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Der sog. „Frauenfilm“ hat heute keine gute Presse. Genauer: „Filme von Frauen“, sofern sie sich als solche zu erkennen geben und die Filmemacherin nicht durch Verschwiegenheit darauf besteht, dass es keinen Unterschied mache, dass sie eine Frau sei, existieren in der Öffentlichkeit nicht mehr. Gerade einmal, dass anlässlich eines Buches einer amerikanischen Germanistin über die Filme von deutschen Frauen ein Verriss erscheint, (geschrieben von einer Frau), in dem es überhaupt nicht um das Buch und seine Schwächen geht, sondern nur erleichtert festgestellt wird, dass diese Verirrung, mit der deutsche Filmemacherinnen sich in ein Ghetto hineinbegeben hätten, inzwischen von einer jüngeren Generation, dem Himmel sei Dank, erkannt und revidiert worden sei. Etwas ist in die Nichtexistenz gefallen, was noch vor 12 – 15 Jahren im Ausland als eine der wichtigen künstlerischen Bewegungen des deutschen Kinos gefeiert wurde und auch heute noch als solche angesehen wird.
Nun weiß man, dass Ästhetiken altern und das ist sicher auch eines der Probleme des sog. Frauenfilms. Aber verdächtig ist schon die radikale Erleichterung, mit der dieses Projekt und die, die es vertreten haben, fallengelassen wurden wie eine heiße Kartoffel. Zwar war das Verhältnis zwischen der allgemeinen Kritik und den Filmen von Frauen von jeher schwierig und zwiespältig und vielen Bemühungen sah man oft nur das schlechte Gewissen und nicht die intensive Beschäftigung an. Und so ist auch die große Erleichterung wohl erst einmal der Tatsache geschuldet, dass wieder zu seinem Recht kommt, was bei der ästhetischen Betrachtung immer einfachstes Kriterium ist: der Geschmack, von dem man aber inzwischen auch weiß, dass er Derivat geschichtlicher Prozesse ist, die allemal männliche Standards geschaffen und bedient haben.
Man weiß auch, dass das Profil des Kritikers sich geändert hat und er im Extremfall zum PR-Menschen mutiert ist und dass auch Film heute nicht mehr über einen Kulturzusammenhang, sondern fast nur noch über den Markt definiert wird. In Kontrast dazu steht der relative Reichtum der akademischen Beschäftigung mit feministischer Filmkritik, ohne die heute Filmtheorie überhaupt nicht mehr zu denken ist und entscheidend anders aussähe, als sie es tut. Aber in Deutschland wird diese feministische Filmwissenschaft von der allgemeinen Filmkritik nicht zur Kenntnis genommen und ihre Kriterien fließen nicht in die kritische Rezeption ein. So dass trotz der unterschiedlichen Situation von feministischem Film und feministischer Filmkritik die Nichtexistenz in der Öffentlichkeit für beide notorisch ist. Und das in einer Zeit, wo die Etablierung von Frauenförderplänen und die Diskussion von Grundrechtsänderungen, die der geänderten Rolle von Frauen Rechnung tragen, in der öffentlichen Diskussion durchaus eine Rolle spielen. Auch in den anderen Künsten herrscht bei weitem nicht eine solche Feindschaft gegenüber feministischen Kunstkriterien wie ausgerechnet beim Film, wo das aggressive Verschweigen einen Hass offenbart, der zum Teil schon pathologische Züge annimmt.
Es gibt ein paar Gründe, warum das so ist.
1.) Der Film als Markenartikel.
Die kleinen schmutzigen Filme, die unter anderem einst Credo des Neuen deutschen Films waren, sind abgelöst von denen, denen man die production values ansehen soll. Nicht durch Schönheit, Intelligenz oder Wahrhaftigkeit sollen sie sich auszeichnen, sondern durch die Farbe des Geldes. Spontanes, Unfertiges, schnell Gemachtes, Offenes hat noch nicht einmal im Kleinformat heute eine Chance. In Zeiten der Depression rutschen die Säume und es wächst offensichtlich die Sehnsucht nach der geschlossenen Form, die Sicherheit vorspiegelt, auch wenn sie es nur noch in der Form von Gewaltlösungen kann.
