur sie sind gemeint. Die Schwierigkeiten, vor denen sie stehen, sind riesig. Selbst wenn man annimmt, die Stunde der Frauen sei auch deshalb gekommen, weil die Kaputtheit der Frauen immer noch mehr Kraft habe als die Gesundheit der Männer, muss man aber im selben Atemzug sagen, dass diese Gesellschaft immer noch so gut organisiert ist, dass sie die Kraft hat, uns kaputt zu machen. Und der Instinkt, der sich gegen feministische Radikalitäten wehrt, steht fest auf beiden Beinen. Denn feministische Filme sind keine Sache, die Frauen unter sich ausmachen können oder wollten, keine Zielgrup­pen- oder Minderheitenfilme, wie selbst Wohlmeinende heute noch manchmal behaupten. Wie jede sich avantgardistisch verstehende Bewegung versuchen die Filmerinnen, die Geschichte, auch die der Kunst, neu zu deuten, bis hin zum abendländischen Hirn-Selbst­-Bewusstsein des cogito ergo sum. Der Zugriff der filmenden Frauen ist total. Das macht ihn anstrengend, aber auch überlebenswichtig, weil Frauen gerade auf Grund ihrer „Defizite“ noch nicht vergessen haben, dass es Leben gibt, das mehr ist als die Summe von Funktio­nen, Rollen und Emotionalitäten. Der Kapitalismus als Todfeind von Kunst wie Frau (Ernst Bloch) wittert mit Recht den totalen Angriff. Die Tatsache, dass man den Frauen jahrhundertelang die schönen Künste als Freizeitbeschäftigung gestattete, während die Männer dieser Frauen sich der ernsteren Aufgabe widmeten, eine Gesellschaft zu schaffen, in der dieser Kunst die Funktion von Erkenntnis bestritten und nur die der Dekoration zugestanden wurde, ist nicht nur patriarchalische Willkür, sondern hat eine Logik, die sich jetzt gegen das Patriarchat wenden könnte. Es liegt eine andere Logik darin, dass Frauen in dem Moment aktiv werden, wo ihnen eine Kunst zu Verfügung steht, die virtuell das aufsuchen kann, was ihnen am meisten verloren gegangen ist: die vor-sprach­lich geahnte Wirklichkeit, die Sinnlichkeit nicht nur des Auges. Ausgesetzt unserer kollektiven Angepasstheit um den Preis der kol­lektiven Verdrängung haben wir im Kino einen Ort eigener Bilder­wünsche, eigener Erfahrungen mit Sprach- und Bildlosigkeit, denn wir wurden immer mehr zu Bildern gemacht, als dass wir welche hätten machen können. Wir haben diesen Ort nicht, aber wir möch­ten ihn haben.

Dieser Negativkatalog klingt nicht nach den schönen Stunden, die man sich heute wieder im Kino machen sollte, wenn es als Kultur überleben soll. Er hat etwas Erschreckendes. Aber das Zeigen von „Defiziten“ ist heute die notwendige Form, in der sich der Realismus entwickeln kann, der die Wunschproduktion nicht ausschließt. Was nicht in der Gesellschaft vorhanden ist, soll nicht in der Kunst als Wirkliches auftauchen. Bisher haben sich Frauen da einer schlechten deutschen Tradition verweigert, in der Kunst Ersatz für gesellschaft­liche Bewegungen geworden ist.

Filme von Frauen sind Spurensuche, Identitätsversicherung als The­ma von Filmen und Prozess des Filmens, Hoffnungsgeschichten auf ein selbst-bewusstes Leben, in dem fühlend gedacht werden kann. Feministische Ästhetik ist Ausdruck der Schwierigkeit, fühlend zu sehen, in einer Zeit, in der das Auge als abstraktester aller Sinne die Verobjektivierung auf die Spitze getrieben hat. Aber auch Ausdruck eines Prozesses, an dessen Ende erst das stehen kann, was diesen Prozess doch erst weitertreibt: feministische Ästhetik. Dieses vielbe­fragte Ding ist nicht einfach da, weil Frauen jetzt schon mal hinter der Kamera stehen. Sinnlichkeit als eine kaputte reagiert auch auf eine kaputtmachende Realität auf kaputte Weise. Die Filme legen Zeugnis von dem ab, was nur noch unter Krankheit und Protest zu ertragen ist, nicht als Bebilderung von feministischen Erkenntnissen, so richtig diese auch sein mögen, als Nachzeichnung einer Satzstruk­tur, sondern als Zusammenfügen von Selbst-Bewusstsein beim Sehen in Kopf und Bauch und Knie. Vielleicht gibt es in diesem Prozess Momente, wo aufscheint, was möglich wäre, wenn.

Wenn Filme von Frauen es schaffen, hier radikal zu sein, fühlen sich viele frustriert. Auch die vielen sehnsüchtigen, intellektuellen Män­ner, die das Kino lieben, sind abgeschreckt, denn die Frauen bestehen darauf, das sichtbar machen zu wollen, was im Dunkel des Kinos von allen, die sich mit der Realität des Funktionalen nicht zufriedengeben wollen, nur ahnend gesucht wird. Feministische Filme eignen sich nicht für Kinokult und nicht für Cineasten, sie sind Wegmarken auf dem Weg langsamer Befreiung von individueller und kollektiver Kreativität, nicht Vermittlung eines cineastischen Gefühls.

