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Remake

von Jutta Brückner, 2018

Texte zu Frauen und Filmen
 

Jutta Brückner

Marleen Gorris: „Die gekaufte Frau“

Eine Reinemachefrau säubert am Morgen das Bordell. Sichtlich ekelt sie sich vor den blutigen Laken, den Präservativen, dem vollgekotzten Waschbecken. Doch sie ar­beitet ohne Handschuhe. Vor den oralen Exkrementen stehend sagt sie, monologi­sierend, also zum Zuschauer, was jeder Zu­schauer im Moment eh schon empfindet: „Wie eklig“.
Damit sind zwei Ansätze des Films von Marleen Gorris benannt: der Zugriff auf ihr Thema als ein Griff, hinter dem das freudsche „delire de toucher“ kaum ver­borgen bleibt. Der Film nähert sich seinem Gegenstand wie die Putzfrau, er räumt die Ekelreste dessen weg, was als Exkremente einer patriarchalischen Gesellschaft diese zum Zerrbild macht. Die filmische Argu­mentation verhält sich an vielen Stellen aber auch wie diese Putzfrau: Überdeutlich betont sie zusätzlich, was eh schon deutlich war. Damit verästelt und differenziert sie aber nicht ihren Blick auf das Geschehen, sondern zielt visuell auf die Magennerven, akustisch arbeitet sie auf das Einverständ­nis der Empörung hin.

Überführt wird in der Erzählung (in bunten Farben, aber dramaturgisch grellen Schwarz-weiß-Effekten) das Bordell „hap­py house“ als der mythische Ort des Begeh­rens, wo Frauen frei zirkulieren, in eine ebenso mythische Hölle. In einer parallel dazu geführten Handlung überfällt ein lan­ge anonym bleibender Bürokrat Hausfrau­en, die er langsam in einem Keller unter Demütigungen in Schmutz und Schweigen umkommen lässt. Die Orte bezeichnen konkret, worum es metaphorisch geht: um das Gehäuse der bürgerlich-patriarcha­lischen Gesellschaft, um deren Leichen im Keller unter dem vermeintlichen Glück der Beletage. Die Frauen bezahlen die Zeche der Geschichte. Am Ende, wenn die beiden Handlungsstränge zusammengeführt wer­den. wenn das letzte Opfer vom Mörder in den Fluss geworfen wurde und ausgerechnet er, der ein geschätzter, weil zuverlässiger Kunde des Bordells ist, eine im Bordell überfallene und grausam zugerichtete Frau ins Krankenhaus gefahren hat, spricht eine andere der Frauen es aus: „Die Hausfrauen sind auch nicht sicherer als wir.“

In diesem Vergleich bedient der Film sich eines Ansatzes der Frauenbewegung, den er aber sofort weiterdenkt. Es geht ihm nicht um den Grad an Be­wusstsein über die eigene Existenz. Denn auf jede Art von männlicher Gewalttätigkeit vorbereitet, gibt es in „happy house“ einen Revolver, mit dem eine Frau den Mörder jetzt in die Flucht schlägt. So wird Bordell zum Ort der Initiation in den Widerstand. Das Übermaß an Leid und Schmutz reinigt von allen Zweifeln, ob die (Männer-)Welt vielleicht doch etwas ande­res ist als grundsätzlich verderbt. Der Zug in die Hölle verunstaltet nicht, er be­freit. Verloren ist nur die, die in dieser Gesellschaft nicht mit dem Äußersten an Brutalität, Unterdrückung und Sadismus rechnet. Hier zeigt sich, dass das „delire de toucher“ Grundlage einer purgatorischen Moral ist, in der eine Reihe von Frauen geopfert werden müssen, damit die Heldin zur Einsicht und zur Liebe zu einer anderen Frau gelangt. „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.“ – „Der Diamant wird im Feuer gehärtet.“ Geläutert verlassen die beiden Frauen in verdeckter Liebe zuein­ander das Bordell. Happy end auf dem Rücken mehrerer Leichen.