Damit hängt auch zusammen, dass die Vermischung des dokumentarischen und des fiktiven Gestus, eine der wichtigsten ästhetischen Formen des deutschen Autorenfilms, heute nicht mehr dem ästhetischen Zeitgeist entspricht. Eine Zeitlang kam beides zusammen, um etwas zu ermöglichen, das „as real as life“ war. Der Spielfilm muss heute „bigger than life“ sein und Anlass geben zu den Formen schwärmerischer Nähe in der Distanz wie es nur zwischen dem Schatten auf der Leinwand und dem überlebensgroßen Kopf im Parkett möglich ist. Und das heißt auch, in den Erkenntnissen der feministischen Filmwissenschaft formuliert: Spielfilm muss heute wieder fetischisieren. Und das tut er um so wirkungsvoller, als er Momente der neuen Lebensrealität von jungen Frauen in sich aufgenommen hat. So sind die erfolgreichsten „Frauenfilme“ heute Genrefilme, die von Männern über Frauen gemacht werden, wie es in der Geschichte in den 30er und 40er Jahren in Hollywood mit dem Genre der „womens movies“ schon einmal der Fall war. Regisseurinnen machen da leicht einen „Fehler“. Sie ziehen Glamour und Sexualität ab, zumindest stellen sie sie in einen Zusammenhang, in dem klar wird, welches Maß an Arbeit und Unruhe daristeckt. Das ist aber immer eine Ent-täuschung, auch für Frauen. Die wiedererwachte Liebe zu den Genreformen ist auch und gerade auch für feministische Frauen so verführerisch, weil die feministische Filmwissenschaft ihnen hier die Regeln der Decodierung des Blicks vermittelt hat und ein versteckter Genuss sich hier mit denkerischer Kompetenz paaren kann. Ich glaube aber, dass die Souveränität gegenüber den filmischen Verführungskünsten oft nur eine scheinbare ist. Es gilt wohl wieder oder immer noch der Satz: „Das Kino ist klüger als die Filme“. Und es gilt auch, dass die feministische Filmwissenschaft ihre Kriterien erarbeitet hat in Auseinandersetzung mit den Filmen von Männern, die Bestandteil der Industrie und meistens Genrefilme waren und deshalb bleibt auch für sie der andere Blick, den Filme von Frauen oft haben, eine Mühsal.
2.) Die Sehnsucht nach Naivität
Das, was Frauen sich hier nur in der Gespaltenheit von Genuss und Wissen erlauben können, die im dunklen Kinoraum wieder für die Länge eines Films zusammengeführt werden, können Männer sich einfacher beschaffen. Bei ihnen nimmt es, durchaus unterschiedlich für verschiedene Schulen, die Form des Wunsches nach Naivität an. Dazu gehört eine Spielart von Filmkritik, in der erwachsene Männer, oft Wissenschaftler an deutschen Universitäten, sich gegen jeden Versuch, Film als zur Kunst gehörig zu begreifen, wehren, weil das Kino Ort des Naiven sei, aus dem man (Mann) mit geröteten Augen herausstolpert. Wenn diese Haltung dann auch noch gegen Videorecorder polemisiert, die das Kino verfügbar machten, deshalb abzulehnen seien und diese Ansicht dann „keusch“ genannt wird, dann ist klar, dass diese „Revolte gegen die Kolonisierung des Kinos“ mit der Kolonisierung der Frau erkauft wird, wie der kolonialistische Blick in seinem Objekt immer die unverfälschte Natur sah. Diese Haltung des leidenschaftlichen Liebhabers, der nicht nur das Kino als Ort der Fetischisierung liebt, sondern das Kino gleich ganz fetischisiert, ist vor allen Dingen anzutreffen bei Literaturwissenschaftlern, die mit avantgardistischen Texten hantieren und sich selbst bestätigen „avancierte Kader“ zu sein. Das Problem ist, dass das vitale Erleben, das aus allen Künsten ausgewandert ist, nun mit Macht nicht nur im Kino etabliert werden muss, das sich ja dafür auch anbietet, sondern gleich, wie gute Kolonisatoren und Dogmatiker es sehen, das Kino in seinem Wesen bestimmen soll.