Die Schwierigkeiten werden auch nicht kleiner, je scheinbar vertrau­ter uns die Produktionsapparate und Produktionstechniken werden. Denn Frauen, deren Selbst-Bewusstsein in einer für die moderne Gesellschaft akzeptablen Weise nur fragmentarisch vorhanden ist, müssen, bevor sie irgend etwas organisieren, erstmal sich selbst organisieren, nicht ihr Leben, sondern sich: die Haltung ihres Magengeschwürs zum Kopf, der eine Kalkulation machen will; die „neurotischen“ Schlafbedürfnisse zu den Anforderungen eines durchorganisierten Drehtages; das intime Bedürfnis nach Grabear­beit an den verschütteten Ahnungen von Kreativität zu den Erforder­nissen, das Ergebnis dieser Arbeit sofort gewinnbringend oder mindestens kostendeckend auf den Markt zu bringen. Wir entwickeln gesellschaftliche Widerstandskraft, was aber genau die Haltung ist, mit der die Erkenntnisse, von denen wir Zeugnis ablegen wollen, gar nicht erst entstehen.

Der Weg führt nach innen und außen gleichzeitig, der Blick nach vorn und hinten, Spurensuche in Vergangenheit und Zukunft, Gegenwart als ein Moment der Passage zu dem, was noch nicht nicht mehr wirklich ist. Gabi Teichert gräbt für Alexander Kluge in der deutschen Geschichte, wir graben zusätzlich in uns und finden deutsche Geschichte, auch und sogar in der Art, wie wir graben.

Das Ergebnis ist oft die tödliche Stille, die im Herzen eines wirkli­chen Hurrikans herrscht, der nicht nur im Kino passiert, sehr langsam aber auch die nur mühsam sich der vorhandenen ästheti­schen Formen bedienende Wut, die uns ein wichtiges Indiz ist, dass das Prinzip kapitalistischer Rationalisierung, dem wir uns beim Machen zum Teil unterwerfen müssen, noch nicht von innen her Besitz von uns ergriffen hat. Der Sprung aus dem Defizit in die selbstbewusste Kreativität hat etwas Selbstmörderisches. Welch eine Kraft dazu gehört, die gesellschaftlich immer wieder von den Frauen, die Kunst machen, geforderte schizophrene Strategie durchzuhalten, darüber können Frauen Auskunft geben. Aushalten zwischen Prag­matik und Utopie. Die Geschichte von Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht, ist für Frauen eine politische Parabel, in der außen innen und innen außen ist.

Kino von Frauen lebt in und durch Widersprüche, existiert als Utopie in den unendlichen Schritten der Annäherung, ständig bedroht von den gesellschaftlichen Prozessen, die ihm das Lebenslicht ausblasen möchten, nicht nur durch aktive Feindschaft, sondern auch durch passive Verweigerung. Es geht auch heute noch nicht so sehr um die reine Wahrheit, sondern um die geringere Unwahrheit. Das Unent­wickelte, dessen Formen wir nicht kennen, nur ahnen, ist noch keine Alternative zum Bestehenden, sondern ein Defizit, aber kein Defizit zum Realen, sondern ein Defizit zum Möglichen.

Alle Schritte zur Aufhebung dieser Situation werden zu Teilen verselbständigter Strategien, falls sie nur die Stufen der Leiter hinaufführen. Und so birgt auch die wichtige Forderung nach den 5o% aller Förderungsgelder, die der Verband der Filmarbeiterinnen aufgestellt hat, die Gefahr in sich, dass wir vor lauter kleinen Schritten, mit denen wir die Leiter emporklettern, plötzlich im Bodenlosenen, nämlich im Bestehenden landen. Aber ohne diese Gefahr brauchten wir erst gar nicht anfangen zu filmen.

Dass Frauen, die so lange „hinten“ und „unten“ waren, jetzt auch „vorne“ und „oben“ sein wollen, hat etwas Verständliches, und die Autonomie muss schon sehr groß sein, um sich bei einem Teller von Süßigkeiten, der einem angeboten wird, nicht nur daran zu erinnern, dass man sich dabei den Magen verdirbt, sondern auch dem Anbieter klar zu machen, dass man das Recht auf eine ordentliche Mahlzeit hat. Welch eine Kraft ist nötig, unverschleiert Wahrheiten auszudrücken, gegen Staatsverträge der Fernsehanstalten, sittliches Empfinden von CSU-TV- Hörervereinen, auch unverschleiert von Konventionen der sanktionierten Kunst, deren Krise offenbar ist und – meistens ist das sogar das Schwierigste – unverschleiert vor sich selbst.

Auch mit einem neuen theoretischen Bewußtsein und einigen Prozessen, die ge­sellschaftliche Bastionen verunsichert haben, ist das nicht leichter geworden. Der Mut, den das erfordert, geht den autonomen weiblichen Individuen im selben Moment zu Leibe, wo er sie als autonome schafft: er zerstört sie als liebenswerte. Die Dialektik des Vorgangs – durch Zerstören Erschaffen – bezieht sich nicht nur auf eine Kultur, in der die Frauen es sich nicht gemütlich machen wollen, sollen, können, sondern auch auf sie selbst. Nie­mand ist sicher, wie die Synthese aussieht,
Eines ihrer möglichen Momente wäre es, wenn wir es uns erlauben könnten, unsere berechtigte Berührungsangst vor Worten wie Glück und Schönheit zu verlieren – nicht nur vor den Worten, sondern auch vor dem, was hinter ihnen steht.

Zuerst in: Renate Möhrmann: „Die Frau mit der Kamera.“
Zuerst in: Renate Möhrmann: „Die Frau mit der Kamera.“

Impressum       Kontakt