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Remake

von Jutta Brückner, 2018

Texte zu Frauen und Filmen
 

Jutta Brückner

Kultur und Alter

Bei dem Thema „Frauen und Kultur“ ist die erste Annäherung meist die der Partizipation, das Wechselspiel von Einbindung und Ausschließung, die Frage der Eigenständigkeit innerhalb einer Kultur, die, vom Weiblichen lebend, es verzehrend, dies verleugnend, auf es angewiesen ist wie auf das stumme, unge­nannte Opfer, das zur Sakralisierung des Manns unentbehrlich war. Diese Fragen sind seit ungefähr 20 – 25 Jahren so neu im Konzert der vielfältigen Überlegungen, die den selbstreflexiven Zusammenhang der Kultur ausmachen, dass sie im­mer erschienen als jung und revolutionär, was ja beides, wie wir wiederum aus der Geschichte der Kultur wissen, zusammengehört. Aber 25 Jahre sind auch schon wieder eine Generation und so stellt sich heute, wohl zum ersten Mal, seit Frauen ihren eigenen Platz in Geschichte und Kultur beanspruchen und suchen, die Frage des Alters. Das ist für Frauen zwar ein vertrauter Topos, aber nur als biologischer. Die Erfahrung des Zusammenhangs zwischen Kultur und Alter war ihnen bisher als der ortlosen, ungenannten, ewigen Grundlage der dem Alter ausgesetzten sichtbaren männlichen Kultur verwehrt oder blieb ihnen erspart, je nachdem, wie man es möchte. Zurückgeworfen auf das biologische Schreckgespenst des Alterns als physischem Verfall traten die schwierigen Prozes­se des Alterns innerhalb kultureller Bewegungen nicht ins Licht. Dies aber ist es, was die erste Generation der Frauenbewegung in Deutsch­land im Moment umtreibt, die Konfrontation mit sich, ihren Leistungen und Vorstellungen, der Geschichte, die sie gemacht, und in die sie mit hineingezogen wurde. Es soll hier nicht einfach um psychische Befindlichkeiten gehen, aber auch um sie, weil der Zusammenhang von Kultur­produktion und Lebensenergie etwas ist, worauf Frauen stets gepocht haben. Und der Subjektivität treu, die , wenn sie nicht eingestanden wird, verfälscht, will ich von den Er­fahrungen sprechen, die in dem Bereich meiner Arbeit, dem Film, eine Rolle spielen. Nicht ohne dem Anspruch auf Beweiskraft, denn hier sind die Ablöseprozesse der Generationen, die auch mit dem Altern von Ästhetiken zusammenhängen, viel brutaler, aber auch direkter mit dem Unbewussten einer Gesell­schaft verbunden, als in den relativ abgeschotteten Bereichen der Reflexion. Aber was als Mode beklagt werden kann, ist eben auch dies: der Unwille der neuen Generation, die Werte der älterenteren als verbindliche anzuerkennen. Wie werden die Frauen mit den kultu­rellen Ablösekämpfen der Generationen fertig? Älter werden als die euphemistische Formel für „Alt “ werden begann für Coco Chanel mit 18, für Balzac mit 30, für meine Mutter beginnt das immer 5 Jahre nach dem Alter, in dem sie gerade ist. Definitiv, so vermute ich, ist das Problem semantisch erst geregelt, wenn man über 80 Jahre alt ist. Das Gespenst des Verblüht-Seins hat heute, wo Schönheit schon längst nicht mehr mit dem Naturschönen identisch ist, einen großen Teil seines Schreckens ver­loren. Dass dadurch die in Jugend und Schönheit zu investierende Zeit explosionsartig zugenommen hat, ist auch unbestritten. Was hier heute möglich ist, hält Schritt mit den naturüberwindenden Techno­logien in jedem Bereich der Industriegesellschaft, das endgültige Scheitern der Utopie von der ewigen Jugend ebenso eingeschlossen wie das der Utopie von der unerschöpflichen Natur. Das Problem ist nicht gering zu schätzen in einer Welt, in der in fast allen Ländern der Mythos der jungen Frau ein Pfeiler des Unbewussten der Gesell­schaft (Männer und Frauen) ist. Ich weiß nicht, ob es schon einmal eine Generation von Frauen gegeben hat, für die Jugend und Alter so unvermittelt krass aufeinander trafen wie es für die heutige der 50jährigen, den sogenannten Müttern der Frauenbewegung zutrifft. Dieser Generation sind die Entwicklungslinien der bürgerlichen Biografie durcheinander geraten. Die eigenliche Pubertät, der Eintritt in die Gesell­schaft fand in den 60er Jahren im Alter von 30 statt als Protest und Absage an die biologische Pubertät, die nichts anderes gewesen war als die Entlassung in den Rollenzwang. Diese revolutionäre Umkehrung von