Diese etwas platt essentialistische Kinometaphysik hat scheinbar mit einer differenzierteren filmkritischen Position wenig zu tun, der es vor allem um die unter dem Zivilisationsmüll begrabene Fähigkeit zur Wahrnehmung ist. Dieser Schule geht es um den Traum vom richtigen Leben, der zur Voraussetzung hat, Hören und Sehen wieder neu zu lernen, ein sehr deutscher und romantischer Gedanke, mit dem Frauen schon deshalb Schwierigkeiten haben, weil sie wissen, dass vor allem das Sehen und Wahrnehmen nichts „Natürliches“ ist, sondern eine geschichtliche Erfahrung, die für die beiden Geschlechter durchaus anders verlaufen ist und an deren Anfang kein paradiesischer Naturzustand stand. Ganz gleich aber, ob diese Naivität in früheren Zeiten vermutet ist und ihr Schwinden beklagt wird, oder ob sie vom heutigen Kino in seinen populären Formen abgefordert wird, in jedem Falle geht es um einen Naturzustand des richtigen Erlebens, der gegen Veränderungen verteidigt werden muss, wie sie von Frauen in die Debatte gebracht werden, die ja um viele Begriffe und Konzepte streiten können, aber nicht um die Geschichtlichkeit unserer Wahrnehmung.
3.) Die Kontrolle über die gesamte Realität.
Der Eintritt in die kulturelle Ordnung musste von den Frauen oft mit dem Eigenopfer bezahlt werden. Wir kennen das von Sylvia Plath, Virginia Wolf, Ingeborg Bachmann und Anderen. Jenseits aller sehr persönlich-biografischen Gründe gibt es etwas Gemeinsames: die Gesellschaft war nicht gerüstet dafür, dass das Unbewusste von Frauen nicht nur gelebt, sondern auch definiert wurde. Daran hat sich inzwischen Einiges geändert und es kann geschrieben werden, dass mehr als die Hälfte der wichtigen Neuerscheinungen des Buchmarktes von Frauen stammen. Auch hier gibt es aber eine Verengung der Möglichkeiten für Frauen, die Filme machen wollen. Im Film kommen zwei Herzstücke der modernen Welt zusammen: das Geld (= die Macht) und der Traum (= das Unbewusste). Beides zusammen kurzzuschließen und den Frauen zugänglich zu machen, würde bedeuten, dass die Form unserer patriarchalischen Kultur sich wirklich radikal wandelt, weil die Männer die Kontrolle über die Verbindung von außen und innen aufgeben würden. Es ist deshalb auch nicht unbedingt ein Zufall, dass in Deutschland der Bewegung des „Frauenfilms“ in dem Moment das Lebenslicht ausgeblasen wurde, als die Frauen sich anschickten, ihre Low-Budget-Reservate zu verlassen und ihre Produkte da anzusiedeln, wo die ihrer männlichen Kollegen schon seit langer Zeit waren: beim großen, oder zumindest beim größeren Geld. Dass Frauen einen Teil an der Kontrolle über den Austausch der Waren und der Gefühle übernehmen könnten, ist offensichtlich ein tief ängstigender Gedanke. Die neuerwachte Liebe zu den Schauspielerinnen ist deshalb auch nicht nur eine Wiedergutmachung für die sträfliche Vernachlässigung, die man ihnen in der Zeit des Autorenfilms ebenso angetan hat wie nicht wenige Jahre in Hollywood, wo es nur Rollen für männliche Stars zu geben schien. Es ist auch die Erleichterung darüber, dass die Frauen das Unbewusste jetzt nicht mehr kontrollieren, sondern wieder verkörpern, wie sie es in der Geschichte des Kinos immer gemacht haben. Der Gestus ist nostalgisch, oft reaktionär. Er konnotiert die Frau sowohl mit der Intimität wie mit dem Mysterium, und je bedrohter die Intimität, desto heftiger das Bestehen darauf, dass das Weibliche unerklärlich sei. Diese Wiederaufnahme eines Gedankens der Romantik ist die rigideste Möglichkeit, Frauen wieder unter Kontrolle zu bringen, indem man ihnen versichert, dass sie ja in der Unfassbarkeit ihres Wesens jeder Kontrolle entschlüpfen, aber auch nicht versuchen sollten, etwa für sich selbst andere Definitionen zu suchen.