Da es hier nicht ums Geschichtenerzählen geht, sondern um nichts weniger als die feministische Bildungsreise, während derer sich der Zustand der Welt enthüllt, ist Un­mut über fehlende Motivierung, Differenzierung, das Ausbleiben von psychologi­schen Kurven oder der Ärger darüber, dass die Männer nur als Schablonen besonders ekelerregender Körperlichkeit oder sadisti­scher Bösartigkeit auftauchen, fehl am Platz. Nun sorgt der Film aber selbst durch die Fülle von lose herumliegenden Versatz­stücken dafür, dass man ihm auf die Leimru­ten der realistischen Erzählweise geht. Hier sind filmisch seine größten Schwächen. Ko­lorit von Wahrscheinlichkeit wird auf Si­tuationen gepappt. Aber Gespräche über Kirschkuchenrezepte und Urlaubserfahrungen charakterisieren nicht banale Haus­frauenexistenzen in realistischer Beiläufigkeit, sondern hier erweist sich die filmische Erzählweise selbst als banal. Immer wieder bricht sich der Erzählduktus an Sätzen, die gleichzeitig typisch, informativ und charak­terisierend sein sollen. Noch peinlicher sind die Ausflüge in die Poesie, wenn Marleen Gorris die Hurenromantik, die sie sich im Bordell streng verbietet, draußen ansiedelt bei einem singenden und dichtenden Clo­chard und seinen Hymnen auf die Hure „Maria“.

Diese und ähnliche Ansätze von möglichen Geschichten verkümmern aber sofort unter der wütend-insistierenden Grundhaltung des Films, der sich nicht für Geschichten interessiert, sondern Gericht hält. Und wie das Erz desto schöner dröhnt, je heftiger die Schläge sind, desto zwingender wird der Film, wenn er sich selbst erst einmal nicht mehr ablenken lässt von seinem einzigen Interesse: alle Beweisstücke für ein riesiges Plädoyer zu sammeln, mit dem das Patriar­chat vor den Richterstuhl gezerrt und schuldig gesprochen wird für das weltge­schichtliche Verbrechen des Mannes an der Frau. Hier geht es nicht um die Darstellung von Gesellschaft, hier geht es um das Jüng­ste Gericht. Die langsame Reihung der Schandtaten, das immer erneute Abschrei­ten der Beweise, die dem Zuschauer jeden Fluchtweg verstellen, die schrittweise Stei­gerung dessen, was von Anfang an klar war, schlägt um unter dem Übermaß an Gewalt und Schmutz in eine Therapie durch Exzess, in Abschreckung durch Ekel. Kein Zufall, dass der Mörder, der immer Handschuhe trägt, gerade an dieser Berührungsscheu vom Zu­schauer entlarvt werden kann. Die Filme­macherin ist eine säkularisierte calvinisti­sche Sündenpredigerin, die mit aller Kraft versucht, nicht nur den moralischen Wider­stand gegen das Böse zu mobilisieren, son­dern die jede Vorstellung von Lust in Ekel verwandeln muss, denn, wie man weiß, ist auf die Einsicht kein Verlass. Die Rhetorik der Hammerschläge, die das (Sünden=) Ekelbewusstsein weckt, zielt auf Ab­schreckung. Feminismus als schwarze Päd­agogik, die den Frauen ihren einzigen Sün­denfall, ihre fleischliche Liebe zum Manne, austreiben will, damit von neuem das Para­dies entstehe.