Entwick­lungslinien in einem Alter, in dem , laut oben zitiertem Balzac die Frauen ihre Reife erreicht haben, das Innehalten im Strom der Zeit und die Erfahrung, dass er umkehrbar war, waren-ein rauschhaftes Hochgefühl. Nicht nur die vielen neuen Lebensentwürfe, die daraus hervorgingen, sondern stärker noch das tiefe Gefühl der Befriedigung, dass die Zeit als Schicksal keine Macht mehr sei, und der Glaube so etwas sei ständig wiederholbar, es gebe keine naturhaften biologischen Zwangsläufigkeiten mehr, der kulturelle Wille obsiege und die geistige Jugend ewig, führten zu diesem Rausch an der Realität. Was hier und in dem damals mit Überzeugung ausgesprochenen Satz „Alle Frauen sind schön“ enthalten war, war eine tiefe Sehnsucht nach einer egalitären Gesellschaft, Das Wort „egalitär“ nicht verstanden als Chancengleichheit, sondern als endgültige Bezwingung der Macht des Schicksals und des Leidens an der Ordnung der Gesellschaft. Die politische Lektion, die damals, wenigstens in Ansätzen gelernt wurde, hieß: alle Zwänge sind aufhebbar durch politischen Willen. Natürlich lacht man später immer über die Naivitäten von gestern. Aber Naivitäten haben ja auch Kraft. In den Filmen, die Frauen damals gemacht haben, ist das zu finden, aus dem Abstand wahrscheinlich noch deutlicher spürbar. Denn es gehörte Kraft dazu, den Anspruch auf Wahrheit als „Unverstelltheit“ sogar im Rahmen des damals noch 3excistierenden Autorenfilms öffentlich zu vertreten,. Die Absage an die ästhetischen Konventionen, die as Kino in seiner vor allem durch Hollywood geprägten Geschichte erfahren hatte, kam aus der Überzeugung, dass, wenn es um die Wirklichkeit ginge, immer ein Schleier zerrissen werden müsse und dass Frauen dazu nicht nur das Recht, sondern auch die Pflichte hätten, Die Wut, mit der im öffentliche Raum jeder List, die doch für Frauen durch Jahrhunderte Teil des Überlebenstrainings und der Machtstrategien gewesen war, eine Absage erteilt wurde, führte zum radikalen Bezug auf Subjektives, Erlebtes als dem einzigen Garanten für die Wirklichkeit. Eine so begriffene Wahrheit konnte durch komplexe ästhetische Codierungen nicht „wahrer“ werden, weil die Nacktheit und nicht die gestylten Bodies ein Teil ihres ästhetischen Credos war. Wenn aber nur aus dem Leben ein Stoff zu gewinnen ist, wenn die Macherin immer auch die Erleidende ist, dann schlägt sich das auf den Ton von Filmen nieder, die aus der munteren Sicht des „Ich will Spaß“ als larmoyant angesehen werden. Von heute sind die Verengungen des Realitätskonzeptes der damaligen Frauen­filme deutlicher zu sehen. Es war kein Platz in ihnen für Faszination und Rausch, die aus der Schaulust kommen und Momente zum Ausdruck bringen, die auch Frauen Seiten ihrer selbst enthüllen, die unter dem strengen Diktat der Bild­askese und der Absage an alle Maskerade so verhüllt blieben wie die Nacktheit im Nudisten-Camp zur gesellschaftlichen Attitüde wird. Und dieses tiefe Misstrauen gegenüber dem Dispositif „Kino“ und dem „männlichen“ Lebensgefühl, das mit ihm verbunden war, machte diese Filme damals aufregend radikal und heute altmodisch. Diese Epoche ist abgeschlossen und damit beginnt das Debakel. Die Zeit ist schneller gealtert als diese Generation, „wir“, aber „wir“ sind es auch. Schon dieses „wir“ hat etwas Unzeitgemäßes, ein letzter Rest, ein Gemeinschaftsgefühl gegen Tod und Teufel. Das radikale Bezug auf die Subjektivität, die öffentliche Katharsis sind nur noch peinlich, das Schamgefühl vieler, auch vieler junger Frauen reagiert gereizt, vielleicht sogar auf diesen maßlos narzisstischen Anspruch, der mit radikaler Subjektivität immer verbunden ist. Und dies um so mehr, wenn die Kunst nicht als hermetisches System gesehen wird, sondern den engen Bezug zum Leben sucht. Die heutige Zeit geht da eher auf Distanz und legt sich im Gegensatz zur vorigen im privaten Narzissmus keine Zügel mehr an. Der Vorwurf der Larmoyanz trifft zwar nichts Richtiges, kommt aber aus dem richtigen Gefühl, dass es auch ein großes Stück gesellschaftlichen Fortschritt bedeutet, wenn für die jungen modernen Frauen eine Regelkarriere möglich geworden ist mit dem beruflichen Aufstieg bis 35, dann spätestens das Kind, oft als allein erziehende Mutter, das Kind vielleicht sogar aus Laborsamen erzeugt. Und