4.) „Frauen traut man einen Film zu, aber kein filmisches Werk.“
Dieser Satz paraphrasiert einen Ausspruch von Elfriede Jelinek. Er gilt für alle Kulturbereiche, aber, wie immer, wenn es um einen Vergleich zwischen den unterschiedlichen Künsten geht, beim Film besonders. Zwar trifft die Nichtbeachtung des ästhetischen oder stilistischen Zusammenhangs, der für seine Entwicklung Zeit braucht, alle in der Kultur arbeitenden Frauen. Die Werkkategorie als ästhetischer Ausdruck einer Persönlichkeit ist offensichtlich auf Frauen zu Lebzeiten nicht anwendbar, weil das Dreieck Kunst-Frau-Identität nicht aufgehen darf. Vielleicht steht hinter dieser scheinbaren Unmöglichkeit auch immer noch die Vorstellung von der Frau als sich verströmendem Naturstoff. Es gibt trotz aller Schwierigkeiten Frauen in der Kunst, denen man ein Werk zutraut. Mit wenigen Ausnahme sind das aber Frauen, die ihre Leistungen individuell, d.h. nicht in Verbindung mit der politischen und ästhetischen Bewegung der Frauen der 70er Jahre gemacht haben und deshalb auch nicht in den unangenehmen Verdacht des Feminismus geraten sind.
Für den Film kommt erschwerend hinzu, dass seine Nähe zu Geld und Macht ohnehin seine Bestimmung als ästhetisches Objekt verunklart. Dort wo das Geld knapp ist und die Knaben, die an der Quelle sitzen etwas gegen die Mädchen haben, die sich daransetzen wollen (frei nach Brecht), kommt es oft gar nicht oder nicht schnell genug zum sog. „Werk“, weil unsere Gremien mit der Gewährung oder Vorenthaltung von Produktionsgeldern die Entscheidung über die Existenz eines Werks in der Hand haben. Es ist in diesem Bereich viel schwieriger, eine Kontinuität herzustellen, die als Werk erkennbar ist, denn man kann eben nicht, so wie man mit äußerstem Trotz jahrelang für die Schublade malen oder schreiben kann, für die Schublade filmen. Weil aber Frauen so schwer in die Nähe der Werkkategorie kommen, die ja jedem einzelnen Film eine gewisse Bedeutung auch jenseits des Gelingens oder Scheiterns zuweist, stehen sie mit jedem Film von neuem auf dem Prüfstand, ob sie das Außerordentliche gewagt und bewiesen haben. Denn weniger darf es nicht sein. Nur das Außerordentliche legitimiert ihren Wunsch, ihre Stimme in der kulturellen Öffentlichkeit zu erheben. Um diese Selbstverständlichkeit der kulturellen Präsenz mussten Frauen immer kämpfen. Dass die ästhetische Revolte in Permanenz nicht durchzuhalten ist und schon gar nicht in einem so kapitalsensiblen Bereich wie dem Kino, ist einsehbar. Aber kompliziert wird die Sache erst dadurch, dass der revoltierende Grundgestus sich nur durch die einzelnen Werke legitimiert, die ihn erklären. Circulus vitiosus.
5.) Die Frauen des sog, Frauenfilms werden nicht als Individuen wahrgenommen.
In den anderen Künsten war die Durchsetzung eines nicht politisch gestützten Zugangs zu den Produktionsmitteln vereinzelt möglich. Beim Film, dieser Industrie als Kunst, waren die Macht- und Geldpositionen so fest in männlicher Hand, dass es einer einzelnen unmöglich gewesen wäre, die Regiepositionen zu erobern, hätte nicht der Anspruch der Frauen als politischer Gruppe dahintergestanden.
Auch die Frauen, die gar nicht oder nur sehr lose mit der Frauenbewegung verbunden waren, haben durch die Aufmerksamkeit, die dem politischen Phänomen der allgemeineren Revolte zuteilwurde, gewaltig davon profitiert. Das hat aber in dem Moment, wo der „Frauenfilm“ in eine Krise kam, bedeutet, dass die Identität der einzelnen zusammen mit dem Gruppenphänomen abgeschafft wurde.