Dass der Diskurs des Films ein feministi­scher sein will, daran besteht kein Zweifel. Denn auch hier gilt, dass als „männlich“ bekannte Erzählformen benutzt werden können gegen die Konvention, die sie scheinbar verkörpern. Der Krimiansatz schlägt dann auch sehr schnell um, aus Spannung wird Beklemmung. Das Opfer triumphiert in der Bewahrung seiner Wür­de und Integrität über den Mörder. Ein idealistischer Gedanke, tröstend bei so vie­len Leichen. Aber er zeigt, dass in dem Ge­danken, Frauen seien besser, was eben nur durch den Opfertod demonstriert werden kann, uns das 19. Jahrhundert mit seinen Trivialromanen noch fest in den Klauen hat. In dieser Gemengelage von idealisti­scher Ideologie und konkretistischem Bild­zugriff versagt sich Marleen Gorris kein Mittel zur Emotionalisierung, strapaziert Rhythmus und Töne, so dass ein Film ent­steht, in dem paradoxerweise die Schaulust aufs höchste befriedigt wird, um die Lust ein für allemal auszutreiben. Eine notwen­dige Kompromissbildung zwischen dem realistischen, dem metaphorischen und dem feministischen Ansatz? Die Augenlust verspricht nichts mehr. Sie ist auf sich selbst zurückgeworfen.

Am Schluss schlägt der Film eine Volte. Der Mörder, der gerade noch freundlich die von einem Kunden schrecklich zugerichtete Frau ins Krankenhaus gebracht hat, will durch aufreizendes Vorzeigen seiner gefüll­ten Brieftasche die ratlosen und geschockten Frauen zum sexuellen Kaufakt bewegen, Macht demonstrieren. Auf die demütigende Weise, wie er sich phallisch präsentiert, antwortet eine Frau, indem sie den ‚Phallus‘, sprich Revolver auf ihn richtet. Er flieht, denn der Teufel ist feige. Die Frau zerschießt lang­sam, zeremoniell, in einem rituellen Akt wie in einem langen Show-down die Spiegel: Element des Western, hier aber zum Schein­duell geworden, weil der geflohene Gegner zur Leerstelle wurde, zerstört wird die Pro­jektionsfläche. Das Lernziel ist klar: De­montage der Macht. Hier aber nicht mehr wie noch in DIE STILLE UM CHRISTINE M. dadurch, dass der männliche Diskurs durch die Eigenartigkeit und Andersartigkeit des Weiblichen, durch Stille, Schweigen, ver­rücktes Reden gestört wird. Hier sind die Frauen nicht mehr in der Offensive, sie eig­nen sich die phallische Waffe an, um sich zu verteidigen.

Wenn die reale Gefahrenlage steigt, werden andere Verhaltensweisen nötig, auch ande­re Waffen, und – das erweist sich – es sind die des Gegners. Das „begeisterte, solida­rische Gefühl“, das der erste Film bei vielen Frauen ausgelöst hat, wird hier wohl nicht entstehen. Das ist sicher kein Verlust, denn die Empfindung: „Wir haben ja recht, selbst wenn wir es nicht ausdrücken kön­nen“, war wohl immer nur ein schönes, aber vages Gefühl, deshalb auch so geeignet zum Solidarität-Stiften. Der letzte Schuss zer­stört hier nicht einen leeren Spiegel, son­dern in ihm das Bild der schießenden Frau. Der Film, der sonst einfache Vorgänge und Lösungen anbietet, wird hier überraschend ambivalent. Das, was als „Zerstörung des eigenen Abbildes als Hure“ gemeint war, wird zu einem Kastrationsakt. So einfach, nur über die äußere Zerstörung, ist dem Patriarchat eben nicht beizukommen.

Und auch in das happy end und dessen eisern feministischen Diskurs schleicht sich diese Ambivalenz ein. Auf die Frage der Bordellwächterin an die eine Frau: „Kommst du wieder?“ antwortet an ihrer Stelle die andere: „Wenn es nach mir geht, nicht!“ Muss denn schon wieder ein anderer, auch wenn es eine andere ist, für die eine reden?

In: epd-Film, 1985, Nr. 6
In: epd-Film, 1985, Nr. 6

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