dem dann allerdings folgenden Balanceakt zwischen Karriere und Erziehung. Hier holt eine meist mickrige Realität dann doch wieder zum Würgegriff aus. Das heftige Verlangen, cool, ironisch, voll der Situation gewachsen, die biografische Planung im Griff zu haben, ist auch ein Protest gegen das Schicksal meiner Generation, der eine normale Individualität nicht möglich wart und es immer das Außergewöhnliche hatte sein müssen. Der Auf- und dann Ausbruch, wenn eigene Vorstellungen überhaupt denkbar und dann lebbar sein sollten, das Leiden, in dem sich der biografische Trotz durchsetzte, meist inbegriffen. Und dass dieses Leiden an der Wirklichkeit zur öffentlichen Angelegenheit erklärt worden war, war gerade das ungeheuer Fortschrittliche gewesen. In verwalteten Feminismus von heute mit seinen Gleichstellungsstellen und Frauenförderplänen gibt es viel Frust, das ist erlebbar und möglicherweise auch Leiden, aber das ist wieder zur rein privaten Angelegenheit geworden. Und dafür gibt es als Erlebnisform nur die Therapie. Oder das „Kino“. Meine Generation sprach ungern vom „Kino“, wir sprachen von Filmen. „Kino“ war uns zu nah an „Traumfabrik“. Aber Traum ist auch Albtraum und die neu erwachte Liebe zu den Genreformen, in denen Häppchen von Realität, Thrill, Action und Suspense gemischt werden, identifiziert den Alltag wieder als psychopathologisch. Das kann man, vielleicht muss man es als Verlust von Utopie sehen. Nur: wir haben ja gerade erlebt, was mit Utopien passiert, wenn sie zum Sakrament werden. Und in diesem Falle gibt es kein Politbüro, das man anklagen könnte. Fakt ist, dass Filme, wie Frauen sie heute lieben, inzwischen wieder sehr oft, fast ausschließlich von Männern gemacht werden, wie das zur Zeit der „womens movies“ schon mal der Fall war. Sie haben ihren legitimen Platz im System des gewandelten Hoollywood. Natürlich sind die Filme von heute keine einfache Neuauflage der damaligen womens movies, denn über die melodramatisch Stabilisierung von Verzichtformen, die noch so einfache Gegensätze wie Kind oder Karriere kannten, sind wir natürlich hinaus. Sind wir es wirklich? Man höre einmal, wie junge Frauen über „Fatal attraction“ reden. Die feministischen Schlagworte sind bekannt, aber die analytischen Fähigkeiten zur Filmanalyse, die nötig wären, um in diesem subtilen Gespinst nicht einfach malgré soi doch an das Falsche zu glauben, nicht vorhanden. Das „Kino“ ist nicht nur talentierter als die Filmer (Chris Marker), es ist auch raffinierter als die Zuschauer. Vielleicht ist die Zeit, in der die Ästhetik die in Text und Plot verkündete Botschaft unterminiert, wie es damals oft bei den womens movies oft der Fall war, wieder gekommen. Da kann einem schon der Gedanke kommen, dass das Beharren auf der Darstellung von Realität im Film zu früh abgebrochen worden ist. Die „Kategorie“ der Reife setzt eine Harmonie von biologischem und gesellschaftlichem Schicksal voraus. Das war für Frauen bisher nicht möglich. Der Zustand der „unwürdigen Greisin“ ist zwar noch eine Weile entfernt, aber trotzdem kann man davon ausgehen, dass es für Frauen nie eine richtige Zeit des unproblematischen Umgehens mit der eigenen Biografie geben wird. Den pubertären Schüben mit Anexorie und Bulimie folgen die Zweifel über das richtige Alter für Kind und (oder) Karriere und mit fortschreitendem Alter die Angst davor, von dem Mann seines Lebens in die Konkurrenz mit einer Zwanzigjährigen gezwungen zu werden, wie es für alternde Männer eine ganz große Versuchung ist. Und so müssen die Frauen, die mit 30 aufgebrochen sind, im Augenblick ein neues Kapitel schreiben oder einen neuen Film machen darüber, wie es sich mit 50 lebt, wenn der Modernisierungsschub, dem viele Männer sich im Alter unterziehen können mit ganz neuen, ganz jungen Frauen und kleinen Kindern, ausbleibt oder von ihnen selbst erfunden werden muss. Und dies in einem „Kino“ zu zeigen, dem Bilderwahrhaftigkeit nichts Anachronistisches oder Peinliches ist und das sich nicht , wie in den letzten Jahren, derart hartnäckig fast jedem ästhetischen Wagnis verschließt. Dabei gäbe es für uns selbst etwas zu entdecken, nämlich, was denn feministisches Kino sein könnte über die einzelnen Filme hinaus.

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