Obwohl filmende Frauen von Anfang an immer die Zusammengehörigkeit von Form und Inhalt betont haben („keinen neuen Wein in alte Schläuche“), wurden sie von Anfang an und verstärkt heute zwischen den beiden Polen auseinandergerissen. Sie wurden von der Kunst wahrgenomen als feministische Politik, d.h. keiner ästhetischen Betrachtung würdig befunden, und von der Politik, wenn sie für deren frauenpolitische Ziele nicht einzuspannen waren, sondern auf der Autonomie der Form bestanden, als hermetisch oder – wenn es aggressiv formuliert wird – „publikumsverachtend“. Hier zeigt sich das Problem, dass das unabhängige politische Kino nicht mehr existiert. Und hier beginnt auch die Schere, die sich im Laufe der Institutionalisierung von Frauenförderplänen und ähnlichen politischen Maßnahmen in zunehmendem Maße auftut: der Zwang, dass Filme von Frauen sich immer zu aktuellen Fragestellungen der Frauenpolitik äußern und verhalten sollen und das auf dem Niveau des Bewusstseins aller Frauen, sonst droht der Rausschmiss in die „Kunst“, wo die Tür verschlossen ist wegen Verdachts auf Feminismus. Und hier, in der Kunst, sind dann, aus lauter Angst, in etwas zu verfallen, was den früheren feministischen Filmen als Klage oder sogar als Larmoyanz zugeschrieben wird, die Frauen alle schön, stark und selbstbewusst. Dieser „Positivismus“, der wohl direkt aus dem sozialistischen Realismus herübergerettet wurde, suggeriert, dass die Probleme nur etwas mit den Frauen selbst zu tun haben. Haben sie erst die richtige Einstellung zu sich, gibt es keine Probleme mehr.
6.) Der Mythos vom jungen Genie.
Das junge Genie, das sich durch aggressive und kulturschänderische Akte den Weg in die Reihen der Vätergeneration bahnt, ist ein vertrauter kultureller Topos. Für diese Art von Revolte als kulturellem Initiationsritus steht eine anerkannte soziale Form zur Verfügung. Es ist der rituelle Mord an den kulturellen Vätern, den man von den Söhnen erwartet. Mit hoher Aufmerksamkeit werden ihre Akte registriert, egal, ob es sich um Publikumsbeschimpfungen, sprachlos-stampfende Gewaltorgien oder Selbststilisierungen zum Heiland mit Dornenkrone handelt. Diese Revolten folgen alle einem bekannten Muster und haben für eine dann auch junge Kritikergeneration hohen Identifikationswert. Sie erlauben, sich als Königsmacher zu profilieren. Dass dies alles durch die augenblickliche Stimmung in Deutschland und die Krise von Presse und Kulturgeschäft noch verstärkt wird, kann hier unberücksichtigt bleiben, weil der Mechanismus selbst zeitloser ist. Wichtig ist, dass in jedem Fall, obwohl es sich um eine soziale Form handelt, das Individuum sich ihrer bedient und als Individuum seine künstlerische Anerkennung erreicht, denn die Kultur dient den Männern als Spiegel und sie liebt sie als ihr Ebenbild.
Eine erste Generation von Filmacherinnen hat sich in der Gruppenidentifikation und über den Weg der politischen Revolte einen eigenen Zugang zur Kultur geschaffen. Hier ging es aber keinesfalls um rituellen Mord an kulturellen Müttern, sondern eher um die Klage und Suche, dass kulturelle Mütter nicht vorhanden waren. Die Produktonsmetapher war nicht der Mord, sondern die Grabplünderung. Aber das Grab war leer. Eine darauffolgende junge Generation von Frauen steht nun vor der Schwierigkeit, sich mit kulturellen Müttern konfrontieren zu müssen, die, wenn man den männlichen Initiationsritus übernehmen würde, einem Muttermord zum Opfer fallen müssten. Damit müssen aber auch die emanzipatorischen Ansätze, von denen diese jungen Frauen selbst auch zehren, verneint werden. Die kulturschänderischen Akte, die den jungen Männern so leichtfallen, sind, nicht aus Mangel an Begabung oder Selbstvertrauen, sondern aus den unserer Kultur inhärenten Gründen, für die jungen Frauen schwer. Die soziale Figur eines Initiationsritus, der die weibliche Generationenfolge in der Kultur regelt, gibt es noch nicht. Die kulturelle Ablösung von den Müttern ist genau so wenig geklärt wie die Individuelle. Oft findet sich diese Ablösung deshalb in der unreflektierten Übernahme der männlichen Verachtung gegenüber dem Feminismus, wobei auch durch die Identifikation mit der Macht das immer noch bestehende Machtdefizit ausgeglichen werden soll. Denn die Ersetzung der Differenz durch Differenzen mag zwar theoretisch richtig sein, ist aber auch nicht leichter zu leben.
7.) Die Krise der männlichen Identität
Gesellschaftliche Krisen sind ja nicht einfach Störungen, die die Gesellschaft wie einen Fieberanfall übersteht, sondern sie können ja auch die Form des neurotischen Komplexes haben, der Auskunft über ein ungelöstes Problem gibt. Thomas Manns Wort von der machtgeschützten Innerlichkeit hat heute und gerade in den Reihen einer bestimmten männlichen Filmkritik eine neue Ausprägung gefunden: es ist ein apodiktischer Sensibilismus, der seine Beschwörung in Kommandosätzen formuliert. Bei einigen verbindet er sich mit Zynismus, was um so bequemer ist, weil der Zyniker nie etwas beweisen muss. Bei den Anderen mit einem nostalgischen Nihilismus. Das hat auch etwas damit zu tun, dass der „moderne Typ“ heute nicht die emanzipierte junge Frau ist, sondern der junge Mann, der einen autoritären Narzissmus pflegt. Ging und geht es in vielen Diskussionen und auch Filmen von Frauen um das ungelöste Problem der weiblichen Identität als Teil einer wenigstens in Ansätzen erfolgten Kulturrevolte, so hat sich das Problem inzwischen verschoben. Die Krise ist längst die der männlichen Identität. Aber sie wird nicht offengelegt, sondern in der autoritären Selbstvergewisserung verleugnet. Die Renaissance der Gewalt, die sicher auf viele Faktoren zurückzuführen ist, hat aber auch diesen Vater. Der Mann hat gelernt, an die Stelle der Frage den herrischen Gestus zu setzen, der keine Diskussion erlaubt und keine Kriterien kennt als die Vergewisserung der eigenen Macht. Damit wird gerade von denen, die sich selbst als die „avancierten Kader“ beschreiben, in Deutschland Filmkritik betrieben auf eine Weise, die oft die Denunziation streift.
Damit ist ja übrigens auch die allgemeine Krise des Feuilletons beschrieben. Es gibt da eine unheilige Allianz zwischen dem, was auf den Straßen geschieht und dem, was im Feuilleton zu lesen ist, und zwar gerade nicht in der einfachen Übereinstimmung von Ideologie, aber in Anmaßung und herrischer Attitüde. So beschäftigen sowohl auf den Straßen wie im Feuilleton die jungen Männer die Gesellschaft mit ihrem gewalttätigen Identitätsproblem, das die Gesellschaft, wie sie es gewöhnt ist, als ihr eigenes akzeptiert.
Ich fände es einmal interessant zu untersuchen, wie weit Zyklentheorien, die die wirtschaftlichen und sozialen Schwankungen der Gesellschaft untersuchen, die Stellung der Frau in der Gesellschaft berücksichtigen. Meine Hypothese, die sich vorerst nur auf Vermutungen stützt, ist folgende: Es ist nicht so, wie es heute bei steigender Rezession vermutet wird, dass nur eine relativ luxuriöse Gesellschaft sich die Freiheit der Frauen und die Aufmerksamkeit auf ihre Vorstellungen leisten kann. Es ist im Gegenteil genau umgekehrt: wenn die Freiheit der Frauen droht, schlägt die Gesellschaft mit Rezession zurück. Zugespitzt, sicher! Aber auch ganz falsch?
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